Kinder am Computer: Wozu eigentlich Killerspiele?
Nach Amokläufen oder anderen schlimmen Gewalttaten von Schülern ist zum wiederholten Mal der Streit um gewaltstrotzende Computerspiele entbrannt. Was spricht eigentlich gegen ein Verbot? Ein kritischer - und subjektiver - Blick auf die häufigsten Argumente.
Ein ganz und gar subjektiver Blick auf die Argumente gegen ein Killerspielverbot
Nach jedem Amoklauf eines Schülers - zum Beispiel in Emsdetten oder in Winnenden - entbrennt die Diskussion um ein Verbot so genannter Killerspiele am Computer neu. Während immer wieder vor allem Unionspolitiker ein Verbot einschlägiger Computerspiele fordern, werden auch wieder zahlreiche Argumente gegen ein Verbot bzw. eine Verteufelung von Killerspielen laut, die hier einmal genauer unter die Lupe genommen werden sollen.
- 1. Nur allein von Killerspielen werden Kinder und Jugendliche nicht gewalttätig.
Oder umgekehrt ausgedrückt: Es gibt Hunderttausende Spieler, die nicht gewalttätig werden, wie zum Beispiel der Soziologe Wolfgang Sofsky sagte. Ein besonders beliebtes und scheinbar sehr stichhaltiges Argument, dem zunächst einmal zuzustimmen ist. Aber: Es gilt auch als wissenschaftlich gesichert, dass es ein Mix aus mehreren Faktoren ist, der einen Menschen schließlich dazu bringt, gewalttätig zu werden. Sollten Killerspiele zu diesem Mix dazu gehören, so bleibt es immer noch ein wichtiger Schritt, auch diesen Faktor ernst zu nehmen und entsprechend zu reagieren. Es fällt auf, dass Amokläufer häufig sehr viel Zeit in virtuellen Welten, und da besonders mit Ballerspielen verbracht haben. Studien haben gezeigt, dass der Konsum Gewalt verherrlichender Filme und das Spielen ebensolcher Computerspiele keineswegs eine entlastende Wirkung auf problematische Jugendliche hat, sondern die Aggressivität und die Tendenz in Scheinwelten abzudriften eher noch verstärkt. Ein Ballerspiel ist wohlgemerkt nicht der einzige Faktor und es erzeugt noch keinen Killer. Aber als Verstärker, als ungünstiger Einfluss, als Hilfe zur Einübung von Gewalt und zur Herabsetzung einer Aggressivitätsschwelle dürften Ballerspiele nicht zu unterschätzen sein. Das Argument „Nur Killerspiele machen noch keine Mörder“, greift daher zu kurz. Das tun sie zwar nicht. Aber ebenso wenig tragen sie zur Besänftigung und Entlastung eines Jugendlichen bei, der wegen großer innerer Probleme beginnt, an Gewalthandlungen als möglichen Ausweg zu denken.
Etwas zu verbieten erhöht nur den Reiz
- 2. Wenn man etwas verbietet, erhöht dies noch den Reiz.
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Ein erstaunlich gerne genanntes Argument, das eine herrlich entlastende Wirkung auf alle für Medienkontrolle Verantwortlichen entfalten kann. Okay, den Reiz erhöhen will natürlich niemand. Also keine Verbote mehr? Man überlege nur, was es für andere Bereiche unseres Lebens bedeuten würde, diesem Argument konsequent anzuhängen. Bloß dem Kind nicht verbieten, andere zu schlagen, das könnte den Reiz noch erhöhen. Kindern besser nicht verbieten, Schnaps zu kaufen und zu konsumieren, sonst wollen sie es nur noch mehr. Lieber kein Verbot von Waffen, sonst reizt das noch mehr dazu, sich erst recht eine zu beschaffen, usw.
- 3. Ein Verbot hätte wenige Chancen, da viele Spiele im Ausland produziert werden und übers Internet oder "graue Importe" nach Deutschland gelangen würden.
Besonders beliebtes Argument bei Vertretern der Computerspielbranche, die ein verständliches Interesse daran haben dürften, möglichst viele Argumente in die Diskussion einzustreuen, die ein Verbot als hoffnungslos oder sinnlos erscheinen lassen. Bei genauem Hinsehen wirkt dieses Argument wie eine verzagte Kapitulation gegenüber Problemen, die mit einem Verbot einher gehen könnten. Als inhaltlich überzeugendes Argument taugt dieser Hinweis jedoch nicht. Etwas zu verbieten, oder zumindest für eine bestimmte Altersgruppe zu verbieten, kann nicht schon allein deshalb verworfen werden, weil es nicht einfach sein wird, ein solches Verbot konsequent umzusetzen. Mit dem gleichen Argument könnte man allen Versuchen, Kinderpornographie hierzulande zu bekämpfen, den Sinn absprechen, da dies ja ein internationales Problem darstelle und kinderpornographische Darstellungen ja übers Internet und den „grauen Markt“ verbreitet würden.
Es geht nicht um Töten, sondern um Taktik
- 4. Es geht bei diesen Spielen nicht um Spaß am Töten, sondern um Sport, Taktik, Geschicklichkeit und Schnelligkeit.
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Ein Argument, das gerne zum Beispiel von der großen Fan-Gemeinde des immer wieder umstrittenen Spieles „Counter-Strike“ ins Feld geführt wird. Spielinhalt von Counter-Strike ist es, in sehr realistisch umgesetztem Design Szenarien, wie die Bekämpfung (d.h. das Abknallen) einer Gruppe von Terroristen durchzuspielen. Nun wird man wohl umgekehrt fragen dürfen, ob es nicht Möglichkeiten gibt, Spiele anderen Inhalts zu entwickeln, die ebenfalls eine schnelle und taktische Vorgehensweise (und dies gerne in Gruppen) schulen, die ebenfalls auf Lan-Partys gespielt werden und Menschen über Ländergrenzen hinweg zusammenbringen können, deren Ziel und Inhalt es jedoch NICHT ist, andere Menschen abzuknallen. Werden also Sport, Taktik, Geschicklichkeit und Schnelligkeit als der entscheidende Reiz dieser Spiele angeführt, so ist nur die Fantasie und Kreativität der Spiel-Entwickler gefragt, um derartige Herausforderungen in einen weniger mörderischen Rahmen einzubetten.
- 5. Die Verbotsforderungen sind voreilig und haben nur eine Alibi-Funktion.
Man verbietet etwas, damit man sich nicht um das komplexe Geflecht von Gründen kümmern muss, die einen Amoklauf motivieren, meint zum Beispiel der Pädagoge Jens Wiemken gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger. Richtig! Einfach nur ein paar Computerspiele zu verbieten, greift entschieden zu kurz, wenn man das Problem, warum manche Jugendliche zu Gewalttäter werden, an der Wurzel packen möchte. Aber: Als Argument gegen ein Verbot bestimmter Gewaltspiele taugt auch diese Aussage nicht. Ein Verbot könnte eines von mehreren Bausteinchen sein, das das gesamte Problem-Gebäude zum Einsturz bringt. Daher taugt es zwar nicht als einzige, aber vielleicht ja doch als eine von zahlreichen Konsequenzen, die aus Amokläufen an Schulen gezogen werden könnten.
Dienen Killerspiele der Seelenbildung?
Genauerer Überprüfung halten die genannten Argumente der Gegner von Killerspiel-Verboten kaum stand. Eher wirken sie wie eine schnelle und vordergründige Abwehr der Notwendigkeit, sich mit der Wirkung von Medien-Gewalt auf Kinder und Jugendliche ernsthaft auseinander zu setzen. Vielleicht geht es auch gar nicht wirklich um das Gegensatzpaar Verbot oder nicht Verbot. Wäre nicht bereits viel getan, wenn die Möglichkeiten, bestimmte Spiele Jugendlichen und Kindern (!) zu verwehren – zum Beispiel strengere Altersfreigabe und Indizierung – konsequenter verfolgt würden? Zumindest muss sich eine Gesellschaft fragen dürfen, ob sie die Beschäftigung mit Killerspielen als erwünschte Seelennahrung für ihre jungen Menschen sieht, die diese Gesellschaft künftig gestalten werden. In früheren Jahrhunderten wurde auch das schöne Wort "Seelenbildung" als Ziel von Erziehung gebraucht und bisweilen rigoros abgesteckt, was der Seelenbildung abträglich sein könnte und was ihr wirklich dient. Die heutige Diskussion um Baller-Spiele erweckt den Eindruck, dass jede Form positiver Vision verzagten Versuchen, nur noch das Schlimmste zu verhindern, Platz gemacht hat.
Wollen wir eigentlich nur verhindern, dass Kinder und Jugendliche zu Killern werden, oder wollen wir nicht ein wenig mehr? Wollen wir nicht auch gute Eigenschaften fördern, Einübung in Gemeinschaft leisten, Friedfertigkeit unterstützen, Verantwortlichkeit lehren, gewaltlose Konfliktlösungen trainieren? Wir brauchen eine Debatte darüber, mit welchem Seelenfutter wir unsere Kinder nähren wollen und dazu gehört auch die Debatte über Beschränkungen oder Verbote brutaler virtueller Spiele.
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