Namhafte Wissenschaftler warnen

Fernseh-Gewalt: Kein Problem für Kinder?

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den immer zahlreicher werdenden Darstellungen von Gewalt im Fernsehen und der wachsenden Gewalt in Schulen? Aber sicher, sagen renommierte Forscher und kritisieren die Verharmlosung wissenschaftlicher Ergebnisse.

Autor: Petra Fleckenstein

Namhafte Wissenschaftler warnen

Junge fernsehen Gewalt

Kinder sehen gerne fern - und die meisten Eltern auch. Daher ist die Flimmerkiste aus dem Leben von Familien kaum mehr wegzudenken. Warum auch, ist denn nicht erwiesen, dass Fernsehen – in der richtigen Dosis – niemandem schadet, auch nicht Kindern?

Trotzdem melden sich derzeit wieder renommierte Wissenschaftler mit drastischen Warnungen vor den Gefahren des Fernsehens zu Wort. "Vorsicht Bildschirm" warnt beispielsweise der Ulmer Hirnforscher und Neurologe Prof. Manfred Spitzer mit seinem neuen Buch. Und der frühere Justizminister Niedersachsens, Prof. Dr. Christian Pfeiffer, spricht von "Medienverwahrlosung" als Ursache von Schulversagen und zunehmender Kriminalität im Jugendalter. Ihre Botschaft: Die ständig wachsende Anzahl von Gewaltdarstellungen im TV geht keineswegs wirkungslos an unseren Kindern vorüber. Sie ist mitschuldig am um sich greifenden Klima von Aggression und Gewalt, das Kinder und Lehrer an Schulen mehr und mehr zu spüren bekommen.

Steigende Anzahl von Gewaltdarstellungen

Nach einer Studie über das "Weltbild des Fernsehens" des bekannten Regensburger Professors für Medienpsychologie, Helmut Lukesch, kommt in 78.7 Prozent aller Sendungen des deutschen Fernsehens Gewalt vor. Zum Vergleich: Zu Beginn der 90er Jahre lag der Anteil noch bei knapp 47,7 Prozent. Gleichzeitig hat sich die Anzahl der Kinder, in deren Zimmer ein eigenes Fernsehgerät steht, erhöht. Schon fast jeder vierte Sechsjährige zählt dazu und knapp 70 Prozent der 13-15-Jährigen. Durch diese Verfügbarkeit der Geräte erhöht sich auch die Fernsehdauer und es findet eine geringere Kontrolle bei der Auswahl der Sendungen statt. Der tägliche Fernsehkonsum von Kindern im Vorschulalter liegt hierzulande bei rund 70 Minuten, Grundschüler sitzen etwa eineinhalb Stunden und 10-13-Jährige bereits zwei Stunden täglich vor der Mattscheibe.

Was bedeutet das für unsere Kinder?

In ihren jüngsten Veröffentlichungen machen Wissenschaftler verstärkt darauf aufmerksam, dass der Zusammenhang zwischen Mediengewalt und wachsender Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft wissenschaftlich längst erwiesen sei. Dies werde jedoch immer wieder verharmlost, die Ergebnisse nicht zur Kenntnis genommen oder gar mit zweifelhaften Argumenten zu widerlegen versucht. "Erstaunlich, dass der Zusammenhang zwischen Gewalt im Fernsehen und Gewalt bei Kindern, Jugendlichen und späteren Erwachsenen immer wieder bestritten wird", schreibt Prof. Manfred Spitzer in seinem Buch "Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens". Und Prof. Helmut Lukesch fasst zusammen: "In allen unseren Untersuchungen wurde ein statistisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen der Intensität des Gewaltkonsums über Medien und der Gewaltbereitschaft von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gefunden."

Deutliche Zunahme von Gewalt nach Einführung des Fernsehens

Wie sich Gewalt in den Medien auf Zuschauer auswirkt, ist seit vielen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. So wie die Wirkungen des Rauchens auf die Gesundheit durch einen Vergleich von Rauchern und Nichtrauchern untersucht werden können, ist dies beim Fernsehen nicht möglich. Es gibt kaum mehr Menschen, die vom Fernsehen unberührt geblieben sind. In Kanada jedoch haben Wissenschaftler in den siebziger Jahren eine kleine Stadt ausfindig gemacht, in der es wegen der geographischen Lage überhaupt kein Fernsehen gab.

Die Einführung des Fernsehens in dieser Stadt wurde wissenschaftlich begleitet, indem das Aggressionsniveau von 45 Grundschulkindern vor der Einführung des Fernsehens und zwei Jahre danach gemessen wurde. Das deutliche Ergebnis: Nach Einführung des Fernsehens hatten sich die verbalen Attacken verdoppelt und körperliche Aggressivität sogar verdreifacht.

Wie wirkt die Fernseh-Gewalt?

Dass Gewalt in den Medien auch zu realer Gewalt führt, wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen. Uneins sind die Forscher jedoch darüber, ob Gewalt im Fernsehen auf alle Kindern und Jugendlichen gleichermaßen wirkt, oder ob dies nur bei bestimmten Risikogruppen der Fall ist.

  • Eine Theorie wird als Doppelte-Dosis-These bezeichnet: Sie besagt, dass Kinder nur dann durch Gewalt in den Medien selbst gewalttätig werden, wenn sie in einem Umfeld leben, in dem Gewalt an der Tagesordnung ist. Diese These geht davon aus, dass der Nährboden in einem gewalttätigen Familienalltag geschaffen wird und die konsumierte Gewalt im Fernsehen schließlich das Fass zum Überlaufen bringt.
  • Eine ähnliche Theorie geht von einem gegenseitigen Sich-Aufschaukeln von Realgewalt und Fernsehgewalt aus.
  • Die sogenannte Gewöhnungs-These sagt aus, dass es durch häufiges Ansehen von Gewalt im Fernsehen zu einer Abstumpfung und einem Gewöhnungseffekt kommt.
  • Eine der wichtigsten Thesen, um die Wirkung von Gewaltszenen im Fernsehen auf Kinder und Jugendliche zu verstehen, ist die sogenannte Lerntheorie nach Bandura. Sie sagt vereinfacht aus, dass Kinder am Modell, am Vorbild lernen, und zwar durch Beobachtung. Besonders Vorschulkinder neigen dazu - wie eine eindrucksvolle Studie zeigte - Fernsehgewalt unmittelbar nachzuahmen.

Wissenschaftler wie Prof. Spitzer kritisieren die Risiko-Theorie mit dem Hinweis, dass sie dazu diene, Fernsehgewalt zu verharmlosen, indem man die Schuld an gewalttätigem Verhalten alleine in den Familien sucht, bzw. die Wirkung auf eine (kleine) Risikogruppe einschränke. In Wahrheit sei aber bewiesen, dass Gewaltkonsum auf alle Kinder negativ wirke.

Gewaltkonsum hindert am Lernen

Ein weiteres gewichtiges Argument gegen zu viel Fernsehen, und vor allem gegen den Konsum aufwühlender, schockierender Inhalte, kommt von Hirnforschern. Sie erklären, dass das, was Kinder morgens in der Schule lernen, zunächst im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werde. "Der Prozess der Überführung ins Langzeitgedächtnis, also in das gesicherte Wissen, dauert danach mindestens zwölf Stunden und wird entscheidend dadurch beeinflusst, was das Kind in den Stunden nach dem Erlernen des Schulwissens emotional erlebt", so der Sozialpsychologe und Jurist Prof. Christian Pfeiffer. Wer am Nachmittag oder am Abend aufwühlende, schockiernde Filmszenen betrachte, der hindere sein Gedächtnis daran das Schulwissen dauerhaft abzuspeichern. Denn das Gehirn reagiere sehr sensibel auf Gefühle und konzentriere seine Gedächtnisarbeit auf Eindrücke, die es gefühlsmäßig stark bewegen.

"Es wird Zeit, dass wir handeln und dafür sorgen, dass unsere Kinder in ihrer Freizeit etwas anderes lernen als Aggression und Gewalt" schreibt Prof. Manfred Spitzer, selbst Vater von fünf Kindern. Der Schulpsychologe Dr. Werner Hopf spricht sich für eine starke Beschränkung von Gewaltszenen im Fernsehen aus und fordert, mit Kindern nicht nur die Bewältigung der neuen Technik, sondern vor allem eine kritische Medienkompetenz zu trainieren. Und der Bamberger Professor für Psychologie, Herbert Selg, fordert neben einer drastischen Einschränkung von Gewaltdarstellungen "nachdenkliche Eltern", die sich ihrer Verantwortung für ihre Kinder bewusst sind. Das bedeutet nach Selg:

  • "Fernsehen nicht jeden Tag und nicht als Mittelpunkt des Wohnzimmers oder gar des Familienlebens; bewusste Auswahl statt Dauerberieselung" und "das Fernsehen öfter durch alternative Angebote ersetzen".

Lesen Sie dazu außerdem:
Wie viel Kinder fernsehen dürfen

Das Portal www.mediengewalt.de bietet eine umfangreiche Linksammlung zum Thema Gewalt in den Medien und ihre Auswirkungen auf unsere Kinder.

Aktuelle Bücher zum Thema:
Manfred Spitzer: Vorsicht Bildschirm. Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft, 2005
Peter Winterhoff-Spurk: Kalte Herzen. Wie das Fernsehen unseren Charakter formt, 2005