Wenn Kinder lügen
Viele Kinder lügen (zumindest zeitweise), um sich von der Masse der anderen Kinder abzusetzen. Schwindeln und Erfinden gehören zur natürlichen Entwicklung von jüngeren Kindern. Lesen Sie, wie Sie mit den kleinen "Lügenbaronen" zurecht kommen.
Alle Kinder lügen manchmal
"Ich habe gaaanz viel echten Goldschmuck zu Hause und meine Oma will mir bald ein eigenes Pony schenken", erzählt die vierjährige Michelle der erstaunten Nachbarin. "Michelle, lüg’ doch nicht immer so", schimpft ihre Mutter, die daneben steht, ärgerlich. Michelle beharrt aber trotzdem steif und fest auf ihrer Geschichte und setzt eine trotzige Miene auf. Diese Situation ist charakteristisch : Eltern setzen ihre eigenen Wertmaßstäbe an und haben Angst, ihr Kind entwickle einen schlechten Charakter, wenn es ungerügt schwindeln darf. Lügen, so meinen viele Eltern, sei etwas, das man aus niederen Beweggründen tut. Mit dieser Einstellung tun Erwachsene Kindern jedoch Unrecht. Denn Kinder lügen aus den verschiedensten Gründen, aber kaum aus Bosheit.
Kinder lügen wegen der Fantasie
Bei Kindern im Kindergartenalter ist die Fantasie so lebhaft, dass sie fast selbst glauben, was sie da an unglaublichen Geschichten erzählen. Sie machen zudem gerade zum ersten Mal die Erfahrung, dass Worte und Wirklichkeit nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen, dass man eine andere Wirklichkeit einfach erfinden kann. Und das ist spannend und macht Spaß. Schließlich tun Mama und Papa ja auch nichts anderes, wenn sie abends die alten Grimm-Märchen vorlesen. Schwindeln und Erfinden gehören zur natürlichen Entwicklung von jüngeren Kindern und sind ein Zeichen dafür, dass ein Kind geistig lebhaft, intelligent und fantasiebegabt ist.
Keine Fehler eingestehen
Kinder schwindeln aber nicht nur, weil die Fantasie mit ihnen durchgeht. Oft wollen sie auch einer Strafe oder Gardinenpredigt entgehen, wenn zum Beispiel etwas zu Bruch gegangen ist. So behaupten Geschwister gern, nicht sie, sondern Bruder oder Schwester hätten die Kaffeetasse der Mutter umgestoßen, den Blumentopf umgeworfen oder der das Spielzeugauto ins Aquarium fallen lassen. Kommt diese Art des Schwindelns zu oft vor, sollten Eltern sich fragen, ob sie vielleicht zu streng auf "Verfehlungen" reagieren. Denn Kinder sollten Respekt, aber keine Angst vor ihren Eltern haben. Darum gilt auch generell: Seien Sie nicht zu streng in Ihrer Reaktion auf das Lügen. Damit erreichen Sie nur, dass Ihr Kind aus Angst in Zukunft noch besser zu schwindeln lernt.
Vor den Anderen imponieren
Eine der häufigsten Triebfedern für das kindliche Lügen ist der Wunsch, anderen zu imponieren oder größer zu erscheinen , als man ist. So behauptet der zehnjährige Lukas vor seinen Freunden cool und beiläufig, auch er habe den tollen Spätfilm gesehen, von dem die anderen gerade schwärmen. Obwohl seine Eltern ihn bereits um acht Uhr ins Bett geschickt haben. Er möchte nicht als "Baby" gelten und so zum verlachten Außenseiter der der Clique werden. Greift ein Kind häufig zu solchen Schwindeleien, deutet dies auf ein Problem mit dem Selbstwertgefühl hin. Hier können Eltern ansetzen, indem sie zum Beispiel Hobbies und Interessen fördern, die mehr Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit geben. Eine Sportart im Verein (Judo, Fußball) bringt nicht nur neue Freunde und ein besseres Selbstwertgefühl, man kann mit seinem Können und seiner Fitness auch im Freundeskreis viel "hermachen". Und noch ein Tipp: Wenn Sie eine Imponierlüge Ihres Kindes sozusagen life erleben, stellen Sie es auf keinen Fall vor anderen bloß. Fragen Sie erst hinterher, was es mit der Schwindelei auf sich hatte.
Erwachsene schwindeln auch
Es gibt noch einen Grund, warum Kinder es mit der Wahrheit manchmal nicht so genau nehmen: Weil das menschlich ist. Weil auch wir Erwachsenen – glaubt man den Psychologen – täglich mehr oder weniger ausgeprägt schwindeln . Oder sagen Sie Ihrer besten Freundin auf ihre Frage hin ganz ehrlich, dass die neue Frisur total schrecklich aussieht, ihr neuer Lover wie ein Schlunz wirkt und Sie von der Farbwahl ihrer Couchgarnitur Depressionen bekommen würden? Und lehnen Sie eine Abendeinladung, für die Sie zu müde sind auch wirklich mit der aufrichtigen Begründung ab, sie hätten einfach keine Lust? Und wenn Ihr Chef Sie kritisiert, weil Sie einen Fehler gemacht haben – berichten Sie zu Hause, dass er Recht hatte? Oder erzählen Sie lieber, wie schlecht gelaunt er mal wieder war und dass es mit ihm oft kaum zum aushalten ist...?