Kinder quengeln, Eltern kaufen
Kleine Kinder sind längst eine beliebte Kundengruppe – oft zum Leidwesen von Mama und Papa. Im Supermarkt und in der Werbung werden sie gezielt angesprochen. Aber viele so angepriesene Lebensmittel sind ungesund. Eltern können sich wehren, wie erste Beispiele zeigen.
Wenn Kinder nach Ü-Eiern, Riegeln und Kaugummi schreien
„Neulich an der Supermarktkasse..." - so fangen viele kleine Schreckensgeschichten aus dem Leben von Eltern an. Irgendwann war jeder schon einmal ratlos, wenn die Kinder nach Ü-Eiern, Riegeln und Kaugummi schreien und sich auf den Boden werfen. Die meisten Mütter und Väter wissen, wie schwer mit der peinlichen Situation umzugehen ist. Der belgische Kondomhersteller Zazoo nutzte die Angst der Eltern sogar mal für eine reichlich provokative Werbung: Da sah man ein Kind im Supermarkt ausflippen, Papa hatte „nein" gesagt. Der Kleine warf am Ende sogar Lebensmittel wutentbrannt umher, und dann wurde eingeblendet „Benutzt Kondome". Ein Ausrutscher der Werbeindustrie war das nicht: Die Firma Durex hat die Idee vor wenigen Wochen noch einmal geklaut.
Dabei ist es besonders gemein, die Kinder selbst als das Ärgernis darzustellen. Erst recht wenn es um die Situation an der Kasse geht. Denn wer kann sich schon schützen vor der Süßkram-Attacke. Ein Beispiel aus einem ganz normalen, beliebig ausgewählten Supermarkt: Fast 4000 Überraschungseier werden vor zwei Kassen präsentiert. Dazu Riegel, Kaugummis, Hefte mit Gimmicks, Laserschwerter, Sammelkarten. Alles in einer Höhe unter einem Meter. Das ist die so genannte Quengelware.
Als mein Sohn Leo, fünf Jahre alt, seine stärkste Aktion an der Kasse brachte, rollten plötzlich kleine bunte Kugeln über den Boden. Während ich damit beschäftigt war, seinen kleinen Bruder Quinn (3) aus der Eistruhe zu ziehen, in die er wirklich fast hineingefallen war, hatte Leo eine Packung Kaugummikugeln aufgerissen. Diese schönen bunten, die es schon in unserer Kindheit gab. Bloß dass ich sie keinesfalls kaufen wollte. Immerhin, die Kassiererin blieb gelassen: „Lassen sie mal liegen", sagte sie. Das läuft nicht immer so freundlich ab. Und Eltern geben oft nach. Das ist nur allzu verständlich – man fühlt sich unter Druck und spürt die Blicke der anderen in der Schlange.
Kinder als begehrte Konsumenten
Kinder sind seit einigen Jahren massiv in den Fokus der Industrie geraten. Die Unternehmen haben einen neue Kundengruppe entdeckt: jung, impulsiv und so kaufwillig wie unkritisch. Es gibt inzwischen ganze Kongresse für Kindermarketing. Lebensmittel, die sich speziell an Kinder richten, gab es in den Achtzigern kaum, Ende der Neunziger standen knapp 100 solcher Produkte in den Regalen, und heute: über 300. Das hat das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung erhoben. Widerstand gegen all das regt sich erst jetzt, und das auch nur zaghaft.
Denn nicht nur der Stress ist ein Problem: Immer neue Studien zeigen, dass Zucker eher noch gefährlicher ist als bisher angenommen. Deutschlands Kinder werden dicker. Jedes siebte ist übergewichtig, Sechs Prozent sind sogar adipös, also gefährlich dick, sagt eine Studie des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Diese Zahlen sind seit Ende der Achtziger um rund 50 Prozent gestiegen. „Die Risikowahrnehmung der meisten Eltern ist so: Sie sind zunächst besorgt über Schadstoffe oder Chemikalien in Lebensmitteln. Eine ungesunde Lebensweise und Ernährung kommt bei den Elternsorgen erst an einer der hinteren Stellen", erklärt Suzan Fiack, Sprecherin des Bundesinstituts für Risikobewertung.
Gerade erst hat das Bundesinstitut gemeinsam mit dem Umweltbundesamt eine Studie zu „Umwelt und Kindergesundheit" herausgebracht. Viele Ergebnisse sind interessant oder sogar überraschend: Das so genannte Babywasser, das in der Drogerie verkauft wird, ist nicht unbedingt besser als Leitungswasser. Säuglinge sollten keinen Honig bekommen. Aber noch wichtiger: Deutschlands Kinder essen zu wenig Obst und Gemüse, aber zu viele Süßigkeiten, Snacks und gesüßte Getränke. An diesem Problem arbeitet die Industrie leider nach Kräften mit.
Manche Frühstücksflocken sind fast so süß wie Gummibärchen
Dabei sind die Happy Hippos und die Kinderschokolade von Ferrero, die teils immer noch mit dem Hinweis auf Milch angepriesen werden, also als scheinbar gesund, nicht das einzige Problem. Viele Lebensmittel enthalten versteckten Zucker. Eltern kommen erst einmal gar nicht darauf. Wer denkt bei „Cini Mini", lustigen kleinen Gebäckstücken mit Zimt, daran dass sie zu 32,8 Prozent aus Zucker bestehen? Oder Cooke Crisp, Frühstücksteilchen, sogar 35,8 Prozent. Und im Bioladen nicht unbedingt alles besser. Die „Amaranth Honig-Poppies" enthalten sogar 39,3g Zucker pro 100 Gramm, umgerechnet vierzehn Stück Würfelzucker wären das in einer mittelgroßen Müslischale. Und das bei einem Lebensmittel, das doch eigentlich als Getreidemahlzeit auftritt. Es hat beinahe den Zuckergehalt eines Gummibärchens. Und übrigens ist der manchmal als gesund angepriesene Honig für die Zähne genauso schädlich wie jede andere Zuckerart. „Manchmal ist es gesünder, den Karton zu essen", schreibt eine amerikanische Ernährungswissenschaftlerin dazu.
Die Organisation „Foodwatch" weist mehrmals im Jahr auf „Etikettenschwindel und Werbelügen" der Lebensmittelindustrie hin. Erschreckenderweise sind ein großer Teil der dabei angeprangerten Produkte Kinderlebensmittel. Foodwatch sagt etwa: Biene-Maja-Joghurt enthält viel mehr Zucker als Cola, Kinder-Schokolade gibt angeblich „gutes Kalzium", aber nur in verschwindend geringen Mengen, Capri-Sonne enthält kaum echten Saft, dafür viel Zucker, Ferdi-Fuchs-Würstchen sind viel zu stark gesalzen. Und das sind nur ein paar Beispiele. Immerhin, die von dem Ex-Grünen Thilo Bode geleitete Organisation Foodwatch ist schon ein Beispiel dafür, dass Kunden etwas bewirken können, wenn sie sich zusammenschließen. Der Protest, den Foodwatch organisiert, sorgte dafür, dass etwa der einst überzuckerte „Frucht-Tiger" heute ein Drink ohne Süßstoff und Aromen ist.
Eine Mutter protestiert – und der Supermarkt lenkt ein
Und man kann mit Aktionen auch im Kleinen Erfolg haben: In Berlin erreichte eine Mutter im Alleingang, dass ihr Supermarkt wenigstens eine süßwarenfreie Kasse einführte. Die Bloggerin Caroline Rosales von stadt-land-mama.de bemerkte erst als Mutter, wie die Supermarktkasse mit Süßwaren vollgestopft ist. Sie startete eine Petition im Internet und 700 Unterstützer gaben ihre Unterschrift. Die Marktleiterin ließ sich überzeugen: Eine Kasse ihres Geschäfts ist nun komplett süßwarenfrei. Weil sie über das Problem nachzudenken begann, hat die Unternehmerin dann auch noch gleich den Alkohol („Flachmänner") von der Kasse entfernt.
So schön solche Erfolge im Einzelfall auch sind – überall da, wo große Konzerne ihre Marketingstrategen losschicken, wird es für Eltern besonders schwer. Ferrero etwa, der Hersteller von Kinderschokolade und anderem, reagiert seit Jahren überhaupt nicht auf Kritik. Die Amerikaner, die in Sachen Verbraucherschutz oft handfester sind als wir, haben Überraschungseier dann übrigens komplett verboten.
Millionenumsatz mit Sammelkärtchen
Das neueste Ärgernis mit den großen Handelsketten sind Sammelfiguren und Karten. Das Unternehmen Topps, Hersteller von Sammelkarten wie „Force Attax", verzeichnet Jahresumsätze von rund 25 Millionen Euro. Die kleinen Pappkarten zu je 20 Cent halten unsere Schulkinder derzeit in den Händen. Jedenfalls Jungs. Mädchen werden eher vom neuen Ü-Ei in Pink angesprochen, oder von den „Stikeez". Die Figürchen, deren Fuß ein Saugnapf ist, gibt es bei Lidl. Mit jedem Einkauf über 25 Euro oder auch direkt gegen Bezahlung. Als Lidl dieses Versprechen im Sommer nicht mehr einhalten konnte, weil einfach keine Figuren mehr da waren, gab es eine Protestwelle auf der Facebook-Seite des Unternehmens. Genau dort gibt es, wie immer beim Thema Quengelware, übrigens auch viele zynische Kommentare: Ihr habt doch alle Eure Kinder nur nicht mehr im Griff, schreiben dann Menschen. Meist Männer. So einfach sieht die Welt aus, wenn man selbst kinderlos ist.
Unsere Kinder Leo und Quinn spielen jetzt mit Klorollen und buntem Papier. Wir haben, als die Star-Wars-Karten den Boden pflasterten, die Stikeez umherflogen und das Geschrei nach dem Spielzeug aus dem Überraschungsei, das es doch bei Oma immer gibt, zu groß wurde, eine spielzeugfreie Woche ausgerufen. Alles ist für sieben Tage in den Keller gewandert. Die Jungs haben erstaunlich fröhlich reagiert, sie lieben ja auch Neues. Das Ganze war eine Idee der Erzieherin. Die Begeisterung für Raumschiffe aus Karton und Klorolle ist genauso hoch wie für Kommerzfiguren.
Die Woche „ohne" ist natürlich keine dauerhafte Lösung – Totalverweigerung war noch nie ein kluger Ausweg. Schließlich haben wir alle gern mal eine Süßigkeit gegessen und auch das kommerzielle Spielzeug geliebt. Es kommt am Montag also wieder. Ein wenig freue ich mich auch selbst an den Star-Wars-Karten, war ich doch früher selbst Fan dieser Wesen. Das Imperium soll nur nicht gleich die ganze Herrschaft über mein Haus übernehmen.