Expertenrat Schreibabys
Manche Babys weinen in den ersten drei Monaten besonders viel - ohne, dass ein besonderer Grund zu erkennen wäre. Für ihre Eltern bedeutet dies eine Zerreißprobe für die Nerven. Unser Experte Dr. Köhler-Saretzki und sein Team gaben Rat und Unterstützung.
Best of-Fragen
Über den Experten
Dr. Thomas Köhler-Saretzki ist Dipl. Psychologe und leitet die Familienberatungsstelle Christliche Sozialhilfe in Köln. Neben dem Schwerpunkt Eltern-Kind-Bindung arbeitet er mit Babys und Kleinkindern, die übermäßig viel schreien, schwer in den Schlaf finden oder nicht durchschlafen und Kinder, die nicht richtig essen wollen.
Veröffentlichung:
"Sichere Kinder brauchen starke Wurzeln", 2014, Schulz-Kirchner-Verlag
3 wichtige Fragen aus dem Expertenforum
Wird mein zweites Kind auch ein Schreibaby?
Frage: Hallo, ob unsere Tochter nun ein Schreibaby war, Dreimonatskoliken hatte oder was auch immer, kann ich so nicht sagen. Fakt ist, sie hat ihre ersten vier Lebensmonate abends ab ca. 17 Uhr bis nachts geschrien und nichts was wir taten hat geholfen. Nach vier Monaten hörte das dann von jetzt auf gleich komplett auf und seither haben wir ein fröhliches Baby. Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir erneut ein "Schreibaby" bekommen könnten? Wir wünschen uns ein zweites Kind aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir ja auch schon ein Kind haben hoffen wir natürlich, dass es beim zweiten Kind nicht genauso wird.
Experte: Ich kann Sie beruhigen, es gibt keine Hinweise darauf, dass Schreien genetisch vererbbar ist, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass die selbe Problematik bei Ihrem zweiten Kind auch auftreten könnte ist in dieser Hinsicht sehr gering. Ich möchte Sie dazu ermuntern, Ihren Wunsch nach einem zweiten Kind von Ihrer Erfahrung mit dem Schreien bei Ihrer Tochter voll ganz zu entkoppeln. Freuen Sie sich auf Ihr zweites Kind ohne Hintergedanken, was vielleicht passieren könnte. Und selbst wenn es so sein sollte, haben Sie ja auch die Erfahrung gemacht, dass es aufhört und manchmal (wie in Ihrem Fall) sehr schnell gehen kann.
Wo gibt es Hilfe für Eltern?
Frage: Meine Frage für alle Eltern in dieser Situation lautet: Wo kann man sich Hilfe suchen? Gibt es sinnvolle Literaturempfehlungen? Vielleicht haben Sie dazu ein paar Anregungen.
Experte: Für manche Babys und deren Eltern sind die ersten Monate aus welchen Gründen auch immer nicht einfach. Diese Erfahrung haben Sie ja eigenen Leibe gemacht und aber auch hervorragend gemeistert. Ich möchte Sie auch zum Wohle Ihres Kindes dazu beglückwünschen, dass Sie sich beherrschen konnten Ihr Kind nicht zu schütteln. Dies wäre in der Tat nicht förderlich , vielleicht sogar gefährlich gewesen. Ich möchte Ihnen aber auch rückmelden, dass es moralisch nicht verwerflich ist wenn man so einen Gedanken hat. Das stundenlange Schreien kann einen so zermürben und wütend machen, dass es für die Psychohygiene auch in Ordnung ist ein Ventil zu finden. Es ist ein wenig wie der Spruch :"... den könnte ich umbringen". Es zu denken ist nicht strafbar, es zu tun selbstverständlich schon.
Ich weiß jetzt nicht wie lange es bei Ihnen her ist, aber inzwischen gibt es im Zuge der Bundesinitiative Frühe Hilfen schon eine Reihe kostenpflichtige, aber auch kostenfreier Unterstützungsangebote, angefangen von freien Therapiepraxen, die sich dem Thema annehmen, niedergelassene Kinder und Jugendpsychiater bis hin zu Beratungsstellen.
Bei den Kliniken und Ärzten haben Sie in der Tat etwas Wartezeit, bei Beratungsstellen und auch niedergelassenen Therapeuten geht es eigentlich ganz schnell, bei den kostenpflichtigen Angeboten noch schneller. mehr
Sind Schreibabys später auch "anders"?
Frage: Gibt es Erkenntnisse darüber,ob Schreibabys als Kinder auch "anders"sind?
Ich meine z.B. wenn sie dann Kindergarten- & Schulkinder sind. Mein ehemaliger Schreihals ist jetzt 8 Jahre alt
Experte: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Kinder mit Fütter-und Regulationsstörung eine ungünstigere Entwicklung nehmen als Kinder ohne diese Symptomatik in den ersten Monaten. Man muss ehrlicherweise sagen, dass es noch nicht allzu viele Langzeitstudien dazu gibt, da Langzeitstudien, wie der Name schon sagt lange und damit auch teuer und auch in der Durchführung nicht einfach sind. Aber es gibt schon einige Untersuchungen dazu und diese bestätigen keinen Zusammenhang. Falls Ihr ehemaliger Schreihals jetzt mit 8 Jahren zum jetzigen Zeitpunkt eine gewisse "Verhaltensorginalität" zeigt, hat dies kausal wahrscheinlich nichts mit seinen frühen Monaten zu tun. Aber ich kann jetzt natürlich nicht mehr dazu sagen, da ich keine weiteren Informationen habe.