Seitensprung - und nun?
Ein Online-Institut zur Beratung von Frauen und Männern, die einen Seitensprung begangen haben oder gerade begehen, gibt es in Tübingen. urbia sprach mit der Pädagogin, die diesen außergewöhnlichen Service anbietet.
Beratung per Mail, Chat oder Telefon für Seitenspringer
Sie nennen sich flirt-fever, meinseitensprung oder ironisch bleibtreu.de. Online-Agenturen, die einen Partner für ein heimliches Abenteuer nebenher vermitteln, gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Ist ein Mann oder eine Frau mit festem Partner jedoch der Versuchung erlegen und in eine unerträgliche Situation aus Lügen, Verstrickungen und Gewissensbissen geraten, so blieb zur Unterstützung bei der Suche nach einem Ausweg aus dieser bitteren Lage bisher vor allem der Gang zum Paartherapeuten - ein Schritt, den viele scheuen. Neben einigen Psychotherapeuten, die inzwischen auch Online-Beratung für Menschen in einer Beziehungskrise anbieten, ist nun in Tübingen das erste Institut zur Beratung speziell von Seitenspringern und Seitenspringerinnen online gegangen. Die Pädagogin Ingrid Weichelt-Ueltzhöffer (51) bietet Menschen, die mitten im Seitensprunggeschehen stecken oder sich mit den Konsequenzen daraus auseinandersetzen müssen, Beratung per Email, Chat oder per Telefon, um aus dem Geflecht von Lügen und schlechtem Gewissen herauszufinden und sich neue Perspektiven zu erarbeiten. Die Preise liegen bei 15 bis 30 EUR pro Beratungseinheit.
urbia sprach mit der "Seitensprungtherapeutin" und Mutter von fünf Kindern über die Hintergründe von Untreue und Seitensprung und über ihre Lösungsangebote.
Den Weg zurück finden aus Lügen und Verstrickungen
Sie bezeichnen sich als Seitensprungtherapeutin. Wie wird man denn das?
Weichelt-Ueltzhöffer: Entlockt mir ein Lächeln. Die Berufsbezeichnung Therapeutin ist nicht geschützt, klingt auf jeden Fall besser als Beraterin. Damit werden nämlich Kontaktvermittlung und diverse Angebote verbunden. Als Pädagogin bin ich im beratenden Bereich tätig und habe durch meine Online-Studie spezielle Kenntnisse über Seitenspringer. Als Seitensprungtherapeutin bezeichne ich mich deshalb, weil es den Ratsuchenden darauf ankommt, aus der ganzen Problematik, die ein Seitensprung mit sich bringt, einen gangbaren Lösungsweg ins normale Leben zurück zu finden.
Warum ist Ihnen Beratung von Seitenspringern ein Anliegen?
Weichelt-Ueltzhöffer: Weil ich durch viele in Chats geführte Gespräche mitbekommen habe, wie einsam Menschen sein können, was sie sich von einer Zweitbeziehung erhoffen und was dann wirklich an Wünschen erfüllt wird.
Verfolgen Sie bei Ihrer Beratung bestimmte Ziele (Erhaltung von Beziehungen) oder beraten Sie ergebnisoffen?
Weichelt-Ueltzhöffer: So steht es auf meiner website: "Anhand gemeinsam erarbeiteter Lösungsstrategien suchen wir mit Ihnen den Weg zurück zu einem geregelten Leben, ohne schlechtes Gewissen, Lügen und Verstrickungen. Ziel ist es, aus dem Erfahrenen und Erlittenen zu lernen und die für Sie richtigen Konsequenzen ziehen, um Ihr Leben neu anzupacken."
Die Beratung ist ergebnisoffen. Wie sich ein Ratsuchender auch immer entscheidet, bleibt für alle Beteiligten spannend. Die wenigsten entscheiden sich meiner Erfahrung nach für den Seitensprungpartner, sondern bleiben bei ihrem festen Partner.
Deutlich mehr Männer als Frauen suchen Rat
Wie viele Menschen haben Sie bereits beraten? Und wie ist das Verhältnis von Männer und Frauen?
Weichelt-Ueltzhöffer: Es sind inzwischen weit über 600 Personen, einige davon begleite ich schon seit längerem auf ihrem Weg. Der Männeranteil beträgt ca. 90 Prozent. Frauen reden mit mir über ihren Seitensprung, sind aber bei der Entscheidungsfindung – in welche Richtung ihr Leben nun weitergeht – wesentlich zielbewusster und besprechen ihre Lage auch mit Freundinnen. Der Beratungsbedarf ist deshalb bei Männern größer und auch die Entscheidungsfindung eine andere.
Was sind so die Fragen und Probleme, mit denen sich Seitenspringer an Sie wenden?
Weichelt-Ueltzhöffer: Insbesondere haben sie Probleme mit dem Lügen gegenüber ihrem festen Partner, suchen nach Lösungswegen aus ihrem Dilemma und fragen sich, wie sie den Ansprüchen ihres Seitensprungpartners genügen können. Groß ist die Angst bei Seitenspringern, sich für den "falschen" Partner zu entscheiden. Sie stellen sich die Frage, ob sie den Seitensprung dem festen Partner gestehen sollen und wie sie sich gegebenenfalls von ihrem Seitensprungpartner trennen.
Sie haben eine Online-Studie zum Thema Seitensprung entwickelt und durchgeführt: Welche Erkenntnisse haben Sie daraus über Seitenspringer gewonnen?
Weichelt-Ueltzhöffer: Die meisten Seitenspringer leben erst seit ein bis fünf Jahren in einer festen Beziehung. Den Seitensprung gestehen sich viele ohne Schuldgefühle dem festen Partner gegenüber zu, wenn sie in ihrer festen Beziehung nicht das bekommen, was sie gerne hätten (erfüllender Sex, häufiger Sex, begehrt werden, mehr miteinander reden usw.). Sie glauben, ihrem festen Partner nichts wegzunehmen, weil er ihnen den Eindruck vermittelt, diese "Dinge" gar nicht zu wollen. Und: War es "nur" ein One-Night-Stand, zählt es für die meisten nicht als Seitensprung.
Männer suchen Sex, Frauen wollen begehrt werden
Warum bzw. in welcher Situation kommt es nach Ihrer Erfahrung zum Seitensprung? Und was unterscheidet Frauen und Männer dabei?
Weichelt-Ueltzhöffer: Für beide Geschlechter gilt: Sexuelle Unzufriedenheit mit dem festen Partner, der festen Partnerin. Oder einfach eine günstige Gelegenheit. Die Männer sind in erster Linie auf der Suche nach Sex und Erotik, haben Lust auf den Reiz des Neuen. Frauen wollen in erster Linie das Gefühl vermittelt bekommen, wieder begehrt zu werden, sehnen sich nach Schmetterlingen im Bauch.
Worin sehen Sie die Gefahr und worin die Chance eines Seitensprungs?
Weichelt-Ueltzhöffer: Es besteht die Gefahr, dass der feste Partner Anzeichen der Untreue sieht und zu spionieren beginnt. Dadurch wird die feste Beziehung sich natürlich verschlechtern. Die Chance besteht darin, dass der Seitenspringer neue Gefühle erlebt. Seine Bedürfnisse werden gestillt, wodurch er ausgeglichener ist und wovon der feste Partner profitieren kann.
Wird der Seitensprung entdeckt, besteht die Gefahr, dass sich der betrogene Partner verletzt und gedemütigt fühlt und die feste Beziehung beendet. Ein entdeckter Seitensprung kann aber auch neues Leben in eine feste Partnerschaft bringen. Lange vernachlässigte Bedürfnisse können wieder befriedigt werden, weil die Partner darüber reden. Ein Neuanfang kann gelingen.
Ein Beispiel: Eine verheiratete Frau mit zwei Kindern im Kindergarten- und Schulalter hat seit einem Jahr einen Liebhaber. Sie liebt ihren Mann und ihre Familie, möchte beide nicht verlieren, findet aber bei ihrem Liebhaber Eigenschaften, Interessen, vielleicht auch erotische Erfüllung, die ihr in ihrer Ehe fehlen. Das Lügen belastet sie sehr. Was würden Sie dieser Frau raten?
Weichelt-Ueltzhöffer: Ich würde ihr raten, ihrem Mann nichts von ihrem Seitensprung zu erzählen. Sie sollte die Kommunikation zu ihrem Mann verbessern, ihm von ihren Wünschen und Sehnsüchten erzählen. Das klingt einfach, ist es aber meist nicht. Der feste Partner ahnt oft nicht, was dem anderen in der Partnerschaft fehlt. Ihre Belastung durch das häufige Lügen verschlechtert ihre Beziehung zu ihrem festen Partner noch mehr. Durch zu viele Lügen werden Außenbeziehungen oft aufgelöst; dazu würde ich ihr in diesem Fall auch raten. Durch die Außenbeziehung weiß sie jetzt, was ihr fehlt. Diese Defizite beim festen Partner ansprechen. Wenn es ihr gelingt, vom festen Partner das zu bekommen, was ihr der Liebhaber gibt, wäre es die ideale Lösung. Und wenn nicht? Wird sie immer wieder bei einem anderen suchen, was ihr der feste Partner nicht gibt, nicht geben will. Den Versuch sollte es ihr wert sein, klappt es auf Dauer nicht, hilft vielleicht eine Paartherapie weiter.
Das Institut für Kommunikations- und Verhaltenskultur (ikvk) und die Online-Beratung für Seitenspringer finden Sie hier: www.ikvk.de.
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