Lotusgeburt: Entbinden, ohne abzunabeln
Die allermeisten Kinder werden hierzulande kurz nach der Geburt abgenabelt. Anders bei der Lotusgeburt: Hier bleibt das Baby so lange mit Nabelschnur und Plazenta verbunden, bis die Schnur nach einigen Tagen von selbst abfällt. Über die Vorteile und Risiken sowie Alternativen zur Lotusgeburt.
Lotusgeburt: Was ist das überhaupt?
Bei einer Lotusgeburt wird das Baby so lange nicht von der Nabelschnur und Plazenta getrennt, bis die Nabelschnur nach etwa drei bis zehn Tagen von selbst abfällt. Einige Mütter entscheiden sich auch für eine kürzere Variante, bei der der Mutterkuchen einen Tag lang beim Kind bleibt. Bislang vor allem in den USA und Australien praktiziert, verbreitet sich das bis ins alte Ägypten zurückgehende und auch heute noch bei Naturvölkern bekannte Geburtsritual seit einiger Zeit auch in Europa. Der Name Lotusgeburt geht auf die Amerikanerin Claire Lotus Bay zurück, die in den 1970er Jahren – wohl als erste Frau der westlichen Welt – ihr Baby nicht auf die klassische Weise abnabeln ließ.
Entbindung ohne Abnabelung: So läuft die Lotus-Geburt ab
Statt die Nabelschnur nach der Geburt gleich zu durchtrennen, lässt man sie gemeinsam mit der Plazenta beim Kind. Sobald der Mutterkuchen „geboren" wird – meist sind das nur wenige Minuten nach der Geburt des Kindes - wird das Baby ein wenig tiefer als die Plazenta gehalten, um den Blutfluss zu unterstützen. Dann wäscht die Hebamme den Mutterkuchen und wickelt ihn in ein sauberes Tuch. Nach dem Auspulsieren der Nabelschnur ist der Nährstoffaustausch dann beendet und das Baby muss wie andere Neugeborene auch mit Brust oder Flasche gefüttert werden.
Ab dem ersten Tag nach der Geburt reiben Mütter oder Väter die Plazenta täglich ein- bis dreimal mit einer Mischung aus Salz, Kräutern und ätherischen Ölen ein. Das konserviert die Plazenta und verhindert eine Geruchsbildung und die Zersetzung durch Bakterien. Dabei bewahrt man die Plazenta in einem Behälter auf, der sie vor Umwelteinflüssen schützt – wie speziellen Plazentataschen oder mit Tüchern ausgeschlagenen Gefäßen mit Deckel. Für maximal bis zu 10 Tage hängt die Plazenta dann an der langsam austrocknenden Nabelschnur und muss bei jeder Bewegung des Kindes mittransportiert werden. Fällt die Nabelschnur schließlich ab, vergraben viele Freunde und Freundinnen der Lotusgeburt Nabelschnur und Plazenta im Garten. Johanna Huber, Hebamme im Geburtshaus Erlangen, hat schon einige Lotusgeburten begleitet, bevorzugt aber eher ein spätes Abnabeln: „Es muss ja nicht gleich eine echte Lotusgeburt sein. Meist nable ich die Babys dann ab, wenn die Plazenta geboren wurde. Manche Eltern entscheiden sich auch nach ein, zwei Tagen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt da ist und warten nicht ab, bis die Nabelschnur von alleine abfällt."
Lotusgeburt: Wie sehen mögliche Risiken aus?
Viele Schwangere, die eine Lotusgeburt möchten, suchen sich dazu eine darin erfahrene Hebamme für eine Hausgeburt oder gehen in ein Geburtshaus mit einem entsprechenden Angebot. In den meisten Krankenhäusern und Geburtskliniken ist eine Lotusgeburt wegen der strengen Regeln für den Infektionsschutz nicht möglich. Zwar gibt es nach Meinung der Lotusgeburt-Befürworter kein gesundheitliches Risiko für Mutter und Kind, dennoch sind dabei ein paar wichtige Regeln von den Eltern zu beachten: Beim Wickeln, Stillen oder Waschen – also immer dann, wenn das Baby bewegt wird -, darf keine große Zugkraft auf den Nabel einwirken, sonst kann sich das Baby verletzen. Weil beim langsamen Verfaulen und Austrocknen der Plazenta Bakterien mit im Spiel sind, sollten Eltern einen genauen Blick auf Anzeichen für eine mögliche Infektion, wie Fieber oder Hautrötungen, haben und im Zweifel einen Arzt aufsuchen. Wichtig: Eine Stammzellentnahme aus der Nabelschnur ist bei einer Lotusgeburt grundsätzlich nicht möglich.
Hat eine Lotusgeburt Vorteile für Mutter und Kind?
Anhänger der Lotusgeburt meinen, dass das natürliche Abfallen der Nabelschnur weniger traumatisch für die Kinder ist, als das übliche Durchschneiden. Außerdem werde so die Mutter-Kind-Bindung gefördert und dem Baby die erste Zeit auf der Welt erleichtert. Einige Frauen, die eine Lotusgeburt erlebt haben, freuten sich über ein entspannteres und ruhigeres Baby. Und noch mehr: Die Babys erlitten einen geringeren Blut- und keinen Nährstoffverlust. Der Verbleib von Plazenta und Nabelschnur sorge für eine bessere Eisen- und Sauerstoffversorgung beim Baby und stärke sein Immunsystem. Lotus-Babys hätten ein geringeres Risiko für eine Neugeborenen-Gelbsucht, würden leichter zunehmen, hätten später einen höheren IQ und eine bessere Feinmotorik als andere. Einen wissenschaftlich fundierten Beweis für die genannten Vorteile gibt es bislang jedoch nicht.
Alternative zur Lotusgeburt: Einfach später abnabeln
Im Gegensatz zu den scheinbaren Vorzügen einer Lotusgeburt gibt es zum späteren Abnabeln nach der Geburt mehre wissenschaftliche Untersuchungen wie die Studie eines Forscherteams aus Schweden, die ein spätes Abklemmen der Nabelschnur positiv bewertet. Darunter verstehen die Forscher, dass Hebammen mindestens drei Minuten nach der Geburt mit dem Abnabeln warten – oder sogar bis zum Ende des Nabelschnurpulsierens. Untersuchungen haben gezeigt, dass das im Mutterkuchen enthaltene Blut dann wie eine Art Bluttransfusion wirkt: Es steigert die Menge der roten Blutkörperchen beim Kind und schont seinen Eisenspeicher. Durch dieses natürliche Blutreservoir ist das Blutvolumen bei spät abgenabelten Babys um etwa ein Drittel größer als bei Neugeborenen, die man sofort abnabelt. Auf den IQ von Kindern im Vorschulalter hatte das späte Abnabeln den Untersuchungen der schwedischen Ärzte zufolge aber keinen Einfluss. Geringfügig bessere Ergebnisse konnten man aber beim Sozialverhalten und der Feinmotorik nachweisen. Ob das aber tatsächlich mit der besseren Eisenversorgung kurz nach der Geburt zusammenhängt, ist unklar.
Spätes Abnabeln: In Deutschland noch unüblich
Dem späten Abnabeln sind in Deutschland jedoch enge Grenzen gesetzt: In den meisten Kliniken wird abgenabelt, bevor die Plazenta geboren ist. Denn ein abgenabelter Säugling lässt sich einfacher wiegen und versorgen. Mutter Natur hat das aber ganz anders geplant – sagt Dr. Sven Hildebrandt, Gynäkologe aus Dresden und plädiert für ein spätes Abnabeln. „Wenn es dem Baby gut geht, spricht vieles dafür, die Verbindung aufrecht zu erhalten, bis die Plazenta geboren ist und die Gefäße in der Nabelschnur aufhören zu pulsieren." Das verzögere das Abnabeln nur um etwa 10 bis 30 Minuten. „Warum sollte das Baby am Anfang seines Lebens nicht auf eigene Ressourcen für seine Sauerstoffversorgung aus der Plazenta zurückgreifen können, bis es selbstständig atmen kann?", hinterfragt Sven Hildebrandt die gängige Praxis in den Kliniken. Seit langem untersucht er diese Zusammenhänge wissenschaftlich untersucht und wirbt um einen anderen Umgang mit Neugeborenen. Für werdende Eltern lohnt es sich dennoch, das Thema im Krankenhaus oder in Vorgesprächen mit der Hebamme anzusprechen, wenn sie sich für diesen Weg entschieden haben.