Kolumne „Fröhliches Familienleben"

Wie wir fröhlich aneinander vorbeireden

Eigentlich könnte es doch ganz einfach sein. Jemand sagt was, der andere versteht, was gemeint ist und antwortet angemessen. Aber Pustekuchen. Zum Beispiel die simple Aussage „Ich habe Hunger" steckt voller versteckter Zusatzbotschaften.

Autor: Felicitas Römer

Antworten auf nie gestellte Fragen und andere Kommunikationskrisen

Felicitas Roemer

Eigentlich könnte alles so einfach sein: Jemand sagt was, ein anderer versteht sofort, was dieser Jemand gemeint hat und antwortet angemessen. Das geht dann stundenlang friedlich so hin und her. Es gäbe keinen Streit und keine Kriege, Bridget Jones müsste nicht so viel Schokolade frühstücken, die Super-Nanny wäre arbeitslos und der Berufsstand des Psychologen ab sofort überflüssig.

 

Doch was wäre ein Leben ohne Loriot, der diese verflixten Kommunikationsstörungen so meisterlich zu parodieren versteht. Friedemann Schulz von Thun, seines Zeichens Hamburger Professor, wäre nicht zum meistgelesenen Guru der Kommunikationspsychologie avanciert, denn er hätte ja nie seinen dreibändigen Bestseller „Miteinander reden“ geschrieben. Und Mario Barth würde wahrscheinlich immer noch Telefonanschlüsse legen, wenn er nicht die Missverständnisse zwischen ihm und seiner Freundin so pointenreich auf der Bühne verbraten könnte. Kurzum: Das Leben wäre irgendwie langweilig, wenn wir nicht alle munter aneinander vorbei reden würden.

Der morgendliche Klassiker bei uns:

Ich: „Schatz, wann musst du weg?“
Er: „Ich muss um 10 Uhr anfangen.“
Das ist zwar eine klare Aussage, aber keine, die meine Frage beantwortet. Zur Erklärung: Wer als Freiberuflerin mit einem vielbeschäftigten Freiberufler zusammenlebt und mit diesem auch noch vier Kinder hat, buhlt täglich um jede Minute Arbeitszeit. Meine Frage zielt also darauf ab, zu erfahren, wann ich meinen Stift fallen lassen muss, um mich hinfort liebevoll meinen Kindern zu widmen. Nun leben wir in einer sehr sehr großen Stadt und die Anfahrtszeiten variieren infolgedessen zwischen 10 Minuten und zwei Stunden.

„Schahatz,“ näsel ich dann meistens leicht ungeduldig, „das war jetzt aber keine wirkliche Antwort auf meine Frage!“

Ein anderer Dauerbrenner:

Ich: „Liebling, weißt du, wo *beliebiger Name einer Stadt* liegt?“
Er: „Ja!“
Ich: „Wo denn?“
Er: „Irgendwo in *beliebiger Name eines Landes*.“
Ich: „Ja, aber wo da genau?“
Er: „Das weiß ich nicht, da muss ich nachgucken“.

Na toll. Oder auf dem Bahnsteig:

Ich: „Weißt du, welche Sitzplätze wir haben?“
Er: „Ja klar.“
Ich: „Welche denn?“
Er: „Da muss ich erst mal auf die Fahrtkarten schauen.“
Och nöö ne! Was frag ich eigentlich so dusselig, nachschauen kann ich schließlich selber!

Auch mit Kindern soll man ja bekanntlich viel reden. Also versuche ich hin und wieder, sie in ein Gespräch zu verwickeln:

Ich: „Wie geht’s dir?“
Kind: „Ganz gut.“
Ich (ins Grübeln kommend): „Also geht es dir nun gut oder nicht so gut?“
Kind (leicht genervt): „Mama, es ist alles in Ordnung, ich geh jetzt spielen.“

Und wehe, ich versuche herauszubekommen, was in der Schule los war:
Ich: „Wie war der Unterricht heute?“
Kind: „Wie immer“.
Ich: „Was heißt denn ‚wie immer’?“
Kind: „Normal eben.“
Auch regelmäßig ein kommunikativer Schuss in den Ofen:
Ich: „Was hast du denn heute gelernt?“
Kind: „Nix“.
Alternative Antwort: „Weiß ich nicht mehr.“ Auch nicht informativer. Wer blöde Fragen stellt, bekommt eben auch blöde Antworten. Oder gar keine.

Was die vermeinlich schlichte Aussage „Ich habe Hunger" so alles bedeuten kann

Doch es gibt noch schlimmere Kommunikationskrisen, etwa wenn scheinbar sachliche Aussagen unsachliche Gefühle auslösen. Nehmen wir zum Beispiel den simplen Satz: „Ich habe Hunger“. Man könnte ja meinen, dass diese Aussage eine Feststellung, eine reine Tatsachenbehauptung sei.

Nun muss ich dich aber leider enttäuschen, denn so einfach ist das natürlich nicht. Schließlich haben renommierte Wissenschaftler bewiesen, dass jede noch so schlichte Nachricht vier verschiedene Aspekte beinhaltet: Einen Sachinhalt, eine Selbstoffenbarung, einen Beziehungsaspekt und einen Appell. Die Aussage „Ich habe Hunger“ bedeutet auf der Sachebene vermutlich so etwas wie „Mein Magen ist leer und möchte beschäftigt werden.“ Auf der Selbstoffenbarungsebene könnte „Ich habe Hunger“ heißen: „Ich habe seit gefühlten 27 Stunden nichts mehr gegessen und kippe gleich aus den Latschen.“ „Ich habe Hunger“ aus dem Mund meines fünfjährigen Sohnes könnte auf der Appell-Ebene bedeuten: „Mach mir bitte was zu essen – und zwar schnell!“

„Ich habe Hunger“ aus dem hübschen Munde meiner Teenager-Tochter – mit leicht vorwurfvollen Unterton – könnte hingegen bedeuten: „Da ist ja schon wieder nur Zeug im Kühlschrank, das ich nicht mag!“ (Appell an Mama: „Kauf doch endlich mal wieder was Leckeres!“) Könnte, wohlgemerkt. Und nun wird es noch komplizierter. Denn wie ich das Gesagte verstehe, hängt davon ab, welches meiner vier Ohren gerade aktiv ist. Ja, du hast richtig gelesen. Laut Kommunikationstheorie haben wir nicht nur ein linkes und ein rechtes, sondern vier Lauscherchen: nämlich ein Sach-Ohr, ein Selbstoffenbarungs-Ohr, ein Beziehungs-Ohr und ein Appell-Ohr. Wäre ich also eine „sach-ohrige“ Empfängerin, hörte ich bei dem Satz „Ich habe Hunger“ keinerlei Vorwurf heraus. Nüchtern nähme ich zur Kenntnis, dass der Magen des Betroffenen leer ist.

Öffne ich aber hingegen mein Beziehungs-Ohr, so verstehe ich sofort: „Was bist du für eine schlechte Mutter, wenn du nie meinen Lieblings-Joghurt kaufst!“ Ist mein Appell-Ohr in Aktion, rase ich schnurstracks zum Herd, um ein schnuckeliges Drei-Gänge-Menü herbei zu zaubern. Mario Barth behauptet, dass Frauen Meisterinnen der „Subtexttechnik“ seien. In seiner schlichten Logik bedeutet das: Frauen sagen etwas, meinen aber etwas anderes. Doch sensibel wie wir nun mal sind, hören wir oft auch Dinge, die keiner gesagt hat. Das passiert mir zum Beispiel regelmäßig, wenn mein geschwächt wirkender Liebster abends in Haus stürzt und mit schmerzverzerrter Miene die drei bedeutungsschwangeren Worte „Ich habe Hunger“ hervorpresst. Sofort klappt mein Sach-Ohr zu, mein Beziehungs-Ohr wächst ins Unermessliche. Statt einem neutralen „Meine Magensäure braucht dringend Beschäftigung“ höre ich: „Wieso habt ihr mir schon wieder nichts Warmes übrig gelassen? Ich schufte mir hier den Buckel krumm und krieg abends noch nicht mal ein ordentliches Schnitzel!“ Natürlich versteht auch umgekehrt mein Liebster mich gelegentlich grundfalsch. Zum Beispiel, wenn ich nach einem Fortbildungswochenende das Wohnzimmer betrete und mir ein unreflektiertes „Wie sieht’s denn hier schon wieder aus!“ entfährt. Das Appell-Ohr meines Mannes ist riesengroß, sein Grinsen breit: „Wir räumen schon noch auf, keine Sorge.“

Ups, so war das doch gar nicht gemeint! Das war wirklich nur eine ganz sachliche Feststellung, Ehrenwort!