Spaß oder Seitensprung?

Wenn der Partner Pornos schaut

Frauen, die im gemeinsamen Computer darauf stoßen, dass ihr Liebster gerne Pornoseiten besucht, sind oft schockiert und fühlen sich betrogen. Mit Recht?

Autor: Petra Fleckenstein

Pornos sehen: Zündstoff für Liebespaare

Erotische Filmchen

Ein Mann schaut einen Porno im Fernsehen.

Foto: © iStock, TARIK KIZILKAYA

Das Internet bringt Menschen auf der ganzen Welt einander näher und hilft häufig auch der Liebe auf die Sprünge. So manches spätere Liebespaar fand sich in einem Chatroom, andere erhielten online Rat und Unterstützung bei Beziehungsproblemen. Doch das World Wide Web bietet auch Möglichkeiten, die bei Liebespaaren für Konfliktstoff sorgen. Immer wieder wenden sich Frauen Hilfe suchend zum Beispiel an das urbia-Forum, weil sie ihren Partner beim Ansehen oder Herunterladen von Pornodarstellungen "ertappt" haben. Diese Entdeckung löst bei so mancher Frau ungute Gefühle aus und wirft unangenehme Fragen auf: "Warum hat er das nötig? Genüge ich ihm nicht mehr? Sehnt er sich nach anderen Frauen? Wie kommt es, dass ihm derart plumpe Darstellungen gefallen können?"

In den lebhaften Diskussionen, die das Porno-Thema regelmäßig auslöst, tauchen vor allem zwei konkurrierende Standpunkte auf: Da sind zum einen Frauen, die den Porno-Konsum des Partners irritierend und verletzend finden und die Ansicht vertreten, in einer intakten Beziehung habe der Konsum von Pornographie nichts zu suchen. Ihnen gegenüber stehen Frauen und Männer, die diesen Frauen Verklemmtheit vorwerfen und die Ansicht vertreten, Pornokonsum mache Männern einfach Spaß, ohne irgend welche weiteren Bedeutungen zu haben, oder es sei nun einmal so, dass Männer dies von Zeit zu Zeit brauchten und es nütze nichts, sich darüber aufzuregen.

Vermutlich ohne es zu ahnen, befinden sich diese Frauen mitten in einer Pornographie-Debatte, die in Deutschland und besonders auch in den USA seit vielen Jahren immer wieder mit großer Schärfe geführt wird: Auf der einen Seite die Verfechter einer liberalen Sexualmoral, die Pornographie als eine von vielen sexuellen Ausdrucks- und Konsummöglichkeiten sehen. Auf der anderen Seite die feministische Ansicht, Pornographie sei Zeichen weiblicher Unterdrückung, sie reduziere die Frau auf ein reines Sexualobjekt und rege sogar zu Gewalt gegen Frauen an, nach dem Motto: "Pornographie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis".

Was findet mein Mann an Pornos?

Warum Männer sich von Pornographie-Darstellungen derart angezogen fühlen, dass sie dafür mitunter sogar tief in den Geldbeutel greifen und einen ganzen Industriezweig nähren, wurde immer wieder hinterfragt und auf verschiedene Arten beantwortet. Mit dem Internet hat zudem die schnelle und einfache Verfügbarkeit von Sexfotos und -filmen einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Sexualwissenschaftler und Mitarbeiter am Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaften in Berlin, Dr. Jakob Pastötter, glaubt jedoch, dass Männer vorher ebenso häufig Pornos gesehen haben: "Das Problem ist nur, dass es durch die gemeinsame PC-Nutzung sichtbarer wird und Frauen nun häufiger darauf stoßen."

Der Wissenschaftler hat in seiner Doktorarbeit zum Thema Pornographie mehrere Funktionen des Porno-Konsums ausgemacht: Danach möchte sich ein Mann zum Beispiel an- und erregen lassen und in eine Art sexuelles Schlaraffenland eintauchen. Außerdem sucht er Entlastung, sowohl von körperlichem als auch von psychischem Druck. Dr. Pastötter: "Männer haben in Bezug auf ihre sexuellen Fantasien immer auch Skrupel, es ist ein Bereich, den man nicht unter Kontrolle hat, damit fühlen sie sich unwohl." Psychisch entlastend wirkt es nach Ansicht Dr. Pastötters daher, wenn Männer ihre Fantasien im Pornofilm verwirklicht sehen und sie sich sagen können: "Meine Fantasien sind gar nicht so abartig, das machen andere tatsächlich." Als weitere Funktionen des Pornokonsums hat Dr. Pastötter den Wunsch ausgemacht, sich unterhalten zu lassen, indem man etwas Neues, Interessantes sieht, was aber durchaus auch auf Bizarres und Erschreckendes zutreffen kann. Und schließlich sieht Pastötter bei Porno-Nutzern auch den Willen zur "Weiterbildung": Da will man(n) vielleicht herausfinden, was die eigenen Bedürfnisse sind und Informationen und Anregungen bezüglich weiterer sexueller Praktiken sammeln.

Warum Frauen sich darüber aufregen

Nun ja, klingt doch eigentlich ganz harmlos, mag man sich angesichts dieser Ergebnisse sagen. Irgendwie verständlich eigentlich und keineswegs schlimm. Und doch: "Ich kam mir irgendwie so billig ersetzt vor. Ja, ich weiß, es sind nur Bilder, aber es tut trotzdem verdammt weh, vor allem, wenn man emotional so verletzlich ist wie in der Schwangerschaft", schreibt eine Frau im urbia-Forum. Eine andere, nachdem sie festgestellt hatte, dass ihr Partner fast täglich Pornos konsumiert: "Ich weiß mir keinen Rat mehr, ich stell mir die ganze Zeit nur noch vor, wie er vor dem PC sitzt und sich’s selber macht... ich bin so verzweifelt." Was ist es, das in vielen Frauen diese unangenehmen Gefühle weckt? Vielleicht die Annahme, der Konsum von Pornographie sei eine Form des Fremdgehens? Oder der Schreck darüber, dass für den geliebten Mann Sex auch ohne Liebe möglich ist?

"Pornographie ist keine Art des Fremdgehens", sagt Dr. Jakob Pastötter, "sie findet nur in der Fantasie, im Kopf statt." Die Kölner Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzausbildung Sexualmedizin, Dr. Sigrid Kleinstoll, drückt sich etwas vorsichtiger aus: "Es ist ja sehr subjektiv, wie man Fremdgehen definiert. Manche fühlen sich bereits durch ein Seelengespräch ihres Partners mit einer Frau betrogen. Ob Pornographie eine Art des Fremdgehens ist, kann man daher so allgemein nicht beantworten." Fest steht jedoch für die Medizinerin, dass es zwischen Männern und Frauen in ihrem Erleben von Sexualität gravierende Unterschiede gibt, die zu Konflikten führen können: "Männer können das Sexuelle isoliert betrachten, nehmen es mehr als biologische Funktion", so Dr. Kleinstoll, während für Frauen das dazugehörige Gefühl von Liebe und die Individualität des jeweiligen Gegenübers eine größere Rolle spielen. Auch lassen sich Frauen nach Ansicht Dr. Jakob Pastötters weniger durch Bilder erregen und stellen zudem höhere Ansprüche an die Ästhetik erotischer Bilder als Männer dies tun.

‚Kampfgerammel’ oder Liebeskunst?

"Wir hatten uns auch schon zusammen Pornos angesehen, aber mir gibt das nicht allzu viel. Ich mag das 'Kampfgerammel' darin nicht so gerne", schrieb eine Frau im urbia-Forum. Frauen, die versuchen, Verständnis für die visuellen Vorlieben ihres Partner aufzubringen und sich mit ihm gemeinsam erregen lassen wollen, fühlen sich oft von der plumpen Direktheit der Sex-Darstellungen abgestoßen. Zusätzlich unangenehm stößt vielen das darin vermittelte Frauenbild auf: von Frauen, die allzeit bereit vollkommen anspruchslos dahinsinken, sobald ein Vertreter des anderen (oder gleichen) Geschlechts sein Geschlechtsteil präsentiert und deren Erregungskurve auch bei noch so anstrengender und unbequemer Sexakrobatik keinesfalls abfällt. Ganz zu schweigen von Pornographie, die Gewalt gegen Frauen als von diesen gewollt und als erregend darstellt. Der Mythos vom Masochismus der Frau, also vom Wunsch, nicht nur erobert, sondern auch mit Gewalt gefügig gemacht zu werden, treibt hier hässliche Blüten, über die Frauen schwerlich tolerant hinwegsehen können – auch wenn sie sich durchaus sinnenfroh dazu bekennen, erotische Machtspiele mitunter sehr zu genießen, mit ihrem Einverständnis wohlgemerkt und ohne echte Brutalität und Verletzung.

Diese Seite der Pornographie ist seit langem Gegenstand feministischer Kritik. So schrieb Alice Schwarzer im Rahmen der von ihr initiierten PorNo–Kampagne: "Denn Pornographie schafft von Frauen ein Bild als Menschen zweiter Klasse, als geborene Opfer: gerade gut genug, benutzt, genommen, vergewaltigt, gefoltert und massakriert zu werden. Pornographie ist so viel mehr als nur Ausdruck der gesamten Brutalisierung unserer Gesellschaft. Pornographie ist auch und vor allem die Antwort der ‚neuen’ Männer auf die ‚neuen’ Frauen: die Reaktion des macht- und privilegiengewohnten herrschenden Geschlechts auf das Aufbegehren der Frauen."

Haben Männer, die Pornos sehen, Angst vor Frauen?

Ist der Porno-Konsum von Männern also eine Reaktion auf starke und selbständige Frauen? Werden sie nicht damit fertig, im wahren Leben ein Gegenüber zu haben, das eigene Wünsche äußert, nicht zu allem Lust hat, was den Mann erregt, und mit dem sie sich auch auf anderen Ebenen auseinander setzen müssen als nur im Bett? Und ist der Pornokonsument einfach ein Voyeur, der sich vor persönlicher Beziehung scheut und Angst vor Verantwortung und Gegenseitigkeit der Liebe hat?

Gegen diesen Ansatz spricht sicher, dass eine Vielzahl der Männer, die Pornos sehen, in festen Beziehungen leben und ihr Spaß an Pornos nur einen zusätzlichen Genuss darstellt. Verletzt fühlen sich Frauen häufig auch nicht von gelegentlichen Ausflügen ihres Mannes auf Sex-Seiten, sondern dann, wenn der Konsum geradezu suchtartigen Charakter annimmt und die Stunden gemeinsamen lustvollen Bettgeflüsters ersetzt. Manche Forscher sehen zunehmenden Pornokonsum auch als Kehrseite der zunehmenden Lustlosigkeit in den Betten der westlichen Industriegesellschaft: "Lust an Pornographie entspringt mangelnder Lust am Geschlechtsverkehr", schrieb der Sexualpsychologe Prof. Dr. Ernest Bornemann. "Der ganze Sexkult des Westens ist ein Produkt der Sexualfurcht, nicht der Sexualfreude." Und Dr. Jakob Pastötter sieht die Hardcore-Pornographie als Produkt unserer allzu stark von Zwängen zu Disziplin und Leistung geprägten Gesellschaft. Zu gut deutsch, Männer lernen, auf das Ausleben ihrer Triebe zu verzichten bzw. es allzu häufig aufzuschieben und sind statt dessen immer besser in der Lage, ihre Gefühle über das Auge, über visuelle Reize auszuleben.

Diskutieren oder tolerieren? Wie Paare den Konflikt bewältigen können

"Ich finde, dass jeder Mensch auch in der Partnerschaft ein Recht auf seine eigene Intimsphäre hat", heißt es in einem Beitrag im urbia-Forum. "Die meisten haben ihre eigenen sexuellen Phantasien, die sie nicht unbedingt mit dem Partner teilen wollen, und vor allem Männer leben solche Phantasien oft mit dem Betrachten von Pornos aus." Sollten Frauen also einfach über ihren Schatten springen und großzügig darüber hinwegsehen, wenn sie im gemeinsamen PC - häufig unfreiwillig - wieder mal auf die jüngsten Web-Sex-Spaziergänge ihres Liebsten stoßen? Gehört der Pornokonsum schlichtweg zur Intimsphäre des Mannes, die es zu akzeptieren gilt? "Ich würde für Toleranz plädieren und den Mann nicht durch Bitten, keine Pornos mehr zu sehen, unter Druck setzen", sagt dazu Dr. Sigrid Kleinstoll. Das heißt jedoch nicht, dass Frauen kein Recht auf ihre Gefühle hätten. "Frauen haben jedes Recht dazu zu sagen, das will ich nicht", so Dr. Pastötter. Fühlen sie sich gekränkt und stören sich an dieser Seite ihres Partners, raten sowohl Pastötter als auch Kleinstoll dazu, das Gespräch zu suchen. "Frauen können fragen, was ist es, das Dich daran so fasziniert?", empfiehlt Kleinstoll, und so vielleicht ihren Partner besser kennen und verstehen lernen.

Es ist jedoch auch möglich, dass sich hinter dem Konflikt über die Porno-Nutzung ein anderes, tieferes Beziehungsproblem des Paares verbirgt, das angesehen und vielleicht bearbeitet werden sollte. Wenn die Partner damit alleine nicht mehr fertig werden, kann es vielleicht hilfreich sein, eine Paarberatung in Anspruch zu nehmen.

Zum Weiterlesen:
Dr. Jakob Pastötter: "Erotic Home Entertainment und Zivilisationsprozess. Analyse des postindustriellen Phänomens Hardcore-Pornographie". Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2003