Selbstständigkeit und Familie
Nach dem Baby zurück in den Job, aber der alte Arbeitsplatz soll oder kann es nicht sein? Das ist der Zeitpunkt, an dem so manche Mutter darüber nachdenkt, sich selbständig zu machen. Wie aus einer ersten Idee ein kleines Unternehmen werden kann, berichten wir hier.
Der erste Schritt in die Selbständigkeit: Beratung vom Experten
In den ersten zwölf Monaten mit Baby hat man als Mutter nichts als Stillzeiten, Pekip, Himpelchen und Pimpelchen im Kopf. Doch dann kehrt langsam der Alltag wieder ein und es reift die Erkenntnis, dass es ein Leben nach dem Säuglingsalter gibt. „In dieser Umbruchphase kommen immer mehr Frauen auf die Idee, sich selbstständig zu machen“, stellt Diplom-Kauffrau Andrea Juchem-Fiedler von www.frauen-coachen-frauen.de fest, „Ihren früheren Job können sie nicht mit dem Kind vereinbaren, haben aber auch keine Lust, als überqualifizierte Teilzeitkraft zu arbeiten. Oder sie möchten ihn gar nicht mehr machen, weil sich ihre Prioritäten verschoben haben.“ Die Frauen sind nicht mehr bereit, in Meetings herumzusitzen oder sich vom Chef herumkommandieren zu lassen. Sie möchten etwas Sinnvolles tun, sich etwas Eigenes aufbauen. „Die Geschäftsideen entstehen aus dem Alltag mit Kind heraus“, beobachtet Andrea Juchem-Fiedler, die ihren Beratungsservice für Frauen zusammen mit Geschäftspartnerin Daniela Sauermann ebenfalls in der Elternzeit gestartet hat, „Häufig begleiten wir Existenzgründungen im handwerklichen Bereich, zum Beispiel Frauen, die schönere Spielsachen oder praktischere Kindermöbel herstellen möchten als die, die es auf dem Markt gibt.“
Ideen für Selbständigkeit aus dem Alltag mit dem Baby
Edda Timmermann (47) aus Potsdam ist eine jener Frauen, die die Kinderpause in die Selbstständigkeit geführt hat. Sie war zwar schon vor der Geburt des ersten ihrer drei Kinder selbstständig tätig – als Sängerin mit einem Gesangsstudium und einer privaten Klassikausbildung. Doch die Bandauftritte und ihre Lehrtätigkeit an einer Musikschule gab sie auf Wunsch ihres damaligen Mannes auf, um sich dem Muttersein zu widmen. Später nahm sie eine Halbtagsstelle als Koordinatorin im Gruppentourismus eines Besucherzentrums an, um das Familieneinkommen aufzustocken, und träumte doch all die Jahre davon, eines Tages wieder vom Singen zu leben. Erst nach der Trennung von ihrem ersten Mann und einer von Familienkonflikten geprägten Zeit war es soweit: „Endlich war ich mutig genug, das zu tun, was mir wirklich am Herzen liegt! Als mein jüngster Sohn Andreas drei Jahre alt war und in den Kindergarten ging, habe ich meine Festanstellung gekündigt und Arbeitslosengeld I beantragt, um mich aus der Arbeitslosigkeit heraus auf die Selbstständigkeit vorzubereiten. Denn neben einem Job und den Kindern noch Gründungsideen ausbrüten, das kann keine Mutter leisten“, berichtet Edda Timmermann. Seit 2004 ist sie als selbstständige Sängerin und Gesangspädagogin tätig, „Ich gebe Kurse, in denen Menschen ihren natürlichen Stimmklang wiederentdecken können. Ganzheitlich bis ins Zellbewusstsein hinein wirkt meine Arbeit mit Tönen und den Klängen meiner Stimme. Heilsam, reinigend und klärend berührt sie die Seele und das Herz.“
Mehr als ein Hobby: Ich werde Unternehmerin!
Der Moment der Wahrheit kommt für jeden, der mit der beruflichen Selbstständigkeit liebäugelt: Ziehe ich das jetzt durch oder nicht? Bei der Entscheidung hilft eine Gründungsberatung. „Wir überlegen mit unseren Klientinnen, ob die Selbstständigkeit für sie nur ein Hobby sein soll, um während der langen Stunden mit Kind zu Hause etwas zu tun zu haben, oder ob sie eine Erwerbstätigkeit anstreben, mit der sich ein Einkommen erwirtschaften lässt“, erklärt Beraterin Andrea Juchem-Fiedler, „Denn dann muss die Geschäftsidee auf ihre Markttauglichkeit geprüft werden, es muss ein Businessplan her.“ Selbstständigkeit, lernen die Frauen, bedeutet nicht nur, im stillen Kämmerlein Lederschlüppchen für Laufanfänger zu nähen, sondern: mit Zahlen umgehen, Vorträge vor fremden Menschen halten, die eigene Persönlichkeit abklopfen: Bin ich eine Unternehmerin?
Auch Edda Timmermann hat eine Beratung in Anspruch genommen – beim Technologie- und Gründerzentrum Fläming. Das wirtschaftlich orientierte Denken der dortigen Kursleiter entsprach so gar nicht ihrer Künstlerseele, die nicht antrat, um das große Geld, sondern um eine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Doch die Brötchen wollen verdient werden, und die Potsdamerin erkannte, dass sie sich weiterbilden und spezialisieren musste, um auf dem heutigen Arbeitsmarkt eine Chance zu haben. Ein Seminar über „Body-Mind Centering“ eröffnete ihr ganz neue Möglichkeiten, in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten, die auch ihrer mit der Lebenserfahrung veränderten Persönlichkeit entsprachen. „Als Mutter habe ich inzwischen einen ganz anderen Blick auf die Dinge“, sagt die 47jährige, „Zum Beispiel denke ich, dass Kinder nicht leistungsorientiert Musik machen sollten, bevor sie Klang und Rhythmus in ihren Körpern gespürt haben. Es ist wichtig, dass sie sich kreativ erfahren können und Freude in gemeinsamen Sing- und Spielkreisen haben.“ Neben ihren Klangseminaren im Kulturhaus Babelsberg hat Edda Timmermann auch wieder erste Auftritte als Sängerin gehabt, zum Beispiel bei der Geburtstagsfeier einer 70jährigen auf dem Berliner Funkturm. „Erst sechs Jahre nach der Gründung habe ich so langsam das Gefühl, dass es läuft“, resümiert die dreifache Mutter, „Aber darauf muss man sich als Selbstständige mit Kindern einstellen: Es geht alles langsamer. Man darf nicht zu hohe Erwartungen an die Arbeitskraft haben, die man neben der Familie noch aufbringen kann. Und man muss erstmal lernen, die Kinder loszulassen, bevor man sich wirklich auf die eigene Arbeit konzentrieren kann.“
Businessplan und Baby: Selbständig als Paar
Frauen, die sich durch die Hindernisse auf dem Weg in die Selbstständigkeit nicht einschüchtern lassen, erleben irgendwann ein ganz besonderes Gefühl: Ihre Ideen werden Wirklichkeit! Das berufliche Selbstbewusstsein, das ihnen als Säuglingsmutter abhanden gekommen ist, kehrt doppelt und dreifach zurück – wenngleich das seine Zeit braucht. „Frauen ticken anders als Männer“, weiß Andrea Juchem-Fiedler von ‚Frauen coachen Frauen’, „Sie sind kreativ und sehr gut ausgebildet, aber sie tun sich schwer damit, überzeugend aufzutreten: Hier bin ich, meine Idee ist toll, und dafür will ich angemessen bezahlt werden!“ In vielen Fällen arbeitet der Partner, um das Risiko abzufedern, fest angestellt und sichert den Lebensunterhalt für die Familie. Doch es gibt auch Elternpaare, die sich gemeinsam selbstständig machen – wie Fati und David Heinzel aus Berlin. Als Fati (42) im Jahr 2002 aus Westafrika nach Europa kam, landete die gelernte Köchin zunächst in Brüssel und hielt sich mit Jobs beim Filmcatering über Wasser. Nachdem sie ihren heutigen Mann David (33) kennengelernt und geheiratet hatte, ging sie mit ihm nach Berlin, wo er als selbstständiger Dokumentarfilmer arbeiten wollte. Doch die Honorare in der deutschen Hauptstadt waren mit denen in Belgien nicht vergleichbar und der Traum scheiterte. Etwas entmutigt beschloss das Paar schließlich, sich mit vereinten Kräften eine Existenz aufzubauen. Nicht zuletzt der gemeinsamen Tochter Marie-Louise wegen, die inzwischen geboren worden war.
Gründungsberater ebnen den Weg: "Ein Businessplan ist keine Bibel"
Per Zufall bekamen Fati und David das Angebot, Aufträge eines befreundeten Cateringanbieters zu übernehmen, und ergriffen die Gelegenheit beim Schopfe. „Dank dieser Kooperation haben wir in der Branche Fuß gefasst“, erzählt David, „und konnten 2009 unsere eigene Firma www.mumalu-catering.de gründen.“ Als Spezialität verkauften sie den westafrikanischen Einschlag in Fatis Kochkünsten. Und diesmal gingen sie es strukturiert an, ließen sich von den Gründungsberatern der ".garage" auf die Sprünge helfen: „Dort habe ich gelernt, dass ein Businessplan keine Bibel ist, an die man sich sklavisch halten muss“, so David Heinzel, „dass es aber praktisch ist, ihn zu haben, um zu wissen, wo man steht.“ Ein Jahr nach der Gründung kann MuMaLu Catering bereits große Kunden vorweisen, darunter eine Botschaft und politische Parteien. Eben sind die Heinzels im Begriff, als zweites Standbein eine Kantine zu übernehmen.
Und wie klappt es nun mit der Doppelbelastung Selbstständigkeit und Familie? Klar, finanziell ist das erstmal so eine Sache. „Zwei, drei Jahre lang haben wir auf Sparflamme gelebt, unser Einkommen war schwer abzuschätzen. Ohne meine Minierbschaft von 10 000 Euro hätten wir es nicht geschafft“, rechnet David Heinzel vor, „Aber es war uns lieber, etwas Eigenes aufzubauen, als dauernd mit Kind und Kegel für befristete Jobs umziehen zu müssen.“ Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Familien, Monate mit geringem Einkommen zu überbrücken, wie Unternehmensberaterin und Autorin Andrea Claudia Delp in ihrem Ratgeber „Darlehen und Kredit – wie und wo sich Gründer und kleine Unternehmen Geld leihen können“ aufführt: Anfangs helfen noch das Elterngeld oder der Gründerzuschuss, später kommen Kredit und Darlehen infrage, aber auch eigene Ersparnisse, der vermögende Onkel, der sein Geld zu einem besseren Zinssatz verleiht als die Bank, oder private Investoren.
Wichtig: Familienzeit und die gleichen Ziele
Marie-Louise, die Tochter der Heinzels, ist jetzt 18 Monate alt. Wenn die Kantine eröffnet und Mama Fati von 10 Uhr 30 bis 18 Uhr 30 am Herd stehen wird, um danach noch Abendveranstaltungen zu versorgen, werden sie einen Babysitter brauchen. Doch bisher konnten sich die Heinzels über Schwierigkeiten mit der Kinderbetreuung nicht beklagen. Familienzeit ergab sich in den ruhigeren Phasen zwischen den Aufträgen immer. „Da meine Frau für die Küche zuständig ist und ich für Service und Akquise, lief unsere Arbeit nie parallel und wir konnten uns mit Marie-Louise abwechseln“, erzählt David Heinzel. Er hat auch kein Problem damit, in Zukunft derjenige zu sein, der einspringen muss, wenn die Tochter krank wird, weil Fati schlecht in der Kantinenküche alles stehen und liegen lassen kann. „Die jungen Väter von heute haben da sowieso ein modernes Rollenbild“, bestätigt Andrea Claudia Delp, die mit amaveo zahlreiche Eltern auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleitet hat, „Viele kommen von ganz allein mit der Idee, Familientage einzulegen, an denen die Arbeit liegen bleibt.“
Wichtig ist für selbständige Paare, dass beide Partner ähnliche Vorstellungen davon haben, wie der Zeitkuchen zwischen Arbeit und Familie aufgeteilt sein soll und mit welchem Einkommen sie zufrieden wären. „Streit entsteht häufig, wenn der eine meint, sich krumm schuften zu müssen, während der andere auch mal alles liegen lässt, um zum Sport zu gehen. Oder wenn die Mutter die Doppelbelastung Kind und Job wuppen muss, während sich der Vater nur fürs Geschäft zuständig fühlt. Oder wenn ein fest angestellter Partner nach seinem anstrengenden 10-Stunden-Tag auch noch dem selbstständigen Partner unter die Arme greifen soll“, hat Andrea Claudia Delp beobachtet. Bei Heinzels hat es solche Meinungsverschiedenheiten nie gegeben. Ihr Geheimrezept: Sie hängen sich trotz gemeinsamer Existenzgründung nicht 24 Stunden am Tag auf der Pelle. „Und alles, was wir zusammen entscheiden müssen“, so David, „wird vernünftig diskutiert. Wir wissen beide: Es geht hier nicht darum, sich durchzusetzen, sondern um unser gemeinsames Ziel, das Unternehmen zu platzieren.“ Einigkeit zwischen den Partnern ist auch deshalb wichtig, weil die Selbstständigkeit ihren Preis kostet. Sind beide bereit, ihn zu zahlen? Vorläufig auf lange Ferien und teure Reisen zu verzichten oder auf Wohneigentum? „An ein Geschwisterchen für Marie-Louise können wir erst in ein oder zwei Jahren denken“, bedauert David Heinzel, und das ist auch so ein Punkt: Die Selbstständigkeit entsteht zwar häufig aus der Elternzeit heraus – doch gleichzeitig legt sie die weitere Familienplanung vorerst auf Halde.
Links und Infos:
Der erwähnte Ratgeber "Darlehen und Kredit – wie und wo sich Gründer und kleine Unternehmen Geld leihen können" ist erschienen im Linde Verlag und kostet 17,90 Euro.
Die im Text angesprochenen (Beratungs-)Firmen finden Sie hier: