Vorteile und Vorurteile

Kitas: Mehr Männer als Erzieher?

Nur 2,4 Prozent der Erzieher in deutschen Kindertagesstätten sind männlich - obwohl sich sowohl Eltern als auch die Erzieherinnen viel mehr männliche Betreuer wünschen. Warum ergreifen so wenige diesen Beruf? Und welche Vorbehalte gibt es gegen die Männer, die in Kitas arbeiten?

Autor: Erik Paschen

Ein Regierungsprogramm für Erzieher

Erzieher Kindergarten
Foto: © iStockphoto.com/ lostinbids

Kinder sollten von weiblichen und männlichen Erziehern betreut werden. Zwei Drittel der Eltern und drei Viertel der Erzieher wünschen sich das, was Sozialwissenschaftler schon länger fordern. Die Ergebnisse der katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin waren eindeutig und wurden 2010 Grundlage für das Programm der Bundesregierung „Männer in Kitas“. Alle sind sich einig, könnte man denken. Aber warum arbeiten nur 2,4 Prozent Männer als Kita-Erzieher? Die Zahl hat sich auch zwei Jahre nach der Studie kaum geändert. Und warum brechen viele Männer ihre Ausbildung wieder ab oder wechseln in andere soziale Berufe? Außerdem bleiben ja noch ein Drittel der Eltern und ein Viertel der Erzieher, die keine männlichen Erzieher wünschen. Welche Bedenken haben sie und wie können die Skeptiker überzeugt werden?

Vorbehalte gegen männliche Erzieher

„Männer sind sexuell unbeherrschte Wesen. Lässt man sie an kleine Kinder, wächst das Risiko für sexuellen Missbrauch.“ Mit diesen drastischen Worten fasst Martin Verlinden, Psychologe vom sozialpädagogischen Institut NRW der Fachhochschule Köln den größten Vorbehalt gegen männliche Erzieher zusammen. Er will die tragischen Einzelfälle nicht leugnen, sieht aber ein Missverhältnis zwischen der Berichterstattung in den Medien und der tatsächlichen Gefahr mit Folgen. Dieser Generalverdacht ist ein auch ein wichtiger Grund, warum Männer ihre Berufswahl noch einmal überdenken oder nach der Ausbildung in den offenen Jugendbereich und die Heimerziehung wechseln.

Klare Regeln als Lösung?

Pädagogen sehen eine Lösung, die Ängste der Eltern abzubauen, im Aufstellen klarer Regeln. „Wann und wen darf ich wickeln? Muss eine weitere Person mit im Raum sein, darf ich die Kinder auf die Toilette begleiten? Diese Regeln dürfen nicht von der Leitung, also von oben angeordnet werden, sondern müssen mit dem ganzen Team aufgestellt werden.“ Die Wünsche der Eltern müssten dabei respektiert werden, schließlich stehe das alleinige Erziehungsrecht den Eltern zu. Besonders deutlich wird dies bei Kitas mit muslimischen Kindern. „Hier ist es selbstverständlich, dass der Mann keine fremden Mädchen wickelt. Das muss man tolerieren und nicht Integration mit dem Holzhammer betreiben.“ Allerdings weist Verlinden auf ein Ergebnis der Studie hin, das besagt, je geringer die Erfahrung der Eltern mit männlichen Erziehern ist, umso größer sind deren Vorbehalte.

Bloß kein Wickelverbot!

Auch Reiner Wanielik, Sozialpädagoge am Institut für Sexualpädagogik in Dortmund, spricht sich für einen offenen Umgang mit dem heiklen Thema aus. Ein Wickelverbot für männliche Erzieher ist für ihn keine Lösung. „Je kleiner die Kinder sind, umso häufiger werden sie angefasst. Nicht nur An- und Ausziehen oder Windelwechseln, auch ein kleines Aua muss behandelt werden. Und was ist, wenn im schützenden Arm Trost gesucht wird?“ Würden diese Aufgaben nur die Frauen übernehmen, wäre das für die Kinder die völlig falsche Botschaft, ist Wanliek überzeugt. „Die Kinder lernen dann, für das körperliche Wohlbefinden und das Seelenheil ist die Frau zuständig. Der Mann kommt erst dann ins Spiel, wenn irgendwelche Herausforderungen zu bewältigen sind.“ Wanielik ist schon häufiger bei Eltern mit dieser Haltung angeeckt. Er kennt die Situation, wenn aufgeregte Väter in Sorge um ihre Töchter ein Sonderrecht einfordern. „Es funktioniert nur, wenn die gesamte Kita zu ihrem Erziehungskonzept steht. Dann hat der einzelne Erzieher auch das Rückgrat, dem aufgebrachten Vater zu begegnen.“ Hier sieht er allerdings große Defizite. „Im Lehrplan für Erzieher kommt dieses Thema so gut wie nicht vor und die Kitaleitung hat nie gelernt, wie sie ihr Team durch diese Problematik führen sollen.“ Damit spricht er ein zweites Problem an, auf das männliche Erzieher treffen. Ein Frauenteam bekommt einen männlichen Mitarbeiter und plötzlich ist vieles anders.

Ungeliebter Exot oder Hahn im Korb?

84 Kinder, 15 Erzieherinnen und Klaus*. Er ist der einzige männliche Erzieher und damit automatisch etwas Besonderes. Er fällt auch den Eltern auf, die ihre Kinder morgens in andere Gruppen bringen. Er erklärt in der Teambesprechung die Haltung der Väter und wenn ein Handwerker für kleinere Reparaturen gefragt ist, erfüllt er auch da seine Sonderrolle. „Die Kolleginnen akzeptieren mich und schätzen meine Arbeit, aber ich habe das Gefühl, in ein Klischee gepresst zu werden.“

Das Gefühl trügt nicht, wird aber oft erst spät angesprochen“, bestätigt Martin Verlinden. „Es gibt viele Fallen, in die ein Erzieher stolpern kann. Das hat mit den Kolleginnen zu tun, aber auch mit der eigenen Haltung.“ Verlinden erlebt in seiner Arbeit immer wieder eine typische Teamsituation: „Wenn ich als alleiniger Mann den Frauen gegenübertrete, dann projizieren diese alle ihre Erfahrungen mit ihren verschiedenen Männern auf mich. Das kann mich natürlich überfordern.“ Allerdings kann der Mann durchaus Gefallen an der Sonderrolle finden. „Der Flirtfaktor ist nicht zu unterschätzen.“

Zu unterscheiden sei hier auch zwischen den jungen Männern, die nach einem sozialen Jahr mit 19 die Ausbildung begonnen haben und den älteren Quereinsteigern, so Wanielik. „Die Jüngeren, die vielleicht noch zu Hause wohnen und mit ihrer Selbstfindung beschäftigt sind, haben oft noch eine schwammige Vorstellung, was sie im Arbeitsalltag erwartet. Der Quereinsteiger, der schon zehn Jahre als Schlosser oder Bürokaufmann gearbeitet hat, bringt meist eine klarere Haltung mit. Sie wechseln den Job, weil sie in ihrer Arbeit keine Befriedigung mehr gefunden haben, wollen jetzt etwas Sinnvolles mit Menschen tun und haben sich diesen großen Schritt auch gut überlegt“. Mit seiner Berufs- und Lebenserfahrung habe er ein ganz anderes Standing gegenüber den Erzieherinnen.

Der männliche Erzieher als Medienstar

Die große Aufmerksamkeit, die die männlichen Erzieher gerade in der Öffentlichkeit erfahren, verärgert viele Kolleginnen. Seit Bundesministerin Schröder das Projekt „Mehr Männer in Kitas“ vorgestellt hat, übertreffen sich die Medien beim Porträtieren von männlichen Erziehern, die eigentlich alle das Zeug zum pädagogischen Supermann haben. „Wir dürfen den Wunsch nach Männern in Kitas nicht falsch verstehen“, betont Verlinden „Frauen haben bisher keine riesigen pädagogischen Lücken gelassen, die jetzt mit den männlichen Erziehern gefüllt werden sollen. Grundsätzlich lernen Männer und Frauen in der Ausbildung das Gleiche, aber noch wichtiger: Kinder lernen, dass Männer auch so was machen, was die Frauen machen.“ Dabei ist er sich mit seinem Kollegen Wanielik einig, dass hier nicht eine neue Stereotype „Mann“ zur Erzieherin dazu kommt. „Ein Mensch, der in der Kita arbeitet, ganz gleich, ob Mann oder Frau, repräsentiert sich selbst. So bleibt ein Mann auch immer ein Mann und wird von den Kindern als solcher wahrgenommen, aber es gibt eben 1.000 Varianten davon“, so Wanielik.

Die Männer anwerben

Wie schafft man es nun, dass mehr Männer in die Kitas kommen? Damit sich mehr Männer überhaupt für diesen Beruf interessieren, fordert Verlinden den Einsatz spezieller „Werbe-Erzieher“, wie er sie nennt. „Erzieher, die erfolgreich und zufrieden in ihrem Beruf sind, sollen in Schulklassen, wo die Berufsorientierung ein Thema ist. Sie sollen den jungen Männern erzählen, was der Beruf bringt, also nicht nur, ich spiel’ viel, sondern auch die Verantwortung und Kreativität, die dieser Beruf erfordert. Besuche von Werbeerziehern in Schulen nehmen den jungen Männern vielleicht die Schwellenangst, sich auf diese Berufsperspektive einzulassen.“

Ausprobieren mit „Kitahelden“

Zum tatsächlichen Ausprobieren für drei Stunden die Woche lädt das Projekt „Kitahelden“ ein. „Ein halbes Jahr spielen die Jungs mit den Kindern, helfen beim Anziehen oder verteilen das Essen“, erklärt Christian Bliß, Projektleiter „Männer in Kitas“ des Evangelischen Kirchenkreisverbandes für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord. Mit ihrem Mentor, das kann ein Student oder Erzieher sein, können die „Kitahelden“ die schwierigen Momente im Kitaalltag besprechen. Für Bliß ist es eine schöne Erfahrung, wenn die jungen Männer die Grundsatzfragen der Pädagogik entdecken und nach Lösungen suchen. „Wie kämpfe ich gegen den Lärm an, ohne selber laut zu werden. Wie kann ich mich abgrenzen, ohne dass ich rumschimpfen muss. Die Jungs steigen sehr schnell in den Berufsalltag ein.“ Fünf Schulen nehmen in Berlin am Projekt Kita-Helden teil. Und bundesweit werden weitere 16 Projekte unter dem Motto „Männer in Kitas“ initiiert. 

Job wie bei Mama?

Auch Christian Bliß ist nicht entgangen, mit welcher Aufmerksamkeit die Medien das Projekt verfolgen. Er sieht darin aber die Chance, den Beruf des Erziehers grundsätzlich aufzuwerten. „Lange hat man die Kita als Aufbewahrungsort gesehen. Dann kam der Pisaschock und plötzlich muss die Kita alles können: Erziehung zum sozialen und kommunikativen Menschen, musische und naturwissenschaftliche Projekte anbieten“. Oder wie es Reiner Wanielik formuliert: “Ein Grundirrtum ist doch: Der Job ist wie bei Mama. Frauen können es schon, Männer müssen es erst lernen. Für den gleichzeitigen Umgang mit zwölf Kindern braucht es pädagogische Profis, egal ob Mann oder Frau“.

Das muss einhergehen mit einer höher qualifizierten Ausbildung und einer besseren Bezahlung, sind sich Wissenschaftler einig. Dann stiege auch die Erzieherquote, denn das Gehalt ist für Männer viel häufiger ein Kriterium, ob sie in einen bestimmten Beruf einsteigen. Jetzt, wo deutlich wird, dass die Erziehungsarbeit in der Kita nicht die Fortsetzung der häuslichen Kindererziehung ist, bietet sich Gelegenheit für eine inhaltliche und finanzielle Aufwertung – mit der Chance auf mehr männliche Erzieher.

* Name geändert