Vaginal Seeding: Bakterienbad für Kaiserschnittbabys
Beim Vaginal Seeding bestreichen Ärzte Neugeborene mit den Bakterien aus der Scheide der Mutter. Der neue Trend aus Amerika soll Babys nach einer Geburt per Kaiserschnitt vor späteren Krankheiten schützen. Wir informieren euch über Chancen und Risiken der Methode.
Nach Kaiserschnitt: Babys Immunsystem stärken
Es gibt viele Gründe, warum Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt kommen - sei es auf Wunsch der Mutter oder wegen medizinscher Gründe. Inzwischen kommt ein Drittel der Kinder in Deutschland so auf die Welt. Medizinisch für die Mutter heute kaum noch ein Risiko, könnte der Kaiserschnitt für die Gesundheit des Kindes später zum Nachteil werden, warnen Experten wie Dr. Maria Dominguez-Bello von der New York University: Weil Kaiserschnitt-Babys im Geburtskanal nicht mit den Bakterien der Mutter in Berührung kommen, fehle ihrem Körper eine wichtige Erfahrung. Deshalb bauen Kaiserschnitt-Babys, so die Theorie, ein schwächeres Immunsystem auf. Natürlich geborene Kinder rutschen dagegen durch eine Kanal voller Bakterien und werden dadurch gesundheitlich nachhaltig geprägt. So ist erwiesen, dass die mikrobiotische Zusammensetzung ihrer Mundschleimhaut und des Darms auch Wochen nach der Geburt noch dem Mikroklima der Scheidenflora ihrer Mutter ähnelt.
Kaiserschnitt erhöht Risiko für Allergien
Ganz anders beim Kaiserschnitt, wo das Kind nur mit den Keimen von der Haut der Mutter und des Krankenhauspersonals in Kontakt kommt. Zwar lässt sich daraus bislang kein konkreter Zusammenhang zu späteren Erkrankungen ableiten, doch Wissenschaftler wie der Gynäkologe Frank Louwen von der Uniklinik Frankfurt am Main gehen davon aus, dass die Zusammensetzung der Mikroorganismen eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Immunsystems spielt. „Studien haben bewiesen, dass Kaiserschnittbabys im Laufe ihres Lebens ein erhöhtes Risiko für Allergien, Asthma und Fettleibigkeit haben, erklärt Louwen, der auch Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist.
Vaginal Seeding: Bakterien aus der Scheide fürs Baby
Mit einer einfachen Methode hat das Team um die New Yorker Ärztin Dr. Dominguez-Bello nun herausgefunden, wie auch Kaiserschnittbabys in Kontakt mit den Geburtskanal-Bakterien kommen können: Dazu führen die Ärzte vor einem geplanten Kaiserschnitt sterilen Mull in der Scheide der werdenden Mutter ein und rieben damit gleich nach der Geburt Mund und Körper des Kindes ein. Vaginal Seeding wird das inzwischen nicht nur in den USA, sondern auch in Australien und Großbritannien praktizierte Verfahren genannt – das Säen von Vaginalkeimen. Die Ergebnisse einer ersten, wenn auch nur sehr kleinen Studie dazu veröffentlichten die New Yorker Ärzte in der Fachzeitschrift „Nature Medicine". Danach fanden sie bei vier untersuchten Kaiserschnitt-Babys vier Wochen nach der Geburt eine ähnliche Bakterienbesiedlung im Darm vor wie bei spontan geborenen Babys. Insbesondere solche Bakterienstämme konnte man nachweisen, die wichtig für den Aufbau des Immunsystems sind und bei anderen Kaiserschnitt-Babys zu diesem Zeitpunkt sonst kaum vorhanden sind.
Kinderärzte warnen vor Infektionsrisiken
Wie bei jeder medizinischen Neuerung ruft auch das Vaginal Seeding die Skeptiker auf den Plan: Während auch in Deutschland immer mehr Eltern nach einer Behandlung mit den Geburtskeimen fragen, warnen Kinderärzte vor möglichen Risiken. „Wir wissen derzeit noch nicht, ob das Verfahren wirklich sicher ist", sorgen sich zum Beispiel die Ärzte vom Imperial College in London in der Fachzeitschrift „British Medical Journal". Neugeborene könnten sich z.B. mit Streptokokken, Herpesviren und Chlamydien aus der Scheidenflora der Mutter infizieren, von denen sie gar nichts weiß. Der Frankfurter Chefarzt Frank Louwen hält dagegen: „Natürlich kennen wir solche Einzelfälle, doch es gibt keine generelle Gefahr. Sonst wären ja auch alle Spontangeburten gefährdet." Dennoch hält auch er sich mit einer Empfehlung für ein Vaginal Seeding zurück: „Wir sollten erst in Studien prüfen, ob das Verfahren wirklich sinnvoll ist." Zudem sei ja auch noch fraglich, ob das kurze Abreiben mit dem Scheidensekret mittel- und langfristig die gleiche Wirkung habe, wie das Bakterienbad auf Babys Weg durch den Geburtskanal.
Gesunde Darmflora: Viel Stillen, weniger Antibiotika
Ob Vaginal Seeding oder nicht – grundsätzlich empfehlen Frauenärzte schon seit langem den Schwangeren, sich auf bestimmte Bakterien wie Streptokokken oder Herpesviren testen zu lassen, um ihr Baby vor Infektionen zu schützen. Bei einem Verdacht auf eine Infektion übernimmt hierzulande die Krankenversicherung die Kosten, ansonsten müssen Frauen den Test aus eigener Tasche bezahlen. Und noch einen Rat haben Gynäkologen für Schwangere parat: Wenn sie ihr Baby stillen und nach Möglichkeit auf Behandlungen mit Antibiotika verzichten, tun sie schon sehr viel dafür, dass ihr Baby eine gesunde Darmflora entwickeln kann.