Bye bye, Baby-Zeit!
Eltern wissen auch nicht, was sie wollen. Erst wünschen sie sich sehnlich, dass ihr extrem niedliches, aber oft schreiendes Baby endlich größer wird. Wenn sich der Säugling schließlich zu einem immer eigenständigeren Kleinkind wandelt, würden trotzdem viele gern die Zeit zurückdrehen und wieder in die innige Phase der Symbiose mit dem Nachwuchs eintauchen.
Ein neuer Lebensabschnitt beginnt
Zum ersten Geburtstag meiner kleinen Tochter habe ich mir was ganz besonderes ausgedacht: Eine dreistöckige Hochhaustorte soll es sein, mit allem Kitsch, den das Supermarkt-Regal für solche Fälle bereit hält. Süße Baiser, Mini-Maus-Figuren, das Ganze eingebettet in eine Lawine aus Sahne und Marzipan. Der vorherrschende Farbton steht natürlich auch längst fest. Seit der Ultraschalltest ergeben hat, dass uns nach zwei Jungs das lang ersehnte Mädchen ins Haus stehen würde, baden wir in rosa. Strampler, Söckchen, Shirts – mein quirliger Säugling erstrahlte von Anfang an in dem mir früher so verhassten Schweinchenpink. Bisher haben wir das auch trotzig durchgehalten. Klar, dass der Kuchen in Punkto Design da keine Ausnahme machen soll.
Was sich seit ihrer ziemlich rasanten Ankunft auf dieser Welt geändert hat: Mein gehätscheltes Töchterchen ist kein so hilfloses, winziges Mädchen mehr, auch wenn ich das manchmal ganz gerne verdrängen würde. Allmählich wird sie unabhängiger von mir, und das ganz im wörtlichen Sinn. Die ersten Schritte sind getan, weg von Mama, hin zu ihrem eigenen, immer selbständigeren Leben. Fast bin ich da froh, dass sie noch ziemlich wacklig auf ihren Beinen steht und sich bei ihren kurzen „Ausflügen" ständig nach mir umsieht. Irgendwann wird das mal nicht mehr der Fall sein. Ehrlich gesagt, fürchte ich mich davor schon jetzt, auch wenn ich diese Entwicklung fördern will und vom Kopf her weiß, dass es nötig und gut ist für mein Kind. Die Sachen, welche ihr zu klein sind, landen bei eBay oder einem Secondhand-Basar. Auf der einen Seite regt sich bei mir Freude, dass die stressige Babyzeit schwindet. Andererseits empfinde ich Wehmut: Ein Lebensabschnitt scheint unwiderruflich vorbei.
Pluspunkte beim Größerwerden
Ich finde ja, mein Noch-Krabbeltiger hat die süßesten O-Beine der Welt. Und weil sie immer wie ein Weltmeister sabbert, habe ich sie für mich etwas ironisch „meine Tropfsteinhöhle" getauft. Dieser kleine Nachwuchsmensch foltert den Gehörgang seiner Umwelt völlig ungeniert. Ihr Geplärr ist der Sargnagel für unsere Nachbarn, die mich beim Müllrausbringen zerquält angrinsen. Ich hingegen finde die Stimmlage meines Engels absolut melodisch. Außer um vier Uhr morgens vielleicht. Irgendwann wird sie ein stressiger Teenie sein, und ich möchte diesen desaströsen Moment so lange wie möglich hinauszögern. Meine Zuckerschnute soll keine dieser pickligen, ständig angenervten „Null Peilung!"-Zicken werden, sondern weiterhin ihre Mami und die Geschwister lieben (letzteres funktioniert allerdings schon jetzt nicht), Biene Maja genial finden und ihren Papa anhimmeln – was der übrigens sehr genießt, da ich selbst über diese Phase längst hinaus bin.
Na gut, ein paar Pluspunkte, die man beim Größerwerden der Kinder sammelt, wären schon ganz nett. Inzwischen bin ich nicht mehr so scharf auf den Geruch frisch betankter Windeln, was kurz nach der Geburt noch deutlich anders war: „O wie süß! Guck mal, wie angestrengt sie schaut, jetzt macht sie ihr Geschäft!!" Vorerst nennt sie unseren Kater lautmalerisch „Gack-gack" – verbrachte sie ein früheres Leben auf dem Hühnerhof? –, und wackelt mit ausgestrecktem Finger und hemmungsloser Freude auf das Tier zu. „Gack-gack!" Eventuell hat sie ja einen Sprachfehler, oder aber auch die Katze. Wird sie sich später noch für irgendwas so sehr begeistern können? Ich meine, für was halbwegs Sinnvolles?! Sie ist blond wie ich, aber wenn sie ihren Babyblues hat, scheint es, als ob plötzlich zehn Liter schwarze Farbe gegen die rosa Wände ihres Zimmers schwappen. Ihre 0,74 Meter haben mich voll im Griff. Sie kann eigensinnig und stur sein wie ein Büffel, aber immerhin wie ein besonders putziger kleiner Büffel. Von mir hat sie den dunklen Charakterzug natürlich nicht, absurde Idee.
Aus Mini wird Maxi
Ab und zu macht sie den Mund auf, und es kippt etwas Undefinierbares heraus, das beim Kinderarzt bestimmt Stirnrunzeln auslösen würde. Eine Murmel oder die Kapsel einer Mineralwasserflasche etwa. Aus ihrem Schlund ragen zwei rasiermesserscharfe Zähnchen, die sie gerne an Mamas Feinstrumpfhose erprobt. Und „Stiftung Säuglingstest" ist unerbittlich! Auch wir sehen längst so zerlegt aus, als wären wir unter der Fuchtel von Dirk Bach und Sonja Zietlow drei Monate durchs Dschungelcamp geschubst worden - aber was tut man nicht alles für sein unersetzliches Mini-me.
Mein Töchterchen soll mich bitte so lange wie möglich für den intelligentesten und sozialsten Menschen dieses Planetens halten, möglichst VOR Einstein und Mahatma Gandhi. Mit ihren drei und sechs Jahre alten Brüdern klappt das Vergöttertwerden leider schon jetzt nicht mehr („blöde Mama!!"), was ich mit der Gelassenheit eines Yogi zu ertragen versuche. Aus Mini wird irgendwann Maxi, und die Ansprüche wachsen mit den Zentimetern. Bislang kann ich mich noch mit einem Bio-Butterkeks freikaufen, wenn ich kurz Ruhe vor dem Gequängel-Gequietsche meiner Drittgeborenen haben will. Ich fürchte, dass der Tarif bald steigt und sich unaufhaltsam von Kino-Eintrittskarten über ruinös teure Spielekonsolen bis zu einem eigenen, bei Übergabe wohl noch beulenfreien Auto hochhangeln wird. Aber dann verdient der verwöhnte Spross ja sicher schon sein eigenes Geld, oder wir müssen Peter Zwegat rufen, den es in knapp zwei Jahrzehnten hoffentlich noch geben wird, und mit seiner gütigen Hilfe den familiären Insolvenzantrag stellen.
Ach wie süß, gerade hat mir mein Herzblatt mit ganz viel Liebe und Spucke einen ausgelutschten Zwieback in den Mund geschoben. Teilen ist ja so wichtig! Wie war das noch mit der Einladung zu ihrer Geburtstagsparty? Vielleicht entscheiden wir uns doch eher für einen bescheidenen Kuchen in Herz-Form, mein Gerade-noch-Säugling wird sich wohl nicht beschweren. Dass meine Kleine so selig lacht und mit meinen Anstrengungen zufrieden ist, darf ich sicher noch eine ganze Weile genießen. Das macht mir den Abschied vom hilflosen Wickelkind spürbar leichter. Mutti ist und bleibt eben die Beste. Wie die auf ihre (inzwischen weniger werdenden) Bambini versessenen Italiener wissen: „La mama è sempre la mama!" Also dann eben: „Bye, bye, Baby!" und: „Hallo, mein süßes Kleinkind!".