Ich mag den Freund meines Kindes nicht
Auch wer kinderlieb ist, findet meist nicht alle Kinder unterschiedslos sympathisch. Was ist, wenn sich das eigene Kind einen Freund oder eine Freundin sucht, die man nicht mag? Oder wenn das Elternhaus dieses Kindes bedenklich erscheint? Sollte man den Kontakt zu unterbinden versuchen?
Die Wahl des Kindes – oft nicht nach dem Geschmack der Eltern
Als Cornelia M.s* Sohn Lars (5) mit drei in den Kindergarten kam, suchte er sich dort rasch den größten Rabauken der Gruppe als Freund aus. Sehr zum Unbehagen seiner Mutter: „Lars ist eher ein sanfter Junge, und plötzlich hing er ständig mit einem Kind zusammen, das sich nicht in die Gruppe integrierte, andere Kinder schlug, biss oder ihnen alles aus den Händen riss.“ Als Lars das zweite Mal heftig von seinem neuen „Freund“ gebissen worden war, bat Cornelia die Erzieherinnen, die beiden mehr auseinander zu halten. Die aber zögerten, denn sie fanden eine Trennung innerhalb derselben Gruppe schwierig. „Sie sagten auch, Lars lasse sich von dem wilderen Jungen eigentlich nicht die Butter vom Brot nehmen. Diesen Eindruck hatte ich zwar auch, trotzdem verstand ich nicht, was Lars an dem Jungen fand, er sprach nie schlecht von ihm.“
Hanna O. hat mit ihrer Tochter Nuria (5) Ähnliches erlebt: „Nuria spielte eine Zeitlang vor unserem Haus gern mit einem Jungen aus der Nachbarschaft, der meiner Meinung nach verhaltensgestört ist: Er schrie mit ihr herum, war sehr dominierend, aggressiv und benutzte harte Schimpfwörter, die gar nicht zu seinem Alter passten. Nuria aber ist eher scheu und kann sich noch nicht so gut durchsetzen bei Gleichaltrigen.“ Hanna lud andere Kinder für ihre Tochter zum Spielen ein, machte Nuria auch Vorschläge, welche Nachbarskinder sicher auch sehr nett wären – dennoch blieb der „wilde Kerl“ ihr Favorit.
Der Reiz des Gegenpols
Das Sprichwort „Gegensätze ziehen sich an“ gilt offenbar auch bei Kindern. Gerade eher sanfte Kinder fühlen sich oft von den wilderen Vertretern fasziniert. Umgekehrt suchen selbstbewusste „Hans Dampfs in allen Gassen“ sich oft eher ruhigere Freunde. Und tendenziell aggressive Kinder bevorzugen nicht selten solche, die ihnen körperlich und mental nicht so viel entgegen setzen. Aber auch Unterschiede in der Herkunftsfamilie können interessant sein für ein Kind: Wenn es zu Hause besonders geordnet, sauber und diszipliniert zugeht, ist ein Elternhaus, bei dem das kreative Chaos regiert oder der Umgangston sehr burschikos ist, ein exotischer und spannender Gegenpol, den es näher zu erkunden gilt.
Bei den Freundschaften zwischen zurückhaltenden und eher ich-starken Kindern gilt: Die Eltern der „Ellenbogen-Kinder“ haben damit naturgemäß nur selten ein Problem - ganz anders die Eltern des (scheinbar) schwächeren Kindes. Sie haben nicht nur Bauchweh, weil Freund oder Freundin ihrem Kind vielleicht weh tun könnten oder ein schlechtes Vorbild sind. Sie fürchten fast noch mehr, ihr Kind habe vielleicht ein schlechtes Selbstwertgefühl oder zu wenig Durchsetzungskraft - weil es sich doch ausgerechnet so ein dominierendes Kind ausgesucht hat.
Bei Freundschaften zwischen Kindern aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern gilt Ähnliches: Die eher unkonventionellen Eltern machen sich hier fast nie Sorgen, die Vertreter geregelter Tagesabläufe und gepflegten Umgangs dagegen sehr viel mehr. Sie fürchten oft einen schlechten Einfluss auf das Verhalten des eigenen Nachwuchses.
Wer passt zu mir - Probieren geht über Studieren
Doch etwas Vertrauen darauf, dass das eigene Kind einen guten Grund für genau diese Freundschaft hat, verhilft zu mehr Gelassenheit. Manchmal nämlich übersehen Eltern, dass ein auf den ersten Blick unpassender Freund auch gute Eigenschaften hat – was das eigene Kind mit seinem vorurteilsfreien Blick längst gemerkt hat. Auch ein Kind, das völlig anders ist als das eigene, kann eine Bereicherung sein – so lange der eigene Nachwuchs sich mit ihm wohl fühlt und weder ausgenutzt noch schlecht behandelt wird.
Außerdem muss ein Kind auch selbst die Erfahrung machen, wer zu ihm passt und wer nicht. Elterliche Erklärungen können dies nicht ersetzen, denn: "Die Bedürfnisse der Kinder und der Eltern unterscheiden sich. Die Wertehaltungen sind unterschiedlich genau wie auch die Kriterien, nach denen man sich Freunde aussucht. Wir müssen und wollen auch aus eigenen Erfahrungen lernen. Und man lernt eben auch aus schlechten Erfahrungen, was gut für einen ist", erläuterte Diplom-Psychologin Elfriede Schweinzer, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle Roth/Schwabach. Das bedeutet: Je früher ein kleiner Mensch herausfindet, wer zu ihm passt und wer nicht, desto erfolgreicher wird er später Freunde wählen, die ihm gut tun.
Falsch ist nicht der Freund, sondern was er tut
Wenn ein Kind sich tatsächlich einen Freund ausgesucht hat, der sich schlecht benimmt oder aggressiv ist, ist es sehr verlockend für Eltern, diesen Freund madig zu machen („Der Jan ist ständig gemein zu dir, das ist doch kein Freund für dich!“). Es ist aber besser, nicht das fremde Kind als Person, sondern nur sein Verhalten zu kritisieren: „Ich finde es nicht gut vom Jan, wenn er anderen Kindern weh tut.“ Denn wer schlecht über Freund oder Freundin spricht, verletzt ungewollt auch das eigene Kind: Kinder fühlen sich herabgewürdigt, wenn man ihren Freund abwertet - den sie sich ja selbst gewählt haben.
Manchmal passiert es, dass Kinder ungünstige Verhaltensweisen vom Freund übernehmen: Sie werfen vielleicht plötzlich mit Schimpfworten um sich, sind aggressiver als zuvor oder übernehmen eine falsche Sprechweise: „Ich bemerke seit einigen Wochen, dass mein Sohn sein Sprachniveau sehr auf seinen ‚Freund’ einstellt. Er spricht ständig nur noch in Babysprache oder Drei-Wort-Sätzen. Das kenne ich von ihm gar nicht, er ist sonst sprachlich schon sehr weit“, beklagt sich eine Mutter in einem Elternforum. Eltern können hier aber auf ihre Erziehung vertrauen: Langfristig wird das Kind diese nur abgeschauten Verhaltensmuster wieder ablegen, meist schon nach wenigen Wochen. Trotzdem sollte man die schlechte Angewohnheit beim Kind ansprechen. Bei nachgeahmtem Falschsprechen kann man auch so tun, als ob man das Kind nicht verstünde, damit es den Satz noch einmal in normaler Weise wiederholt.
Wenn es um aggressives Verhalten geht, sollten Eltern deutlich sagen, dass sie dieses nicht dulden werden. Ist das andere Kind zu Gast, können Eltern ihm erklären, welche Regeln bei ihnen zu Hause gelten. Die meisten Kinder halten sich daran. Wer dies nicht tut, kann erst einmal nicht mehr zu Besuch kommen.
Was tun, wenn man die Eltern des Freundes nicht mag?
Knifflig wird es auch, wenn man vielleicht zwar das Mädchen oder den Jungen sympathisch findet, den sich der eigene Nachwuchs auserkoren hat, man aber das dazu gehörige Elternhaus nicht mag. Hier sollten Eltern sich zunächst fragen, ob diese Antipathie einen konkreten Grund hat, oder nur ein vages Gefühl ist. Wenn sich zum Beispiel bei Freund oder Freundin Kampfhunde ein fröhliches Stelldichein im Wohnzimmer geben, ist Vorsicht sicher berechtigt. Gleiches gilt, wo geraucht wird, stundenlang der Fernseher läuft, die Kinder kein anderes Spielzeug kennen als die Spielkonsole, oder wo Eltern aggressiv mit ihren Kindern umgehen. Hier sollte man abwägen. Wenn in Gegenwart von Kindern geraucht wird, einem die Haustiere der Gasteltern (oder diese selbst) nicht geheuer sind, kann man den Freund lieber immer zu sich nach Hause zum Spielen einladen. Um Misstöne zu vermeiden, kann man als Begründung eine Tierhaarallergie vorschieben oder behaupten, das eigene Kind bleibe noch nicht gern allein bei Fremden. Oft reicht es aber auch, den Gasteltern zu sagen, dass man nicht möchte, dass das eigene Kind woanders fernsieht, oder dass es nicht länger als 30 Minuten Wii und Co. spielen darf.
Manchmal entspringt die Abwehr aber auch eher diffusen Gefühlen und hat keinen wirklichen Grund. Dies kann passieren, wenn die Familie des befreundeten Kindes einen anderen sozialen Status besitzt als man selbst. Wenn sie also zum Beispiel sehr wohlhabend ist, oder umgekehrt, eher ein geringes Einkommen, keinen hohen Bildungsstand und vielleicht nur eine kleine Wohnung hat.
Manchmal verstellen Vorurteile den Blick
Hier kann man erst einmal genauer hinschauen, bevor man vorschnell auf Abwehr geht. „Meine Tochter Emmy experimentierte im Kindergartenalter in Sachen Freundschaft viel herum. Sie wollte ständig zu Kindern zum Spielen, deren Eltern ich überhaupt nicht kannte. Ich bin dann einfach mit ihr hingegangen“, erzählt Angelika W. „Manchmal habe ich schon gestutzt, wenn die Familie vielleicht in so einem ‚Wohn-Silo’ lebte. Oft hatten die anderen Eltern aber auch Berührungsängste vor mir und waren sehr nett, sobald sie merkten, dass ich offen auf sie zuging.“ Angelika ist froh, dass sie ihre Bedenken überwunden hat: „Mit den Kindern aus einfachen Verhältnissen hat Emmy oft besser gespielt, als mit manchen Kindern wohlhabenderer Leute. Sie war hinterher zufriedener. Vielleicht lag es daran, dass diese Kinder beim Spielen nicht so kontrolliert und gesteuert wurden.“ Und noch etwas fiel ihr positiv auf: „Gerade diese Kinder waren oft höflicher, wenn sie bei uns waren, als die manchmal allzu verwöhnten Kinder, die nicht einmal Danke sagen können.“
Wann sollten Eltern handeln?
Eltern sollten also die Freunde ihrer Kinder und deren Familie nicht vorschnell abstempeln. Bemerken Mütter und Väter aber, dass es dem eigenen Kind in der Freundschaft nicht mehr gut geht, dürfen sie auch eingreifen. Der erste Schritt ist, dem Kind zu sagen, dass man glaubt, dass diese Freundschaft ihm nicht gut tut, und dies auch zu begründen: „Ich sehe, dass du oft traurig bist, weil der Luca dir weh tut/nicht gut auf deine Sachen Acht gibt.“ Im Kindergartenalter kann man eine Freundschaft noch recht gut dosieren, indem man nachmittags keinen Kontakt zu dem betreffenden Kind pflegt. Auch die Erzieherinnen können für das Problem sensibilisiert werden und ein besonderes Auge auf die zwei Kinder haben, damit sie ggf. eingreifen können.
Bei älteren Kindern ist es nicht mehr so einfach, die Freundschaft zu steuern. Ein Verbot löst hier oft eine „erst-Recht-Haltung“ aus, macht den Freund besonders reizvoll oder wird durch Heimlichkeiten untergraben. "Besser ist es hier zuzuhören, nachzufragen, neue Freunde auch zu sich nach Hause einzuladen und zu versuchen, sie neutral kennenzulernen", rät Diplom-Psychologin Elfriede Schweinzer in einem Interview. Man sollte mit dem Kind im Gespräch bleiben und nötigenfalls auch immer wieder klar Stellung zum Verhalten des Freundes beziehen. Diese Strategie der achtsamen Begleitung und des gegenseitigen Austauschs mit dem Kind ist langfristig erfolgreicher als eine strikte „No-go-Haltung“.
Wenn die Freundschaft zu Ende geht
Hat sich eine Kinderfreundschaft, die man ungern gesehen hat, eines Tages erledigt, drängt sich schnell eine abwertende Bemerkung auf die Zunge: „Der / die war doch eh nix für dich!“ Doch dies sollten Eltern sich verkneifen. "Frustrationen gehören zu Freundschaften dazu. Kinder müssen lernen, damit umzugehen. Und da ist es wenig sinnvoll, wenn die Mutter die Rächerin der entehrten Tochter oder des gekränkten Sohnes spielt“, erklärte Erziehungsberater und Autor Jan-Uwe Rogge in einem Interview zum Thema. „Man sollte das Kind jetzt trösten und seine Trauer nicht kleinreden.“
Im Kindergartenalter lösen sich „falsche“ Freundschaften oft aber auch ganz sang- und klanglos auf. Denn im Kindergartenalter schwimmen viele Freundschaften noch eher an der Oberfläche. „Jüngere Kinder sind noch wenig in der Lage, tiefgehende Freundschaften einzugehen. Da sie noch weit mehr vom Nützlichkeitsdenken beherrscht sind, als von gegenseitiger Hilfestellung oder Unterstützung des Anderen, sind auch die Freundschaften mehr Zweckbeziehungen als innige Partnerschaft“, erklärt Kinderpsychotherapeut Dr. med. Rüdiger Posth aus Bergisch Gladbach in seinem Online-Beratungsforum.
Diese Erfahrung machte auch Cornelia: „Lars fand den Gruppenrabauken aus dem Kindergarten nach etwa einem dreiviertel Jahr völlig uninteressant, irgendwie war der Reiz weg. Die beiden spielten kaum noch miteinander, und Lars knüpfte mehrere neue Freundschaften.“ Hanna, deren scheue Tochter mit dem Wildfang aus der Nachbarschaft befreundet war, berichtet Ähnliches: „Das Ganze endete, als der Nachbarjunge Nuria einmal heftig biss. Sie war richtig blass und schockiert. Seitdem guckt sie den Jungen nicht mehr an. Sogar als seine Mutter kürzlich fragte, ob sie zu ihm nach Hause zum Spielen kommen möchte, schüttelte sie nur schweigend den Kopf.“
Blick des Kindes auf neue Kontakte lenken
Ob eine „suboptimale“ Freundschaft noch besteht oder bereits zu Ende ist – wichtig ist es, dem eigenen Kind zu zeigen, dass es noch mehr Kinder auf der Welt gibt, mit denen das Zusammensein Spaß macht. Eltern können herausfinden, welches Kind in der Nachbarschaft oder Kindergartengruppe eventuell Interesse beim eigenen Nachwuchs hervorruft. Dann kann man die betreffenden Eltern ansprechen („Jonas würde gern einmal mit Ihrem Paul spielen“) und deren Sprössling für nachmittags einladen. Gute Kontaktmöglichkeiten für ältere Kinder gibt es auch in den Kinderturn-Gruppen der Sportvereine und bei Hobbys (Wassergewöhnungs- und Schwimmkurse, Musikschule, Malwerkstätten, Kinderjudo usw.). Je mehr Kontakte ein Kind hat, desto weniger Gewicht hat ein einzelner Freund. Vor allem sportliche Hobbys stärken außerdem das Selbstbewusstsein und das Körpergefühl, was vor allem zurückhaltenden Kindern hilft, sich auch gegenüber ihren Freunden gut zu behaupten.
*Namen geändert