Du bist nicht mehr mein Freund
Ein Streit kommt zwischen den besten Freunden vor. Doch wenn eine Kinderfreundschaft ganz zerbricht, kann dies für unsere Kinder ein kleiner Weltuntergang sein. Wie wir Eltern unseren Kindern jetzt helfen können.
Das Freundschafts-Aus kommt oft überraschend
Marie und Céline wohnen gleich nebeneinander. Fast seit sie laufen können, sind sie beste Freundinnen. Sie waren im selben Kindergarten, verbrachten lange Sommertage gemeinsam im Planschbecken oder malten Kreidebilder auf den Weg vor ihren Häusern. " Wenige Tage nach der Einschulung war alles anders", erzählt Maries Mutter. "Céline ignorierte Marie in der Schule vollständig und tat so, als ob sie sie nicht kennen würde. Manchmal machte sie sich mit anderen Mädchen auch über sie lustig. Dabei hatte Marie sich so gefreut, dass sie mit ihrer Freundin in dieselbe Klasse kam."
Wenn die beste Freundin oder der beste Kumpel "untreu" wird, ist das für ein Kind oft eine mittlere Katastrophe. Vor allem bei Kindern ab drei Jahren sind die Freundschaftsbande oft schon eng. Und auch die Eltern leiden mit ihrem am Boden zerstörten Kind meist sehr mit. Vor allem aber möchten Kind und Eltern verstehen, was eigentlich passiert ist. Doch diese Ursachenforschung verläuft oft im Sande, denn Kinderfreundschaften folgen eigenen Gesetzen
Übergänge stellen Freundschaft auf die Probe
Nicht selten hat ein Freundschafts-Aus bei Kindern gar keinen konkreten Anlass. "Man muss unterscheiden zwischen Freundschaften, die durch einen Streit oder einen Vertrauensbruch beendet werden, und denen, die einfach auslaufen", erklärt Diplom-Psychologe Dr. Horst Heidbrink in einem TV-Interview. Oft braucht eines der Kinder die Freundschaft schlicht nicht mehr, sie hat in seiner Entwicklung ihren Sinn erfüllt. Viele Kinderfreundschaften stranden daher - wie bei Marie und Céline - in Übergangssituationen. Das kann der Umzug in eine andere Stadt, der Wechsel vom Kiga auf die Grundschule, oder der Übergang auf die weiterführende Schule sein. Bei solchen Übergängen lernt ein Kind viele neue Mädchen und Jungen kennen - was oft mehr Reiz hat als die alte Freundschaft, die noch aus der vorherigen Lebensphase stammt.
Wenn alles mit einem großen Knall endet
Natürlich kommt es auch vor, dass eine Kinderfreundschaft in einem großen Showdown endet. "Ich bin nicht mehr dein Freund!" schallt es da erbittert, was beim anderen Kind Kummer und Bestürzung auslöst. Oft ist so ein Ende mit Knalleffekt aber nicht von Dauer, und während die Eltern sich noch sorgen, haben die Kinder sich manchmal schon wieder versöhnt. Kommen die Streithähne aber nicht wieder zusammen, steckt oft mehr dahinter. "Es ist möglich, dass sich ein Kind zum ersten Mal getraut hat, eine eigene Position zu beziehen, Grenzen zu stecken. Was für ein sonst angepasstes Kind nicht einfach ist. Denn das bedeutet, dass man sich auch mal durchsetzen muss und dabei vielleicht das Risiko eingeht, dass die Freundschaft beendet ist", erklärt Dipl.-Psychologe Ulrich Gerth, Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, in einem Online-Interview.
Verrat und Eifersucht lässt Freundschaften bröckeln
Auch das Gefühl, verraten worden zu sein, ist oft das Aus für die Freundschaft. "Illoyalität ist ein großes Thema", erklärt Dr. Heidbrink von der Fern-Universität Hagen. Wenn also der Freund etwas weitererzählt, das ihm anvertraut wurde, "oder einen vor Dritten bloßstellt, oder einem nicht zur Seite steht." Und auch Eifersucht lässt Kinderfreundschaften bröckeln. Denn Kinder haben oft ein starkes Besitzdenken: Sie möchten den Freund ganz für sich allein haben. Verteilt ein Kind seine Gunst plötzlich auch auf Andere, ist der bisherige Favorit gekränkt - und versucht nicht selten, das Kind unter Druck zu setzen, damit es nur mit ihm spielt. Das kann eine Zeitlang funktionieren, ist aber meist der Anfang vom Ende der Freundschaft.
Streit: Sollten Eltern eingreifen?
War es ein Streit, der zwischen den Kindern zur Funkstille geführt hat, können Eltern manchmal helfen. Sie sollten erklären, dass Streit zur Freundschaft auch mal dazu gehört, und vorschlagen, Freund oder Freundin nochmal zum Spielen einzuladen und zu schauen, ob es nicht doch wieder funktioniert. Am besten ist hier ein "neutraler" Ort, wie ein Spielplatz, Spaßbad oder eine Indoor-Spielewelt.
Hat das eigene Kind den Freund oder die Freundin durch unfaires Verhalten gekränkt, können Eltern mit ihm auch darüber sprechen, warum der Andere sich schlecht gefühlt hat und nun sauer ist. Zum Beispiel, weil der eigene Sprössling eher dominierend und gern der "Bestimmer" ist oder fast nie sein Spielzeug abgibt. Hat sich der Freund aber abgewendet, weil das Kind sich zum ersten Mal selbst behauptet hat, sollten Eltern es darin bestärken, dass dies mutig und richtig war - auch wenn das andere Kind damit nicht zurechtkam.
Abkühlende Freundschaft - oft schwer zu retten
Wenn es aber keinen akuten Anlass gab, sondern das Interesse des Freundes einfach nachlässt, hat es oft weniger Sinn einzugreifen. "Bei uns begann es damit, dass die Freundin meiner Tochter sich über längere Zeit weigerte, bei uns zu spielen - es war aber okay, wenn unsere Tochter zu ihr zum Spielen kam. Das verschärfte sich dann, das Mädchen wollte gar nicht mehr mit unserer Tochter spielen und spielte lieber demonstrativ mit dem Nachbarjungen", erzählt eine Mutter in einem Elternforum. "Bei unserer Tochter gab es viele Tränen in der Zeit, und wir haben oft zusammen nach Gründen geforscht. Von der Freundin kam auf unsere Nachfrage keine Begründung." Solche Nachfragen des gekränkten Kindes oder auch seiner Eltern sind zwar verständlich, aber selten erfolgreich. Denn meist kann das andere Kind gar nicht erklären, warum es jetzt lieber mit jemand Anderem spielt.
Eltern können aber versuchen, die Freundschaft noch einmal wiederzubeleben, indem sie beide Kinder zu einer Unternehmung (Zoobesuch, Grillen, Spielpark, Kino) einladen. Gemeinsame Aktivitäten helfen manchmal auch, wenn die Freundschaft nur deshalb abgekühlt ist, weil eines der Kinder weggezogen ist. Hier können gegenseitige Besuche, gemeinsame Urlaube oder Ausflüge die Freundschaft manchmal lebendig erhalten.
Zu viel Intervention der Eltern kann schaden
Will eine Freundschaft aber nicht mehr an Fahrt gewinnen, sollte man das andere Kind ziehen lassen. Zuviel gutgemeinte Hilfe kann nach hinten losgehen. "Célines Mutter versuchte damals, die Freundschaft unserer Töchter zu retten", berichtet die Mutter von Marie. "Sie bestand darauf, dass ihre Tochter unsere Marie zum Geburtstag einlud. Céline sagte dann irgendwann in Maries Gegenwart, dass sie die Einladungskarte überhaupt nicht hatte schreiben wollten und Marie auch gar nicht dabei haben wollte. Das war ein schlimmer Moment, Marie erstarrte förmlich."
Den Freund nicht schlecht machen!
Ist eine Freundschaft wirklich aus, rät Ulrich Gerth, ruhig zu bleiben und dem Kind den Halt zu geben, den es braucht. "Am meisten Sinn macht es - auch, wenn es zugegebenermaßen schwierig ist - Ruhe zu bewahren." Man könne dem Kind nicht helfen, wenn man in denselben Gemütszustand gerate. " Wichtig ist, erst einmal zu trösten, zu beruhigen und vor allem vorsichtig zu sein mit Einschätzungen der Situation."
Die Erwachsenen sollten das andere Kind außerdem nicht schlecht machen, denn das lindert den Seelenschmerz von Tochter oder Sohn nicht. Im Gegenteil: Das Kind fühlt sich mit entwertet, weil es sich die den Freund selbst ausgesucht hat und stolz auf die Freundschaft war. Besser ist es zuzuhören und zu zeigen, dass man seine Gefühle versteht.
Das verlassene Kind hofft oft lange
Den "treulosen" Freund nicht zu verurteilen ist besonders schwer, wenn das eigene Kind sich noch lange an der Freundschaft festklammert. "Obwohl Céline Marie in der Schule nicht beachtete, kam sie nachmittags noch manchmal zu uns rüber. Ich konnte es mir nicht verkneifen, Marie anzustacheln: 'Nun sag' doch der Céline mal, wie blöd du es von ihr findest, dass sie dich in der Schule nicht kennt, aber nachmittags plötzlich mit dir spielen will'", erzählt ihre Mutter. "Aber Marie antwortete nur: 'Aber wenn ich das mache, kommt Céline am Ende gar nicht mehr zu mir!'"
Wie Marie geht es vielen Kindern: Sie hoffen noch lange, dass alles wieder so wird wie früher, freuen sich über jedes noch so kleine Zeichen von Zuneigung oder laufen dem Freund sogar nach. Eltern sollten jetzt Geduld haben. Denn dass das andere Kind nicht mehr viel für die Freundschaft empfindet, heißt nicht, dass sich auch die Gefühle des eigenen Kindes verändert hätten.
Gelegenheit macht Freunde
Was Eltern jetzt tun können: Situationen schaffen, in denen ihr Kind neue Kontakte knüpfen kann. Vielleicht gibt es in der Kiga-Gruppe oder Klasse ein Kind, das es sympathisch findet und das man nachmittags einladen kann, damit die Kinder vertrauter werden. Auch in Spiel- und Turngruppen für Kindergartenkinder (Turnvereine, Familienbildungsstätten) oder bei Hobbys für Schulkinder (Fußball-Bambini, Kinder-Malgruppe, Schwimmen, Kinderchor, Pfadfinder) ergeben sich häufig neue Freundschaften.
Eine bewältigte Krise stärkt
Auch wenn wir unserem Kind schmerzhafte Erfahrungen wie das Ende einer Freundschaft lieber ersparen würden - sie haben auch positive Aspekte. Jede bewältigte Krise stärkt die Resilienz des Kindes, also seine Widerstandsfähigkeit gegen die unvermeidbaren Widrigkeiten des Lebens. Und es bekommt ein wertvolles Plus an Erfahrung: Es weiß jetzt besser, welches Kind mit welchen Eigenschaften zu ihm passt, oder wie ein guter Freund sich verhalten sollte. Dass ein Freundschafts-Aus nicht nur schlechte Seiten hat, erlebte auch die Mutter, deren Tochter zugunsten des Nachbarjungen im Stich gelassen wurde: "Wir haben danach eine Zeitlang oft andere Kinder aus dem Kindergarten eingeladen. Bald ging es aufwärts. Das Ende der Freundschaft war nicht nur negativ. Es eröffnete auch Raum und Zeit für neue Freundschaften."