Praxistest: Computerspiele für Kinder
Wo ein Computer steht, da fasziniert er Kinder - auch schon im Vorschulalter. Wer seinen Kindern eine sinnvolle Beschäftigung am Bildschirm anbieten möchte, greift gerne zu Lernspielen. Aber wie kindgerecht sind diese eigentlich? Unser Testkind hat es ausprobiert.
Spaß ohne Leistungsdruck? Fünfjähriger testet Computer-Lernspiele
In drei von vier deutschen Haushalten steht heutzutage laut Hightech-Verband BITKOM ein Computer mit Internetanschluss. Und wo ein Computer steht, da fasziniert er Kinder. Sinnlos, sie davon fernhalten zu wollen, der PC gehört nun mal zum Alltag, genauso wie es zu den Erziehungsaufgaben der Eltern gehört, ihren Kindern einen vernünftigen Umgang damit beizubringen. Anstatt sie sich auf den Schoß zu setzen, während man bei Ebay CDs versteigert, lässt sich ihre Neugier zum Beispiel sinnvoll befriedigen, indem man ihnen Lernsoftware für Vorschulkinder anbietet.
Die Auswahl an Programmen ist groß, daher orientieren sich viele Eltern an den Bewertungen in Computermagazinen und Testzeitschriften. Eine sehr gute Bewertung bekommt, da die Kinder ja noch keine Anleitung lesen können, eine Lernsoftware, die sich selbst erklärt und über aussagekräftige Buttons durchs Spiel führt. Die Grafiken sollten einfach, farbenfroh und übersichtlich sein, die Sprecherstimmen professionell, sympathisch und ruhig. Damit die Vorschüler nicht unter Leistungsdruck geraten, ist es wichtig, dass sie für ihre Erfolge gelobt werden und dass der Spaß jederzeit im Vordergrund steht. Je abwechslungsreicher die Übungen sind, desto besser, auch sollten sie das Lernthema in leicht zu bewältigenden Häppchen vermitteln. (Einen guten Überblick über diese und andere Kriterien zur Bewertung von Lernsoftware gibt es zum Beispiel hier).
Wer bei der Auswahl nach den beschriebenen Anhaltspunkten vorgeht, macht schon mal nichts falsch, und auch die Testberichte der etablierten Produkttester geben eine gute Richtung vor. Aber: Eine pädagogisch wertvolle Lernsoftware macht Kindern noch lange nicht automatisch Spaß. Was bringt ein ausgeklügeltes Konzept, wenn der Funke nicht überspringt? Wer sich mit seinen Kindern an den Rechner setzt, um Lernprogramme auszuprobieren, wird feststellen, dass ihnen zum Teil ganz andere Dinge wichtig sind als den Experten.
Janosch - Meine große Vorschulbox
Pit ist fünf Jahre alt und ganz aufgeregt, als er zum ersten Mal seine eigene CD-Rom in Papas Computer einlegen und alleine auf dem Bürostuhl sitzen darf. „Janosch – Meine große Vorschulbox“ heißt das Programm von Terzio, das ihm mit Übungen aus den Fächern Deutsch, Englisch, Mathe und Sachkunde jede Menge Auswahl bietet. Dass Tiger und Bär, die er schon aus dem Buch „Oh wie schön ist Panama“ kennt, zu ihm sprechen, findet Pit toll, und er antwortet ihnen fröhlich, als könnten sie ihn verstehen. Über eine Landkarte klickt er sich zu den Übungen und kapiert sie sofort, denn sie werden ihm schön langsam vorgemacht. Im Krankenhaus wird zum Beispiel ein Fisch mit der Lupe untersucht. Fünf Schuppen bilden eine Symbolreihe, doch auf der sechsten Schuppe fehlt das passende Symbol. Wenn Pit es gefunden hat, schwimmt das geheilte Fischchen fröhlich im Fluss davon. Das probiert der kleine Tester so oft aus, dass bereits am dritten Nachmittag der Übungsvorrat erschöpft ist und wieder von vorn beginnt. Da wird es leider langweilig, zumal selbst die schwierigsten Symbolreihen am Ende des ersten Durchgangs keine allzu großen Herausforderungen für den Fünfjährigen darstellten.
Genauso gern besucht Pit den Bären in der Küche. Dort werden Zutaten gesucht, die „am Anfang gleich klingen“, also mit denselben Buchstaben beginnen. Zur „Tomate“ gehört die „Torte“. Daraus kocht der Bär kuriose Gerichte wie „Tomatenbrotsuppe mit Käse“ und dabei brutzelt es am Ende so richtig schön im Topf. Als Mutter fragt man sich, warum hier keine realistischen Rezepte eingesetzt werden: Tomaten, Hackfleisch und Nudeln gleich Spaghetti Bolognese – wäre das nicht auch ein schöner Lerneffekt? Aber nein, gerade die absurden Zutatenkombinationen findet Pit höllisch lustig und er soll ja seinen Spaß beim Lernen haben. Den hat er, und nicht nur das: Die Überraschung folgt am Abendbrottisch. Neben Aufschnitt und Brot ist auch Gemüse angerichtet. Pit nimmt sich eine Tomate und guckt sehr, sehr lange auf dem Tisch herum. Dann fragt er: „Klingt Teller am Anfang genauso wie Tomate?“ Die Eltern machen große Augen. Offenbar hat die Lernsoftware das Kind hier erfolgreich in seiner Alltagsumgebung abgeholt und ihm umgekehrt eine Fähigkeit mitgegeben, die es dort ausprobieren kann.
Was Pit überhaupt nicht mag, sind Aufgaben, bei denen es auf seine Reaktionsfähigkeit ankommt. In einer Übung soll er drei Blumen für Tante Gans pflücken, bevor die Raupe alle Blumen aufgefressen hat. Entgeistert starrt er auf das Kriechtierchen, das sich im Beet zu schaffen macht, und beginnt völlig unerwartet zu weinen. „Das ist mir zu schnell!“, ruft er unter Tränen und fährt hektisch mit der Maus herum, weil er vor lauter Aufregung vergessen hat, dass ein Klick auf den Pfeil die Aufgabe beendet. Nun kann von Pits Reaktion nicht darauf geschlossen werden, dass jedes Kind an dieser Stelle im Spiel Probleme hätte, doch sie zeigt, dass es fast unmöglich ist, eine Lernsoftware aus Kinderperspektive pauschal zu beurteilen. Die Stimmung kann von Aufgabe zu Aufgabe komplett umschlagen und dabei spielt nicht nur das Alter (wie es die Empfehlung auf der Verpackung suggeriert), sondern auch die Persönlichkeit des kleinen Spielers sowie seine Konzentrationsfähigkeit, sein Vorwissen und seine bisherigen Erfahrungen mit Gameboy, Konsole und PC eine große Rolle.
'Fragenbär Vorschule - Spielend Mathe lernen'
Dieses Fazit bestätigt sich, als Pit ein Wochenende später das Lernprogramm „Fragenbär Vorschule – Spielend Mathe lernen mit den kleinen Geistern“ aus dem Spielend Lernen Verlag ausprobiert. Hier geht es um logisches Denken, Formenverständnis und erstes Rechnen. Die Grafik, besonders die Eingangssequenz, in der der Fragenbär im rumpelnden Oldtimer zur Burg fährt, ist kinoreif, doch das beeindruckt Pit auch nicht mehr als die zweidimensionalen Janosch-Figuren. Aber Schlitzohr, das kleine grüne Monster, das ihn durch die Spiele begleitet, ist ihm genauso sympathisch wie Tiger und Bär. Wieder plaudert er munter drauflos und macht sich die Probleme der Figur zueigen. Schlitzohr hat Hunger und verlangt Knallerbsen aus sämtlichen Verstecken im Zimmer? Kein Problem! Doch noch besser kommen die originellen Übungen an: die Schültüten-Abfüllmaschine zum Beispiel, mit der Pit die richtige Menge an Geschenkpaketen einsortieren soll. Je phantasievoller der Spielzusammenhang, desto besser. Und: Je mehr lustige Geräusche, die das Bedienen der Maschinen begleiten, desto besser. Über ein ordentliches Scheppern kann sich unser Tester schlapplachen. Kleine Minuspunkte beim Fragenbär: Pit versteht die Übungen beim ersten Mal nicht ohne Mamas Hilfe. Zehn Durchgänge pro Aufgabe verlangen ihm ganz schön viel Durchhaltevermögen ab. Besonders beim Rollmausorchester wird’s ihm langweilig: „Immer nur dieselben Instrumente!“, mosert er, „und immer nur tausend Mal hintereinander auf denselben Knopf klicken!“ Als die Mäuse zum zweiten Mal von eins bis zwanzig und zurück zählen, springt er vom Stuhl auf und brüllt dem Rechner wild herumzappelnd Phantasiezahlen entgegen, wie um zu beweisen, das ER hier auch noch was zu melden hat.
'Englisch mit Felix'
Wie wichtig es für den kleinen Spieler ist, sich einbezogen zu fühlen, zeigt sich besonders beim Test der Lernsoftware „Englisch mit Felix“ von Langenscheidt, die sich an Vor- und Grundschüler, an Vier- bis Achtjährige richtet. Die Erwartungen sind hoch, schließlich wurde die Sprachreise, die 600 lehrplanrelevante Vokabeln im Gepäck hat, mit einem „sehr gut“ der Stiftung Ökotest und sechs Feibel-Mäusen ausgezeichnet. Und weil Pit in wenigen Monaten an einer Europaschule angemeldet werden soll und einen Englisch-Hörverständnis-Test absolvieren muss, kann er eine sinnvolle Vorbereitung gut gebrauchen.
Nachdem er jedoch seine tägliche halbe Stunde Computer-/Fernsehzeit mit Felix verbracht hat, bettelt er nicht wie sonst um ein paar zusätzliche Minuten. Der Hase hat ihn enttäuscht. Alles, was Pit tun konnte, war, auf irgendwelche Gegenstände zu klicken, die im Palast der Queen herumlagen, und sich Erklärungen dazu anzuhören. So hat er erfahren, wie Golf gespielt wird, woher die Shetlandponys herkommen, dass England, Wales und Schottland zu Großbritannien gehören und dass die Queen jeden Morgen mit einem Dudelsackständchen geweckt wird. Viel zu viel Input für einen Vorschüler. Pit will mitspielen, nicht zuhören! Drei Stofffetzen einzusammeln, aus denen die britische Flagge genäht wurde, und einen Schlüssel für das Ankleidezimmer der Queen zu suchen, reichen ihm an Interaktivität nicht aus. Zumal er die Aufgabenstellungen nicht mal verstanden hat, weil sie im zweisprachigen Redeschwall der Spielfiguren untergingen. Genauso wie die englischen Vokabeln, von denen keine einzige hängengeblieben ist. Für „golf caddy“, „dressing room“, „shetland pony“ und den Unterschied zwischen „bunny“ und „rabbit“ interessiert sich Pit nicht. Die Begriffe aus dem Themenkreis „Frühstück“ dagegen, die auf der Englisch-CD-Rom aus der Janosch Vorschulbox mit einem einfachen Memoryspiel geübt wurden, hat er schon nach drei Runden behalten. Die eingängigen Janosch-Liedchen à la „I like to eat, eat, eat apples and bananas“ machen ihm mehr Spaß als die komplexe Musik der „Crazy Hat Band“ bei Felix. Natürlich gibt es noch viel mehr Abenteuer mit dem Hasen zu erleben – eine Fahrt mit dem Golfwagen durch den Palast, Spiele und die Weiterreise nach Indien und Australien –, aber das mag Pit nicht mehr ausprobieren. Die angeblich „mitreißende Rahmenhandlung“ ist wohl eher was für achtjährigen Drittklässler, die in ihren Schulbüchern schon von England gehört und die vielleicht auch schon mal ein „Adventure“-PC-Spiel gespielt und das typische Anklicken und Weiterverwerten von Gegenständen verinnerlicht haben.
Es zeigt sich, dass Eltern wohl mehrere Lernprogramme ausprobieren müssen, bevor sie Themengebiete und Übungstypen gefunden haben, die zu ihrem Kind passen ( Testberichte zu weiteren Produkten hier!). Aber eins ist klar: Ohne Spaß, Spaß und noch mehr Spaß kommt eine Lernsoftware für Vorschulkinder nicht aus. Am allermeisten Spaß macht es Pit übrigens, wenn er nicht am Schreibtisch-PC spielt, sondern mit dem Laptop auf dem Schoß. Auch daran lässt sich eine Maus anschließen, und Mama, Papa und der Bruder können sich auf dem Sofa links und rechts neben ihn kuscheln und mitraten, mitsingen, mithelfen, miteinander sein.