Was ist eigentlich familienfreundlich?
70 Prozent der deutschen Mütter arbeiten in Teilzeit, viele, weil sich so Beruf, Kind(er), Haus und Freizeit vereinbaren lassen. Trotzdem wird Teilzeit oft abgewertet – und ist obendrein gefährlich. Auch an anderen Stellen hakt es leider mit der Politik für Familien, findet urbia-Autorin Kathrin Wittwer.
Ist nur die Vollzeitarbeiterin eine gute Frau?
Ich sitze in der Falle. Sagen jedenfalls Finanzexperten und Frauenrechtler. Denn ich bin Mutter und arbeite in Teilzeit. Damit habe ich mich nicht nur karrieretechnisch aufs Abstellgleis befördert: Vor allem steuere ich auf eine düstere, entbehrungsreiche Zukunft zu. Ich verdiene nicht genug, um meinen Lebensstandard allein zu sichern, und die statistischen Chancen einer Scheidung mit anschließender Verarmung spätestens im Alter stehen klar gegen mich.
Schnappt die Falle zu?
Angesichts solcher Horrorszenarien kann ich mich schon förmlich in einem lausigen Seniorenheim verkümmern sehen, mit Renteneintritt schlagartig aus der Welt gefallen, vom Mann verlassen, vom Bildschirm der Kinder verschwunden und von allen Freunden vergessen. Und selbst diverse Sparmaßnahmen können an diesen Ängsten nichts ändern.
Geht es nach den Experten, ist meine einzige Rettung, mir schleunigst eine ordentliche Vollzeitstelle zu suchen. Noch vor ein paar Jahren hätte ich das sogar für selbstverständlich gehalten. Ich bin in einem Staat aufgewachsen, in dem es normal war, dass so ziemlich alle Mütter Vollzeit arbeiten gingen. Schlicht, weil man sie als Arbeitskräfte brauchte. Offiziell nannte man das Fortschritt und Gleichberechtigung – und wer wollte so was Tolles schon in Frage stellen? Erst seit ich selbst Mutter bin, sind mir die Belastungen eines solchen Lebens richtig bewusst. Und ich ärgere mich darüber, dass man Frauen auch heute noch unter dem unanfechtbaren Deckmantel der Gleichstellung moralisch zum emsigen Arbeiten verpflichten will. Ich persönlich bezweifle jedenfalls, dass (abgesehen von echten Feministinnen) alle Drängler, die einen größeren Einsatz von Frauen fordern, mehr Ehrgeiz und ein stärkeres Einbringen in Führungspositionen, dafür ausschließlich so hehre Gründe haben wie unser Recht zu sichern, uns im Beruf den Männern gleichzustellen. Irgendwie beschleicht mich doch der Verdacht, dass solche Forderungen eher Rechnungen wie der zur Behebung des Fachkräftemangels geschuldet sind. Die sagt nämlich: Wenn man bei Frauen eine höhere Erwerbstätigkeit und höhere Wochenstundenzahl durchsetzt, könnte man bis zu 2,1 Millionen zusätzliche Vollzeitkräfte gewinnen. Da wundert es auch nicht, wenn abwertend über die Erwerbstätigenquote von deutschen Müttern gesprochen wird: Drei Viertel von ihnen arbeiten zwar. Aber eigentlich täuscht das, denn die meisten haben ja „nur“ Teilzeitstellen. Offenbar zählt ordnungsgemäß nur mit, wer mehr Zeit auf der Arbeit als mit der Familie verbringt.
Teilzeit schafft Balance – und damit Zufriedenheit
Keine Frage: Wer als Mutter Vollzeit erwerbstätig sein möchte, für den muss diese Möglichkeit offenstehen und ohne Hürden zu nehmen sein. Ich zolle jedem, der das jeden Tag in Angriff nimmt, aufrichtigen Respekt. Doch so wenig, wie diese Mütter nach dem Motto „Du vernachlässigst Deine Kinder“ verurteilt werden dürfen, sollten sie zum Vorbild für alle erhoben werden. Denn was ist das Recht auf Teilzeit am Ende wert, wenn man in Teilzeitlern Unzulänglichkeitsgefühle weckt und ihnen mit möglichen Konsequenzen Angst einjagt? Wäre es nicht besser, solche Warnungen endlich durch attraktivere Rahmenbedingungen zu ersetzen? Ich bin ja nicht die einzige Mutter, für die Teilzeit eine höhere Familienlebensqualität bedeutet: Laut dem „Monitor Familienleben“ sind Mütter, die nach familiärer Auszeit mit 20 bis 35 Wochenstunden in den Beruf zurückkehren, zu 75 Prozent damit zufrieden. Hingegen würde die Hälfte der Mütter, die wieder eine Vollzeitarbeit antreten, lieber weniger arbeiten. Verständlich. Ich möchte meine Familie jedenfalls nicht mit präziser Zeitplanung, strategischer Organisation und perfektioniertem Multitasking managen müssen, um sie in einen vom Job dominierten Tagesablauf einzutakten.
Wie familienfreundlich ist unsere Politik?
In anderen Staaten geht das ja wohl auch, heißt es in diesem Zusammenhang gern, und die Frauen dort kriegen sogar mehr Kinder. Es ist das Wunschbild von Politik und Wirtschaft: Die parallele Behebung von Arbeitskräfte- und Nachwuchsmangel durch eine hohe Geburtenrate und hohe Erwerbstätigkeit. Dafür müssen sich Beruf und Familie vereinbaren lassen, fordern Paare. Die Politik schlussfolgert: Kinder dürfen den Eltern nicht beim Arbeiten im Weg stehen und setzt stark auf einen Ausbau der Betreuungsplätze, auch für Kinder unter 3 Jahren. So schaffe Familienpolitik die Rahmenbedingungen für Familie und Familiengründungen, meint unsere Familienministerin.
Ich will keinesfalls bestreiten, dass es enorm wichtig ist, Eltern eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen – auch ich mag meine Arbeit viel zu gern, um sie ganz aufzugeben. Trotzdem glaube ich nicht, dass sich echte Politik für Familien so dominant und hauptsächlich um mehr Krippen- und Kindergartenplätze drehen sollte. Davon, dass Eltern und selbst kleinste Kinder sich am Ende nur morgens und abends sehen, profitiert zwar der Arbeitsmarkt, aber nicht das System Familie. In der Realität des Alltags erleben so einige Elternherzen eine Zerreißprobe zwischen „Ich muss/will arbeiten“ und „Ich will mehr Zeit mit meinem Kind“. Was als notwendig fürs Einkommen empfunden und deshalb auch gefordert wird, muss sich nicht auch zwingend als Segen fürs Familienleben erweisen. Nur 21 Prozent der deutschen Bevölkerung glauben überhaupt, dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie grundsätzlich richtig funktionieren kann. Besonders Eltern mit Kindern unter drei Jahren finden diesen Spagat problematisch. Eine Konsequenz: Immer mehr Paare entscheiden, dass ein Kind, maximal zwei, unter diesen Umständen genug ist. Die Abnahme von Mehrkindfamilien ist der Hauptgrund für die schlechte Entwicklung unserer Geburtenrate. Sollte echte Familienfreundlichkeit nicht andere Ergebnisse erzielen?
Sind die anderen alle besser als wir?
Nein, es ist nicht alles übel an unserer Politik. Aber der moralische Druck (Schaut mal, wie gut das in anderen Ländern läuft), die Angstmache vor der Zukunft (Wie wollt Ihr ohne Arbeit/Vollzeit später von Euren mageren Einkünften leben) und die hintergründigen Implikationen steigender Betreuungsangebote (Sind die Kinder versorgt, gibt es keinen Grund, zu Hause zu bleiben) hinterlassen unangenehme Eindrücke. Mich überzeugt auch nicht das Argument, dass gerade die Sache mit der Fremdbetreuung woanders ach so wunderbar funktioniert. Zum einen bezweifle ich angesichts verschiedener Mentalitäten und Kulturen prinzipiell, dass sich Modelle anderer ohne Weiteres übertragen lassen. Zum anderen weiß ich nicht, ob die Leute dort tatsächlich glücklicher sind. Selbst in den skandinavischen Vorzeigestaaten bekommen Eltern nämlich weniger Kinder als sie sich eigentlich wünschen. Und schaut man zum gern genannten Vorbild Frankreich, proben dort gerade die jungen Frauen den Aufstand gegen das lang gelebte Idealbild des Feminismus „Kinder früh in die Krippe, Mütter schnell zurück in den Beruf“.
Es wird vor vielen Risiken gewarnt, die ein Kurs birgt, in dem Familieninteressen nicht ernsthaft beachtet werden. Nicht nur Gesundheit, Glück und Zufriedenheit des Einzelnen, von Beziehungen und Familien geraten da in Gefahr, sondern mit ihnen das ganze gesellschaftliche System. Die Warnungen kommen zum Beispiel von klugen Frauen wie Iris Radisch im Buch „Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden“. Oder von einer zweifellos streitbaren Eva Herman, die aber in „Das Prinzip Arche Noah. Warum wir die Familie retten müssen“ auch sehr bedenkenswerte Argumente aufführt. Sie kommen von zahlreichen Verbänden und Vereinen, in denen sich nicht zuletzt Kinderärzte, Psychologen, Pädagogen und Erziehungswissenschaftler für stärkere Familien einsetzen.
Alle müssen zu ihrem Recht kommen dürfen
Die Vorschläge für sinnvollere Politik und Maßnahmen zur Förderung von Familien sind vielfältig, reichen von Steuererleichterungen bis hin zu bezahlter Familienarbeit. Ein Gutachten für nachhaltige Familienpolitik von Soziologen der Humboldt-Universität zu Berlin aus 2005 zum Beispiel schlägt einen „intelligente[n] Mix aus Zeitoptionen, Infrastrukturangeboten und Geldtransfers“ vor, basierend auf der Erkenntnis, „dass die deutliche Mehrheit der befragten Mütter ein Modell präferiert, das ihnen die Gestaltung der Erwerbstätigkeit auch in Abhängigkeit vom Lebensalter der Kinder ermöglicht, um auch die Bedürfnisse der Kinder in die Zeitstrukturen des Erwerbslebens mit einbauen zu können. Die subjektiven Entscheidungen für unterschiedliche Lebensstile müssen von Staat und Gesellschaft akzeptiert werden.“ Es geht also mitnichten nur um mehr Betreuungsplätze. Eine Politik, die sich ehrlich um Familien kümmert, darf nicht nur den einen Weg für alle vorgeben. Sie muss Individualität achten. Und uns, statt uns mehr oder weniger in ein arbeitszentriertes Leben zu zwingen, echte Wahlmöglichkeiten eröffnen, dank derer wir ohne Existenzängste ganz offen für Kinder und Familie sein können.
Zum Weiterlesen
- Iris Radisch: Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden. Deutsche Verlagsanstalt. 2007. ISBN-13: 978-3421042583. 14,95 Euro.
- Eva Herman: Das Prinzip Arche Noah. Warum wir die Familie retten müssen. Pendo. 2007. ISBN-13: 978-3866121331. 18 Euro.
- Peter Mersch: Die Familienmanagerin. Kindererziehung und Bevölkerungspolitik in Wissensgesellschaften. Books on Demand. 2006. ISBN-13: 978-3833454813. 19,80 Euro