Mädchen schützen sich vor Gewalt
Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet. In Kursen lernen Mädchen und Frauen, wie sie sich wehren können. Dabei beginnt alles mit einem sicheren Auftreten.
Mit der Angst umgehen
Welche Frau kennt das nicht? Dunkle Parkhäuser, schlecht ausgeleuchtete Wege durch den Park, schmuddelige, verwinkelte und enge Unterführungen, die schlichtweg abschrecken und beklemmende Gefühle auslösen. Das sind Orte, die Frauen Angst einjagen und sogar Bauchschmerzen bereiten können. Und die Angst ist einfach da, unerwünscht und nicht zu verdrängen, auch wenn nach Angaben der Kriminalpolizei Bonn diese beschriebenen dunklen Ecken in der Stadt gar nicht die typischen Orte sexueller Nötigung oder gar Vergewaltigung sind. Denn der größte Teil (geschätzt mindestens 60 Prozent) der Sexualstraftäter stammt aus dem Bekannten- oder Verwandtenkreis, aus dem Kollegium oder der Nachbarschaft.
Probleme angehen
Asiatische Kampfsportarten wie Aikido und Karate, Wen Do, ein feministisches Programm von Frauen für Frauen und Mädchen, und Kurse zur Selbstbehauptung und Selbstverteidigung haben sehr unterschiedliche Ansätze. Das Wichtigste ist, dass Mädchen wie Frauen überhaupt etwas unternehmen, um ihre Angstgefühle weitgehend in den Griff zu bekommen. Sie müssen ein sicheres Auftreten üben und Möglichkeiten der Gegenwehr kennen. "Denn sexuelle Straftäter," so Anja Reitz, Diplom-Psychologin und Kursleiterin bei der Kripo in Bonn, "suchen Opfer, keine Gegner. Bei einer sexuellen Nötigung oder gar Vergewaltigung steht die sexuelle Befriedigung für einen Mann nicht im Vordergrund, sondern die Machtausübung über untergebene und untätige Opfer." Und genau an diesem Punkt setzen Schulungen in Selbstbehauptung und Selbstverteidigung an.
Die Stärken des "schwachen Geschlechts"
"In Euch schlummern unentdeckte Kräfte!" ist die Ermutigung, die in vielen Kursen zur Selbstbehauptung und Selbstverteidigung gemacht wird. Deren Ziel ist, Frauen und Mädchen zu helfen, in Angstsituationen besser zurecht zu kommen. Wenn Fähigkeiten wie beispielsweise lautstarkes Schreien tatsächlich entdeckt werden, versetzt das so manche Teilnehmerin ins Staunen. "Ich habe noch nie in meinem Leben so richtig laut geschrieen", ist eine sehr häufige Aussage in den Kursen. "Da merken wir dann, wie sehr die Mädchen und Frauen dazu erzogen worden sind, immer schön lieb und nett aufzutreten," berichtet die Psychologin Anja Reitz. "Allerdings entdecken unsere Kursteilnehmerinnen dann auch oft, wie viel Spaß es machen kann, mal so richtig laut zu sein!"
Auf das Auftreten kommt es an
Selbstbehauptung beinhaltet die Stärkung des eigenen Ichs, die Förderung von Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Hierzu zählen eine selbstbewusste Körperhaltung, ein gerader Blick, eine laute und deutliche Stimme und ein sicherer Gang. "Ziel der Selbstbehauptung ist, eine bedrohliche Situation, in der ein Mann einer Frau einen Schritt zu nahe gerückt erscheint, so zu stoppen, dass es nicht zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt," erklärt die Bonner Psychologin. Die Mädchen und Frauen müssen in der Selbstbehauptung lernen, deutliche Grenzen zu setzen durch treffende Bemerkungen und deutliche körperliche Signale.
Welche Bedeutung allein ein sicheres Auftreten einnimmt, machen folgende Zahlen deutlich: Bei der Einschätzung eines Gegenübers machen 55 Prozent die Körperhaltung , 35 Prozent die Stimme und lediglich 10 Prozent der Inhalt des Gesagten aus. "Voraussetzung für die Selbstbehauptung ist die Wahrnehmung der eigenen Angstgefühle. Die sollten Frauen und Mädchen immer ernst nehmen," empfiehlt die Expertin aus Bonn. Rückt ein Mann einer Frau beispielsweise zu nahe auf die Pelle, rät sie, die Gefühle von Beklommenheit im Kopf keinesfalls zu verdrängen, sondern lieber einmal zuviel als zuwenig zu reagieren.
Schlagen erlaubt
Sinnvoll sind Kurse, in denen sowohl Selbstbehauptung als auch Selbstverteidigung unterrichtet werden. Kommt es trotz Selbstbehauptung zu einer körperlichen Bedrohung, sollten Mädchen und Frauen verschiedene Techniken der Selbstverteidigung, der körperlichen Notwehr, beherrschen. "Die Techniken sollten auch an Männern erprobt werden, um auf reale Angriffssituationen gefasst zu sein," erläutert Diplom-Psychologin Anja Reitz die Meinung der Kriminalpolizei. Kommt es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, rät eine polizeiinterne Studie von Susanne Paul, sich stets massiv zur Wehr zu setzen. Stuft man die Gegenwehr von Frauen in die drei Kategorien ´keine´, ´leichte´ und ´massive´ Selbstverteidigung ein, so haben Frauen und Mädchen, die sich massiv zur Wehr setzen, zu 85 Prozent die Chance, dass die Tat abgebrochen wird.
Bonner Kripo bietet umfangreiche Kurse an
Die Kurse der Bonner Kriminalpolizei sind sehr komplex angelegt. Neben einem Psychologen oder Pädagogen, der für den Teil der Selbstbehauptung zuständig ist, übernehmen in der Regel zwei Kampfsportlehrer den Teil der Selbstverteidigung. Ein Kriminalpolizeibeamter behandelt den kriminalistischen Part, der selbstverteidigende Waffen wie Sprays unter die Lupe nimmt. Interessanterweise wird ein Kurs immer von dem kompletten Team betreut. "Die drei Unterrichtsbereiche werden jeweils in zehn Einheit zu drei Stunden behandelt, so dass wir einen relativ langen Zeitraum abdecken. Hiermit wollen wir weitgehend sicher stellen, dass das Wissen und die Anwendung der Selbstbehauptung und Selbstverteidigung Zeit hat, sich im Gedächtnis und im alltäglichen Verhalten zu setzen und so auch in brenzligen Situationen parat ist", argumentiert die Psychologin Anja Reitz. Ebenso verhält es sich mit den körperlichen Techniken. "Hier wählen wir einfach anwendbare Techniken aus den verschiedensten Kampfsportarten aus, an die sich die Frauen und Mädchen auch noch nach längerer Zeit erinnern können," erklärt Anja Reitz; "Hauptsache, Mädchen und Frauen wehren sich überhaupt. Die Philosophie einer bestimmten asiatischen Sportart ist deshalb für die Kriminalpolizei nachrangig.
Unterschiedliches Programm für Mädchen und Frauen
Die Bonner Kripo bietet ihre Kurse für verschiedene Altersstufen an. Sie teilt die Teilnehmerinnen in Kurse für Mädchen (in der Regel 12- bis 14-Jährige und 14- bis 16-Jährige) und erwachsene Frauen ein. Die Kurse für Mädchen bestehen im Gegensatz zu den Frauen Kursen, die 30 Stunden umfassen, aus 20 Unterrichtsstunden. Die Mädchenkurse vermitteln denselben Inhalt in etwas gestraffterer Form. Hier entfällt der "Parcours", den die Frauen gegen Ende ihrer Kurse durchlaufen. Der "Parcours" ist eine Strecke im Freien, beispielsweise eine dunkler Parkweg, auf dem die Kursteilnehmerinnen von Mitarbeitern der Polizei, sogenannten "Dummies", angepöbelt werden und sich wehren müssen. Mädchen können zusätzlich auf die Initiative von Lehrern oder Schülerinnen in geschlossenen Kursen nach der Schulzeit geschult werden. Dieses Angebot wird bei der Bonner Kripo seit einigen Jahren stark nachgefragt. Darüber hinaus gibt es auch ein offenes Angebot für Mädchen. Da nach Angaben der Kripo Bonn Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren die häufigsten Opfer von Sexualdelikten sind, ist ein Training für diese Altersgruppe besonders angezeigt.
Weitere Informationen
In vielen Städten bietet die Kriminalpolizei Kurse zur Selbstbehauptung und Selbstverteidigung an Informationen gibt es bei der Polizei selbst. Andere Kurse gibt es entweder bei öffentlichen Trägern wie der Volkshochschule, Sportvereinen oder an Sportinstituten der Universitäten. Mädchen können sich auch einfach an das Jugendamt oder an Mädchenhäuser und -beratungsstellen wenden.