Jugendliche, Sex und Internet

Sind unsere Kinder die "Generation Porno"?

Was Teenagern heute im Internet begegnet, bereitet Eltern zunehmend Sorgen: Nur ein kurzer Klick führt zu Seiten mit unzähligen Pornoclips. Schon warnen Experten vor einer Pornografisierung von Jugendlichen. Johannes Gernert hat in seinem Buch "Generation Porno" die Situation unter die Lupe genommen und spricht im urbia-Interview über seine Erkenntnisse.

Autor: Petra Fleckenstein
Jugendlicher Internet ernst
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Ihr Buch trägt den provokanten Titel "Generation Porno": Wie kommt es zu dieser Einschätzung?

Johannes Gernert: „Generation Porno“ ist nicht so sehr eine Einschätzung, sondern eher eine Zuspitzung. Was in jedem Fall zu beobachten ist: In den vergangenen Jahren ist es immer einfacher geworden, Porno-Clips anzusehen. Die meisten Jugendlichen haben Breitbandanschlüsse in ihren Familien, viele sogar in ihren Zimmern. Über Youporn und andere Portale kommen sie sehr einfach an pornographisches Material. Ab einem bestimmten Alter beginnt sie das in der Pubertät sehr stark zu interessieren, also surfen besonders die Jungs auf solche Seiten. Wer im 21. Jahrhundert aufwächst, für den spielt Pornografie wegen dieser Verbreitung übers Internet eine wesentlich größere Rolle als für Teenager in den Siebzigern oder Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts. Das ist es, was „Generation Porno“ meint.

Gibt es eine Pornografisierung unserer Gesellschaft?

In Werbung, Kunst und in den klassischen Medien tauchen pornografische Elemente mittlerweile ganz selbstverständlich auf. Sendungen, die viele Jugendliche Zuschauer haben, spielen damit. Bei Big Brother etwa wird auf RTL2 seit einiger Zeit offenbar in jeder Staffel eine Porno-Darstellerin zum Nackt-Duschen eingeladen, die im quotenträchtigsten Fall auch noch Sex unter der Bettdecke hat. Während einer Staffel von Germany's Next Topmodel kursierte im Netz ein Porno-Clip der Kandidatin Gina Lisa. Paris Hilton ist zum Weltstar vor allem dank eines Porno-Videos geworden. In Rap-Texten werden Frauen mit pornografischen Bildern zu Schlampen und Fotzen degradiert. Die Alltagswelt von Jugendlichen und besonders ihr Medienumfeld ist ziemlich „porno“.

Sie gehen in Ihrem Buch der Frage nach, wie die umfassende Verfügbarkeit von Pornografie auf Kinder und Jugendliche wirkt. Welche Antworten haben Sie gefunden?

Das ist natürlich ganz unterschiedlich. Was man auf keinen Fall denken sollte: Jugendliche sehen Pornos und machen das dann genau so nach, schubsen also ihre Freundinnen nur noch ruppig durch die Gegend oder gehorchen ihren Freunden aufs Wort und sind ihnen sexuell hörig. Es lassen sich aber durchaus gewisse Effekte feststellen. Teenager, die viele Pornos sehen, halten Sex eher für eine Freizeitbeschäftigung. Eine Studie aus den USA hat gezeigt: Jungs, die sehr früh pornografisches Material sahen, haben Mädchen gegenüber später eher abfällig Sprüche gemacht und sie auch mal angegrabscht. Es kann schon sein, dass manche Jungs so ein fragwürdiges Frauenbild entwickeln. Zumal die Darstellerinnen in vielen Clips, die auf den Pornoportalen zu sehen sind, von den Männern beschimpft werden.

Es gibt warnende Stimmen, die sexuelle Verwahrlosung befürchten? Konnten Sie bei Ihren Recherchen Belege für diese These finden?

Sexuelle Verwahrlosung ist ein seltsamer Begriff, der schon in den sechziger Jahren verwendet wurde – da ging es um das Verbot pornografischer Bücher. Heute hat ihn der Berliner Freikirchen-Pastor Bernd Siggelkow wieder geprägt. Damit ist vor allem gemeint, dass Jugendliche viel Sex mit wechselnden Partnern haben und dabei wenig auf Verhütung achten. Liebe spiele bei alledem keine Rolle mehr. Selbst in Siggelkows Arche, einer wichtigen Einrichtung am Rande von Berlin, machen solche Teenager aber nicht unbedingt die Mehrheit aus. Das wird ihnen auch Siggelkow bestätigen. Außerdem ist die Frage, ob diese Teenager so mit Sex umgehen, weil sie viele Pornos sehen oder ob sie vielleicht auch Pornos sehen, weil sie ohnehin eine andere Vorstellung von Sex haben als manche Altersgenossen aus sozial weniger benachteiligten Umgebungen. Die Erziehung in der Familie macht viel aus. Wer dort Liebe erfährt, der kann auch Liebe geben, hat mir ein Porno-Rapper einmal gesagt. Das sehe ich sehr ähnlich.

Und welche Kinder/Jugendliche sind hier gefährdet?

Das ist nicht leicht zu sagen. Es gibt kaum eine Studie, die festgestellt hat, dass Hauptschüler mehr Pornos sehen als Gymnasiasten. Auch wenn es um die Auswirkungen geht, sind da statistisch schwer Unterschiede festzustellen. Das soziale Umfeld spielt sicherlich eine entscheidende Rolle, also die Familien, die Freunde.

Verhindert zu früher Pornokonsum die Entwicklung von Liebes- und Beziehungsfähigkeit?

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Es kann ein Schock sein, wenn Kinder auf Pornos stoßen. Aber von so einem Schock kann man sich auch erholen. Es ist schwer zu sagen, wie das bei regelmäßigem Konsum in sehr jungem Alter aussieht. Dazu gibt es natürlich keine Studien.

Es gibt auch Gegenstimmen, die in Pornos Befreiung von sexueller Unterdrückung sehen: Konnten Sie bei Ihren Recherchen auch diese positiven Effekte bestätigen?

Ich wollte keine Effekte bestätigen, sondern ein Bild der aktuellen Situation liefern, gestützt auf die Forschung, die es bisher dazu gibt. Was mich überrascht hat: Jugendliche sprechen sehr offen über Pornos. Damit hätte ich vor der Recherche nicht gerechnet. In den Gesprächen reden viele über Sex wesentlich weniger verdruckst als ihre Elterngeneration, scheint mir.

Welche Unterschiede sehen Sie bei der Wirkung von Pornos auf Jungen oder Mädchen?

Für Jungen gibt es vor allem zwei Gründe, Pornos anzuschauen: Sie wollen sich informieren und es geht ihnen um sexuelle Erregung. Bei Mädchen kommt ein anderer hinzu: Sie tun es nicht selten für den Partner. Da entsteht also schon ein gewisser Druck.

Sie beschreiben die Arbeit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als eher aussichtslosen Kampf? Brauchen wir mehr oder anderen staatlichen Jugendschutz?

Im Internet lässt sich fast alles herunterladen. Da kann die Bundesprüfstelle noch so viel auf den Index setzen. Es geht deshalb in erster Linie darum, mit Jugendlichen über das zu sprechen, was sie da sehen. Zu fragen, warum sie das tun, wie es ihnen dabei geht. Sexualpädagogen, die an Schulen Seminare halten, erzählen oft, dass manche Jungs oder Mädchen ziemlich erleichtert sind, wenn ihnen jemand erklärt, was an den Porno-Bildern nicht so ernst zu nehmen ist, dass Sex kein Wettbewerb darum ist, wer die meisten Stellungen drauf hat. Frauen schreien nicht immer so, hat eine Mutter ihrem Sohn mal gesagt. Er fand das ziemlich beruhigend.

Was raten Sie besorgten Eltern?

Sich den Medienwelten ihrer Kindern ein wenig zu nähern, nachfragen, interessiert sein. Und möglichst früh mit der Aufklärung anfangen, wenn die Kinder eben Fragen haben. Es ist sicher besser, man klärt ein paar Dinge, bevor sie auf dem Schulhof per Rap-Text erklärt werden.

 

Info

Der Autor Johannes Gernert arbeitet als freier Journalist und gilt als Experte für Jugendkultur, Internet und Pornografie.

Sein aktuelles Buch "Generation Porno" ist im Fackelträgerverlag erschienen und kostet 19,95 EUR.