Geschenke-Wahnsinn in Familien
Weihnachten mit Kind ist etwas ganz Besonderes, vernahm urbia-Autorin Kathrin Wittwer vor ihren ersten Feiertagen mit Tochter allerorten. Statt der angekündigten Magie dominierten jedoch eher beängstigende Geschenkeflutwellen fürs jüngste Familienmitglied das Fest der Liebe.
Zwischen Aufreißen und Ausreißen
"Ihr werdet sehen, erst mit Kind ist Weihnachten wirklich perfekt", schwärmten Freunde mit Nachwuchs, als jenes denkwürdige Fest bei uns Premiere feierte. Glänzende Augen, rote Wangen, knisternde Vorfreude, Heimlichkeiten, Plätzchenbacken, Liedersingen, das volle Programm eben. Zunächst ließ der besinnliche Weihnachtszauber bei uns allerdings arg zu wünschen übrig, bescherte uns mit einem Schreibaby ein Fest zwischen Herd und Hüpfball und ein Jahr später Feiertage mit einer durchfallkranken Einjährigen, die schließlich im Krankenhaus am Tropf landete. Na gut, dachten wir uns beim dritten Weihnachtsfest: Aller guten Dinge sind ja drei. Das kann also nur besser werden.
Ihr Kinderlein kommet
Was wir uns da nicht mal im Traum hatten ausmalen können, war das unkontrollierbare Schauspiel, das sich uns am Heiligabend rund um den stattlichen, zum Großteil von der Familie gestifteten Geschenkeberg unterm Weihnachtsbaum bot: Drei oder vier der Präsente riss unsere Tochter mit hochroten Wangen und Freudenschreien auf, ohne wirklich zu registrieren, was ihr da eigentlich in die Hände fiel. Beim nächsten „Das hier ist auch für Dich“ kapitulierte sie und flüchtete sich ins beruhigende Mampfen eines Schoko-Eies. Regeneriert startete sie dann eine Phase des planlosen Durchwühlens und wilden Bespielens. Wir standen fassungslos daneben. Zum ersten Mal dachte ich, was mir seither, aber nicht nur bei Geschenkanlässen sehr oft durch den Kopf geht: Alles viel zu viel.
Ergo versuchten wir daraufhin, den Konsumrausch rund ums Kind stark einzuschränken, sowohl unseren eigenen (einfach) als auch den der lieben Familie (viel Überzeugungsarbeit). In regelmäßigen Abständen bin ich zudem durchs Kinderzimmer geforstet und habe tütenweise Spielzeug aussortiert – neben Dingen, denen das Kind schlicht entwachsen war, viel Kleinkram, der sich als Mitbringsel oder mal eben in Einkäufen eingeschlichen hatte. Nicht ein einziges Mal ist meiner Tochter aufgefallen, dass etwas fehlt.
Weihnachten zwischen Wunsch und Wirklichkeit
„Bitte jeder nur ein Geschenk“ war konsequenterweise letztes Jahr der größte Wunsch auf dem Zettel, den wir der Familie zwecks Weihnachtsgeschenkauswahl für unsere Dreijährige zukommen ließen. Bereits der Umfang der vor dem Fest eintrudelnden Pakete ließ vermuten, dass die Verwandtschaft unseren Wunsch einigermaßen großzügig ausgelegt hatte. Und so wiederholte sich der Aufreißalbtraum des Vorjahres, packte das Kind alles aus, was ihr in die Hände fiel, rief „Jaaa, toll“, warf es dann achtlos zur Seite und krallte sich das nächste – nicht zwangsläufig mit ihrem Namen versehene – Päckchen. Und hatte zum Schluss keine Ahnung, was sie überhaupt alles geschenkt bekommen oder gar, wer das für sie beim Weihnachtsmann bestellt hatte.
Wie gut ist normal?
Bei der Familie, der wir die Szenen, nicht ohne vorwurfsvollen Unterton, berichteten, ernteten wir lediglich Lacher und ein „Das ist doch normal, das war bei Euch auch so.“ Anders ausgedrückt: Habt Euch nicht so. Wir sahen uns ratlos an und fragten uns: Ist „normal“ und „ist bei allen so“ gleichbedeutend mit „das ist richtig und gut so“? Sind wir Rabeneltern, wenn wir unserem Kind die Euphorie eines ungebremsten Geschenkerausches vorenthalten? Wenn wir dafür sorgen wollen, dass an Festen kein Wasserfall an Tüten und Kartons auf sie niederprasselt? Oder dass zwischendurch nicht jeder mal eben geäußerte Wunsch sofort erfüllt wird? Natürlich wissen wir: Schenken macht Freude (uns ja auch), gerade an ein geliebtes Kind. Und natürlich wissen wir ebenso: Es kann nerven, immer Vorschriften fürs Schenken zu bekommen. Es nervt aber auch, wenn die Kommode überquillt, weil keiner an den niedlichen Kindersachen vorbeikommt und wir am Ende der Saison schlechten Gewissens brandneue Kleidung auf dem Flohmarkt verscherbeln. Wenn wir zum Schutz der Gesundheit unseres Lieblings total selbstlos tütenweise aus dem Verkehr gezogene Gummibärchen und Schokoladentäfelchen in uns reinstopfen. Wenn Sachen doppelt auftauchen, sie weder altersgerecht sind, noch zu ihren Interessen passen oder eben in der Flut von anderem Krimskrams unbeachtet in der Ecke landen.
Die Horrorvorstellung: Konsummonster im Kinderzimmer
Uns ist bewusst: Das alles steht den liebenden Verwandten nicht in dieser Deutlichkeit vor Augen. Stattdessen sehen sie nur das scheinbar trostlose, von uns vorgeschriebene eine einzige Päckchen, das aus ihren Händen in die des Kindes wandert – und fühlen sich schlecht dabei, weil es ihnen knauserig vorkommt und schlichtweg nicht dem Ausmaß der Liebe entspricht, das sie mit ihren Präsenten vermitteln wollen. Die Frage ist nur, wie sie auf die schlimmste Konsequenz einer dauerhaft ungezügelten Geschenkepolitik reagieren würden: ein Kind, das beim Besuch von Oma und Opa als erstes fragt: „Und was habt Ihr mir mitgebracht?“ statt sich über sie zu freuen. Ein Kind, das Geschenke als Selbstverständlichkeit, als zustehenden Tribut ansieht und in Tränen ausbricht, wenn jemand mal ohne kommt. Ein Kind, das beim Auspacken eines Geschenkes nur müde und gelangweilt lächelt oder gar ein „Das ist ja doof, das könnt Ihr gleich wieder mitnehmen.“ äußert. Ein Mädchen, das vor lauter Spielzeug nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht und am Ende mitten in einem prall gefüllten Kinderzimmer „Mir ist langweilig“ schmollt. Meine ganz persönliche Horrorvorstellung.
Weihnachten zwischen Hoffen und Bangen
Der Kampf um ein Kind, das nicht zum Konsummonster heranwächst, sondern immaterielle Werte schätzen lernt, bleibt also eine Herzensangelegenheit, mit der wir nun in unseren fünften Familienadvent starten. Zum letzten Kindergeburtstag sahen wir Hoffnungsschimmer an der Familienfront – und wissen inzwischen immerhin auch: Wir sind nicht allein mit unseren Wünschen und Sorgen. Überall im Land werden Freunde mit ähnlichen Erfahrungen versuchen, die „Ein Geschenk pro Person muss reichen“-Strategie bei schwer zu bremsenden Omas, Opas und anderen weihnachtskonsumwütigen Anverwandten durchzusetzen. Wie wir werden sie sich die Zeit nehmen, einen sorgfältig komponierten Wunschzettel für die illiteraten Sprösslinge aufzusetzen, eingebettet in die eindringliche Argumentation, dass weniger wirklich mehr ist, weil dann jedes Geschenk mehr Beachtung erfährt, und dass sich Liebe nicht in der Anzahl verschnürter Päckchen ausdrücken muss. Zur Verstärkung und Immunisierung gegen die verführerischen Kaufhausschaufenster werden wir die Zettel dieses Jahr samt Buch „ Die verkaufte Kindheit“ verschicken, davon träumend, dass diese eindrucksvolle, hochspannende Lektüre hilft, den Materialismus rund ums Kind in vernünftige Bahnen zu lenken. Hoffen wir das Beste.
Zum Weiterlesen
- Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit. Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können.
Pantheon. 2011. ISBN-13: 978-3570551721. 14,99 Euro. - Susan Gregory Thomas: Buy Buy Baby. How Consumer Culture Manipulates Parents and Harms Young Minds.
Mariner Books. 2009. ISBN-13: 978-0547237954. 11,99 Euro. (nur auf Englisch)