Männer? Seid Ihr noch da?
Leben wir Frauen, sobald wir Mütter geworden sind, eigentlich auf einem anderen Planeten? Und zwar auf einem, den alle Männer im Fluchtreflex vor Muttertieren verlassen haben. Denn auf dem Spielplatz, beim Abholen im Kindergarten oder beim Kinderturnen: Kein Exemplar in Sicht.
Kommt Ihr Montag zum Laternenbasteln?
Ich bin jetzt seit fast sechs Jahren eine in Teilzeit berufstätige Mutter zweier Söhne. Und je länger dieser Zustand anhält, desto mehr erhärtet sich mein Verdacht, dass in dieser Welt gar keine erwachsenen Männer mehr existieren – außer vielleicht ein paar letzten Mohikanern und natürlich meinem Ehegatten. Ich glaube wirklich, sie haben sich an einem geheimen Treffpunkt versammelt und von außerirdischen Raumschiffen abholen lassen. Gelegentlich frage ich meinen Mann danach, aber er weiß von nichts. Oder er tut zumindest so: „Wieso, was haste denn, ich bin doch da!“ Ja, mein Lieber, du bist da. Zum Glück. Aber mir ist so, als hätte es eine Zeit gegeben, in der noch mehr Männer als nur du auf dem Planeten herumliefen. Oder spielt mir meine Erinnerung da einen Streich? Denn die Realität, in der ich lebe, sieht anders aus.
Ob beim Bringen und Abholen im Kindergarten oder auf der harten Zuschauerbank in der Sporthalle – weit und breit fast nur Frauen in Sicht. Von den allermeisten kenne ich zumindest den Vornamen und die Vornamen der zugehörigen Kinder, den Beruf und die ungefähre Wohnsituation. Von nicht wenigen weiß ich auch, welche Sorgen sie momentan umtreiben: 1) Tochter humpelt so komisch, aber Kinderarzt weiß nicht, woran es liegt; 2) Ehemann möchte die Kinder seinen Eltern im Libanon vorstellen, deutsche Frau traut sich aber nicht hin; 3), Göttergatte und Kinder besetzen den ganzen Tag das Klo, sodass Frau neulich sogar zur Nachbarin ausweichen musste; 4) … Wenn man jede Woche ein Stündchen nebeneinander hockt und beobachtet, wie die Kinder ihre ersten Tore schießen, entsteht doch eine gewisse Verbundenheit. Jedenfalls unter Frauen. Doch die Wesen in dunklen Mänteln und Jacken, die zumindest hin und wieder durchs Bild huschen und wahrscheinlich Männer sind (man könnte es genauer ermitteln, wenn man sie zu fassen bekäme), scheinen davon nichts zu spüren. Höchst effizient streifen sie ihren Kindern die Hausschuhe über und liefern sie sie beim Kindergartenpersonal ab. Dann huschen sie auch schon wieder zur Tür hinaus, ohne ein überflüssiges Wort über die Lippen zu bringen. Wenn man Glück hat, wird man mit einem kühlen Kopfnicken bedacht. Wie wär’s mit ein paar freundlichen Worten, so von Papa zu Mama: „Findet ihr die acht Euro monatlich für die Ausflugskasse nicht auch ein bisschen viel? Kommt ihr Montag oder Dienstag zum Laternenbasteln?“ Fehlanzeige. Als ich es neulich wagte, auf eins der Wesen im dunklen Mantel zuzugehen und ihm eine Geburtstagseinladung fürs Kind in die Hand zu drücken, zuckte es richtig zusammen. Brubbelte dann „Mhm. Danke.“ in den Mantelkragen und verschwand. Ich verwette meine neue Mango-Jeans darauf, dass das Wesen meinen Geburtstagsjungen unter den 39 anderen Kindern in der Gruppe nicht hätte identifizieren können. Und auf ein bisschen netten Smalltalk („Oh, vielen Dank, das ist aber schön! Wie alt wird dein Sohn denn? Habt ihr einen Geheimtipp für ein kleines Geschenk? Wer kommt denn sonst noch?“) hoffte ich natürlich vergeblich.
Keinerlei Faszination durch Muttertiere
Beim Sport dasselbe in Grün. Unter den etwa 25 Frauen sitzen donnerstags üblicherweise ganze drei Männer. Sollte man nicht meinen, die fühlen sich wohl, so als Hähne im Korb? Sollte man nicht erwarten, die nutzen die Gelegenheit, in unverfänglichem Geplänkel ihren Marktwert zu testen, wie das normale Männer so tun? Nichts da, anscheinend üben wir Muttertiere keinerlei Faszination mehr auf sie aus. Von dem einen sieht man immer nur die Beine unter dem Laptop hervorschauen. Der zweite sieht toll aus, spricht aber auch nicht viel mehr: Typ Südländer, Henriquatre-Bart, macht bei den Aufwärmübungen mit seinen Jungs eine angenehm sportliche Figur. Als er einmal mit Gipsarm auftauchte, sah ich meine Chance gekommen und fragte mitfühlend, was denn da passiert sei. Dann allerdings bekam ich frei heraus zu hören, er habe sich neulich derart betrunken, dass er beim Entsorgen der Bier- und Weinflaschen kopfüber die die Glastonne gestürzt sei (Das denke ich mir jetzt nicht aus! Das hat er wirklich gesagt!). Na gut, dachte ich, man muss auch nicht auf Teufel komm raus mit dem letzten Mohikaner plaudern. Entweder die Geschichte hat sich wirklich so zugetragen, dann sehe ich eigentlich nicht, was ich dem Kerl meinerseits an coolen Geschichten zu erzählen hätte. Ich hab’ zwar noch eine Dose Whisky-Cola im Kühlschrank, aber wann ich die mal trinken werde, steht noch nicht fest, und bisher habe ich einen sicheren Stand vor der Grüner-Punkt-Tonne bewiesen. Oder aber Mr. Henriquatre wollte bloß meinen Gesprächsversuch abblocken und hat die Glastonnengeschichte erfunden. Dann will ich mich nicht weiter aufdrängen.
Tja, und dann ist da noch der dritte Mann aus der Sporthalle, der sieht jetzt nicht besonders aus (klein, Nasenhaare, beginnende Glatze), ist aber sehr nett. Er hat drei Kinder und bringt es fertig, gleichzeitig die eineinhalbjährige Tochter vor Unfällen zu bewahren, den fünfjährigen Sohn beim Fußball anzufeuern und dem neunjährigen Sohn Bälle zuzuwerfen, damit er sich nicht langweilt. Eigentlich echt ein guter Mann. Aber erstens ist er eben ziemlich beschäftigt, und zweitens stürzt sich in den seltenen Momenten, in denen er mal nicht beschäftigt ist, gleich die Hälfte der anwesenden Frauen auf ihn! Und um mich unter den gackernden Hennen einzureihen, dazu bin ich mir dann doch zu schade…
Früher, als ich noch keine Kinder hatte...
Aber wo in meinem Alltag soll ich sonst Männer finden? Ich arbeite vom heimischen Schreibtisch aus – da kommt keiner vorbei. Ein, zwei Mal im Monat gehe ich auch mit Freundinnen aus. Dann fahren wir in eine der Kneipen, in denen wir es zu Studentenzeiten haben krachen lassen. Aber natürlich setzen wir uns angesichts der daheim wartenden Kindspapas nicht vorne an die Bar, trinken uns ein Glitzern in die Augen und quatschen fremde Kerle an. Nein, wir suchen uns einen gemütlichen Tisch in der Ecke, trinken zwei, drei gepflegte Whisky-Cola und reden über – Frauenthemen.
Das ist ja auch eigentlich nicht weiter schlimm, ich interessiere mich sehr für Frauenthemen. Aber verflucht noch mal, ich vermisse die Männer in meinem Leben! Es geht ja gar nicht ums Flirten und Begehrtwerden, aber die Welt besteht nun mal aus zwei verschiedenen Geschlechtern. Und das ist doch ungerecht, wenn eins davon einfach komplett von mir abgeschirmt wird! Früher, als ich noch keine Kinder hatte und ganztags arbeiten ging, da gab es sie noch: Männer, die fragten, ob ich eine mit ihnen rauchen gehe (damals rauchte ich noch), Männer, die mir Komplimente machten, Männer zum Beobachten und Vergleichen, zum nach-ihren-Freundinnen-Ausquetschen, wenn man abends in größerer Kollegenrunde einen trinken ging, und meinen besten Freund aus Studententagen. Diese Männer, die nervten gelegentlich mit ihrem typischen Männerhumor („Was sagt man, wenn eine Frau die Kellertreppe runter fällt? Bring Bier mit!“) und mit ihren unsensibel-praktischen Problemlösungsvorschlägen („Na, wenn dein Typ nicht gut im Bett ist, dann trenn dich doch und such dir ’nen anderen!“). Aber ach, was gäbe ich heute für einen blöden Frauenwitz und ein wenig Pragmatismus. Besonders, wenn unter uns Frauen mal wieder Zickenkrieg herrscht. Wenn jede über die Kinder der anderen lästert (ich auch) und eine der anderen süffisant mitteilt, wo ihre Kinder schon überall eingeladen waren. Ach, wie bin ich das manchmal leid! Und dann schaue ich sehnsüchtig den vorbei huschenden Wesen in ihren dunklen Mänteln und Jacken nach und denke: „Warum redest du nicht mit mir! Bitte rede doch mal mit mir! Sag irgendwas zu mir, das nur ein Mann sagen würde!“
Nur mal mit einem REDEN
Tun sie aber nicht. Also geh ich nach Hause und gestehe meinem eigenen Mann: „Mir fehlen die Männer in meinem Leben.“ Und er erschreckt sich gewaltig und fragt, ob ich fremdgehen wolle, und ich sage: „Himmel, nein, ich will doch nur mal wieder mit einem Mann REDEN!“ Und er sagt: „Aber warum denn, du hast doch mich!?“ Und ich sage: „Naja, mein Schatz, du redest aber abends nach der Arbeit nicht mehr besonders viel, weil du nämlich den ganzen Tag im Büro geredet hast, und zwar mit deinen Kolleginnen!“ Und er sagt: „Wieso, was hast du denn gegen Anne und Tanja und Melli und Pia? Darf ich nicht mal mehr mit denen REDEN?“ Und ich sage: „Natürlich darfst du mit denen reden… na ja, vielleicht nicht gerade stundenlang und auch nicht über allzu intime Themen, aber so grundsätzlich darfst du schon. Nur ist es eben ungerecht, dass du Frauen zum Reden hast und ich keine Männer!“ Und er sagt: „Aber was kann ich denn dafür, dass im Büro nun mal Frauen rumlaufen, soll ich mir lieber ’ne Stelle auf dem Bau suchen?“ Und ich sage: „Nein, natürlich nicht…“ und dann gebe ich auf, weil er mich sowieso nicht versteht.
Neulich fuhr ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten alleine mit dem Zug und – als wäre mein Flehen erhört worden – setzte sich ein Mann zu mir ins Abteil. Bingo! Ich muss mir nicht mal vorwerfen lassen, dass ich mich angebiedert hätte, denn er war es, der das Gespräch suchte. Das Problem dabei: Er war leider eigentlich gar nicht so toll. Er war einer von diesen auf Teufel komm raus Junggebliebenen, die zwar irgendwo ein Kind haben, sich aber nicht binden und ihre Freiheit nicht aufgeben wollen. Einer von denen, die mit Mitte 40 immer noch davon erzählen, dass sie mit 19 um die Welt getrampt sind, weil ihnen das spektakulärer erscheint als all die erwachsenen Dinge, die sie seither getan haben. Ich bin aber gerne erwachsen. Ich rede gerne über das Erwachsensein und die damit verbundenen Gefühle. Doch nun war dieser Mann eben ein Mann. Und ich wusste ja nicht, ob mir in Zukunft jemals noch einer begegnen würde. Also verließ mich mein gesundes Urteilsvermögen, und ich erzählte diesem eigentlich gar nicht so tollen Mann mein ganzes verdammtes Leben. Ich konnte mich irgendwie nicht stoppen. Tatsächlich bekam ich von ihm, was ich so sehr vermisst hatte: unsensibel-praktische Problemlösungsvorschläge („Na, wenn du gerne noch was von der Welt sehen willst, dann bring doch deine Kinder für ein Jahr zu deinen Eltern und fahr einfach los!“) und typischen Männerhumor. Aber so richtig befreiend war das nicht.
So wie ich das sehe, bleibt mir nur eine Möglichkeit: darauf zu warten, dass meine Söhne Teenager werden und ihre Teenager-Freunde mit zu uns nach Hause bringen. Diese angehenden jungen Männer werden mich garantiert mit genug Testosteron versorgen. In knapp zehn Jahren dürfte es soweit sein.