Streit um Untersuchungen in der Schwangerschaft - Wie viel ist nötig?
Ärzte untersuchen werdende Mütter zu häufig, kritisiert eine Studie. Schwangere würden dadurch verunsichert. Ärztevertreter weisen die Kritik von sich. Die Mehr-Untersuchungen seien medizinisch begründbar.
Oft fünf Ultraschalluntersuchungen, statt der vorgesehenen drei
Utraschall, CTG und Akupunktur: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, das ungeborene Kind und seine Mutter zu untersuchen. Eine Studie stelte fest: 99 Prozent der schwangeren Frauen werden mehr vermessen, als es die Mutterschaftsrichtlinien vorsehen. Werdende Mütter würden durch diese Überversorgung verunsichert und wie Kranke behandelt, kritisieren die Studienautoren der Bertelsmann Stiftung.
Laut Untersuchung wurden nahezu alle Schwangeren abweichend von den offiziellen Richtlinien behandelt. So bekommt fast jede Schwangere ein sogenanntes CTG (Kardiotokographie, erfasst Herztöne des Kindes und Wehen der Mutter), auch wenn die Schwangerschaft unauffällig verläuft. Beim CTG und bei der Ultraschall-Untersuchung wurden Risikoschwangerschaften genauso versorgt wie Frauen mit einem unauffälligen Schwangerschaftsverlauf. "Die Ausnahme Risikoschwangerschaft ist inzwischen zur Regel geworden", sagt Uwe Schwenk, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. So erhalten 49 Prozent der Frauen mit normaler Schwangerschaft mehr als fünf Ultraschall-Untersuchungen, vorgesehen sind drei.
Frauenärzte wehren sich gegen Vorwürfe
Der Berufsverband der Frauenärzte sieht das anders: „Da heute deutlich mehr und ältere Frauen mit Risiken wie schweres Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes etc. schwanger werden als vor 20 Jahren, kann es durchaus sein, dass sich insgesamt die durchschnittliche Zahl an Terminen erhöht hat." Es sei darüber hinaus richtig, dass viele Schwangere mehr diagnostische Leistungen erhalten als in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen ist. Das liege unter anderem daran, dass es heute mehr Möglichkeiten gebe als in den Richtlinien vorgegeben, und dass die gesetzlichen Krankenkassen bisher nur die Kosten für Leistungen übernehmen, die auch wirtschaftlich sind. Darüber hinaus gebe es aber diagnostische Maßnahmen, die sinnvoll sind, wie zum Beispiel den Toxoplasmose-Test oder auch den Test auf Streptokokken in der Spätschwangerschaft. „Das werden wir Schwangeren immer empfehlen, auch wenn sie keine Kassenleistungen sind", betont der Verband in einer Stellungnahme. Eine "Medikalisierung" der Schwangerschaft sei das sicherlich nicht, beides trage erheblich zur Senkung der Krankheitsrisiken potentiell infizierter Kinder bei.
Schwangerschaft ist keine Krankheit
Die Studie kritisiert außerdem zu häufige CTGs. Diese seien nach den Mutterschaftsrichtlinien zwar nicht zwingend vorgeschrieben, erläutert der Verband der Frauenärzte. Sie erleichterten aber Hebammen und Ärzten die Beurteilung der Schwangerschaft und helfen leichte Kontraktionen von echten Wehen zu unterscheiden, was überflüssige Ruhigstellungen der Schwangeren verhindere und sie selbst sehr beruhigen könne. Die Autoren der Studie sind gegenteiliger Ansicht. Prof. Rainhild Schäfers von der Hochschule für Gesundheit in Bochum sagt: "Das Überangebot an Untersuchungen schürt die Angst der Frauen vor der Geburt und möglicherweise auch ihren Wunsch nach einer vermeintlich sicheren Kaiserschnitt-Entbindung." Susanne Steppat vom Hebammenverband stimmt ihr zu:„ Durch die vielen Tests und Untersuchungen wird die Schwangerschaft zu etwas Pathologischem." Aus einem Lebensereignis werde etwas, vor dem sich die Frauen fürchteten und das behandelt werde müsse wie eine Krankheit. Wichtiger als unnötige Ultraschallaufnahmen sei die persönliche Beratung und Zeit für individuelle Betreuung.
Schwangere auf die Beratung durch Ärzte angewiesen
Die Frauenärzte weisen diese Kritik scharf zurück: „Viele Schwangere wünschen für ihren persönlichen Gebrauch Ultraschall-Bilder ihrer ungeborenen Babys in 3D oder anderen Formaten; gleichzeitig sehen sie dadurch die Gesundheit ihres Ungeborenen. Da von Ultraschalluntersuchungen keine Gefahren für das Baby ausgehen, kommen Ärzte diesem Wunsch nach, wenn sie darum gebeten werden. Daraus die Schlussfolgerung abzuleiten, häufige Ultraschallaufnahmen in der Schwangerschaft würden die Kaiserschnittrateerhöhen, ist eine gewagte Hypothese."
Welche Tests und Untersuchungen soll die Schwangere also machen? Eine schwierige Entscheidung, wenn die Experten dermaßen uneins sind. In der Praxis sind Frauen eben auf Beratung durch den Arzt angewiesen. Dass das nicht immer optimal läuft, kritisiert die Studie ebenfalls. Nur jede zweite Frau gab an, von ihrem Arzt über die Maßnahmen sehr gut beraten worden zu sein. Zum Beispiel glauben 95 Prozent der Frauen, dass ein CTG zu den Routinemaßnahmen in der Schwangerschaft gehört – dabei ist es als solche in den Mutterschaftsrichtlinien nicht vorgesehen. Weil viele der von Ärztinnen oder Ärzten angebotenen oder von den Schwangeren gewünschten Leistungen nicht routinemäßig vorgesehen sind, mussten 80 Prozent der werdenden Mütter Zuzahlungen leisten.
Zusatzuntersuchungen medizinisch sinnvoll
Der Verband der Frauenärzte verteidigt das. Beinahe alle in der Schwangerschaft angebotenen diagnostischen Leistungen, wie das Ersttrimesterscreening, Toxoplasmose- und Cytomegalietestungen etc. seien evidenzbasiert, das heißt, dessen Wirksamkeit sei nachgewiesen, auch wenn sie nicht Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien sind. Die Unterstellung, Frauenärzte - ebenso wie Hebammen – würden Schwangeren Leistungen nur anbieten, weil sie unter wirtschaftlichem Druck stehen, sei Unsinn.
Bereits in der Formulierung der Befragung und in der Interpretation der Ergebnisse sei der Versuch erkennbar, die seit über 50 Jahren bewährte frauenärztliche Mutterschaftsvorsorge zu diskreditieren. Immerhin sei in dieser Zeit die Kindersterblichkeit um das Zehnfache, die Müttersterblichkeit um ein Vielfaches mehr gesunken. Damit stehe Deutschland mit an der Spitze in der Welt. „Ein Wechsel dieses Systems, so wie von den Autorinnen in die Diskussion eingeworfen, würde die gesundheitliche Versorgung der Schwangeren und ihrer Babys mit Sicherheit verschlechtern", mahnt der Verband.
Die Debatte zeigt: Einfache Antworten gibt es nicht. Doch was hilft der schwangeren Frau, die beim Frauenarzt entscheiden muss, welche Untersuchung notwendig ist? Dafür hat Gesundheitsexperte Jan Böcken von der Bertelsmann Stiftung einen ganz einfachen Tipp: Manchmal reiche es schon zu fragen, was passiere, wenn man eine Untersuchung nicht mache.
Die Mutterschaftsrichtlinien
Die Inhalte der ärztlichen Schwangerenvorsorge sind durch die Mutterschaftsrichtlinien (MSR) geregelt. Dies sind Richtlinien, die der Gemeinsame Bundesausschuss veröffentlicht hat. Neben Beratung, besonderen Blutuntersuchungen, Gewichts-, Urin- und Blutdruckkontrollen, Kontrolle der kindlichen Herztöne und des Gebärmutterwachstums werden dort drei Basis-Ultraschall-Untersuchungen aufgeführt, die um die 10., 20. und 30. Schwangerschaftswoche gemacht werden sollen. Die MSR sehen zehn bis zwölf Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft bis zum errechneten Geburtstermin vor, die anfangs im Abstand von vier Wochen, ab der 32. Woche im Abstand von zwei Wochen durchgeführt werden sollen.
Die Studie
1,293 Frauen, die zwischen November 2013 und Oktober 2014 ein Kind geboren haben, wurden im November 2014 postalisch zu der Schwangerschaft befragt. Es handelt sich dabei um eine Zufallsstichprobe aller bei der Krankenkasse "Barmer Gek" versicherten Frauen, die in diesem Zeitraum ein Kind bekommen haben. Die Teilnehmerinnen wurden aufgefordert, Fragen zu dem Angebot und der Durchführung der oben beschriebenen Maßnahmen, der Motivation zur Durchführung und der Aufklärung über die genannten Maßnahmen zu beantworten. Um die Notwendigkeit einzelner Maßnahmen besser nachvollziehen zu können, wurden außerdem schwangerschaftsbezogene medizinische Befunde abgefragt.