Mein Kind ist extrem ängstlich
Dein Kind weint bei jedem lauten Geräusch, traut sich nicht aufs Kinderkarussell oder fürchtet sich vor Insekten? Eventuell ist es außerdem sehr schüchtern. Warum manche Kinder mehr Angst haben als andere, und was ihnen hilft.
- Wie viel Angst ist normal?
- Selbständigkeit macht mutig
- Ängstliche Eltern haben oft ängstliche Kinder
- Die Erwartung der Väter: „Jetzt trau’ dich doch mal!“
- Dem Kind Strategien gegen die Angst vermitteln
- „Magie“ hilft gegen Drachen im Kinderzimmer
- Ein Worst-Case-Scenario kann Ängste beruhigen
- Wenn die Angst zu groß wird
Wie viel Angst ist normal?
„Meine Tochter (2) hat Angst vor Schnee. Sie will ihn nicht betreten und auch nicht auf dem Schlitten sitzen, sie zieht dann die Beine an und weint los", erzählt Anne-Kathrin (34) aus Remscheid, Mutter zweier Kinder. Und eine urbia-Userin postet über ihre kleine Tochter: „Geräusche machen ihr Angst, wie zum Beispiel ein Akkuschrauber. Aber sogar, wenn ich ihr vorlese und dabei ein Tier nachahme, erschrickt sie zu Tode und weint sehr."
Alle Kinder werden manchmal von Ängsten geplagt, sie fürchten sich vor der Dunkelheit, vor Monstern oder vor Hunden. Doch für manche Kinder sind auch Situationen angstbesetzt, die anderen nichts ausmachen: Sie fürchten sich vor Insekten, vor dem Nikolaus, vor Clowns oder sogar vor anderen Kindern. Sie trauen sich nicht aufs Kinderkarussell oder die Rutsche, obwohl sie das eigentlich möchten. Ist das noch normal?, fragst du dich vielleicht besorgt, wenn auch dein Kind solche Ängste hat.
Warum sind manche Kinder ängstlicher als andere?
Nur selten steckt hinter der Furcht wirklich eine Störung. Wie stark Kinderängste ausgeprägt sind, ist einfach sehr unterschiedlich. Zum Teil ist das Veranlagung. Manchmal aber ist die Angst auch „hausgemacht": Überbehütung, eigene Ängste der Eltern, oder unrealistische Erwartungen ans Kind können eine Neigung zur Ängstlichkeit fördern.
Selbständigkeit macht mutig
Wir Eltern möchten unser Kind vor Gefahren bewahren. Aber manchmal greifen wir aus Angst vor Verletzungen oder auch Schmutz zu früh ein, wenn Tochter oder Sohn irgendwo hochklettern oder etwas erforschen möchten. „Ein überkontrollierendes und übermäßig beschützendes Verhalten kann Ängstlichkeit beim Kind fördern", erklärt der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie auf seiner Info-Site. Oft entstehe ein Teufelskreis aus Überfürsorge der Eltern und erhöhter Ängstlichkeit beim Kind.
Zur Überbehütung gehört aber auch ein Zuviel an Verwöhnung: Wer sein Kind mit Spielzeug, Kinderfilmen oder Computerspielen überfüttert, erzieht es zur Passivität - und die macht mutlos. Denn das Kind erlebt nicht, was es sich zutrauen kann, und was nicht. Dasselbe gilt, wenn wir dem Nachwuchs zu viel abnehmen: „Ich mach' das schon, das geht schneller!". So verpasst ein Kind wertvolle Erfolgserlebnisse, die ihm Sicherheit geben.
Falls du eher zu den sehr behütenden Eltern gehörst, hilft es deinem Kind, wenn du dich bewusst ein bisschen bremst: also deinem Kind alles erlaubst, was kein allzu hohes Verletzungsrisiko birgt; es alles selbst tun lässt, was es bereits selbst tun kann; und ihm nicht rund um die Uhr Programm bietest, sondern viel freie Spielzeit, in der es seine körperlichen Grenzen und seine Fantasie erproben kann.
Ängstliche Eltern haben oft ängstliche Kinder
Auch ihre eigenen Ängste geben Eltern manchmal ungewollt an ihr Kind weiter. Denn Kinder beobachten uns ganz genau: Wovor Mama oder Papa sich fürchten, das muss gefährlich sein. Ist der Vater vielleicht schüchtern und meidet soziale Kontakte, oder hat die Mutter Angst vor Bakterien und zückt oft das Desinfektions-Spray, kann das Kind solche Ängste lernen. Wenn du dich hier wieder erkennst, kannst du versuchen, für dein Kind hier und da über deinen Schatten zu springen. Vielleicht gehst du öfter bewusst auf andere Menschen zu, oder lässt in Sachen Hygiene auch mal alle Fünfe gerade sein.
Die Erwartung der Väter: „Jetzt trau’ dich doch mal!“
Es verstärkt die Angst eines Kindes auch, wenn die Eltern von ihm erwarten, dass es sich „nicht so anstellen" soll. Vor allem Väter tappen manchmal in diese Erziehungsfalle: „Nun trau' dich doch mal! Du bist doch kein Feigling, oder?" Solche Sätze frustrieren sehr, denn kein Kind will seine Eltern enttäuschen.
Aber auch mit freundlichen Erklärungen können wir Eltern Kinderängste nicht wegreden: Wenn dein Kind auf den lauten Staubsauger, das Martinshorn des Krankenwagens oder den Probealarm in der Kita panisch reagiert, hilft ihm auch ein beruhigendes „Davor brauchst du doch keine Angst zu haben!" nicht weiter, im Gegenteil: „Wenn wir Kindern die Angst ausreden, fühlen sie sich allein gelassen", betont Kurt Singer, Professor für pädagogische Psychologie, in einem Fachaufsatz.
Was Kinderängste wirklich lindert, ist dagegen Anteilnahme: „Kinder fühlen sich verstanden, wenn Erwachsene nicht nur auf sie einreden, sie nicht nur lenken und belehren wollen, sondern ihnen in Ruhe zuhören, sie ausreden lassen", betont Singer. Dadurch fühle sich das Kind ernst genommen; das stärke sein Selbstwertgefühl - und aus einem sicheren Selbstwertgefühl erwachse Mut.
Dem Kind Strategien gegen die Angst vermitteln
Haben wir unserem Kind gut zugehört, dürfen wir ihm natürlich auch ganz praktische Strategien vermitteln. Bei Angst vor Lärm zum Beispiel kannst du deinem Kind den Tipp geben, sich ganz fest die Hände auf die Ohren zu legen. Du kannst auch versuchen, es schrittweise an etwas lautere Geräusche zu gewöhnen: den Staubsauger auf niedriger Stufe im Nebenzimmer laufen lassen, so dass es selbst entscheiden kann, wie weit es sich ihm nähern möchte.
Besonders wichtig ist praktische Hilfe bei sozialen Ängsten. „Unsere Kleine (1) kriegt fast Panik, wenn ein Kind auf sie zu krabbelt und 'Hallo' sagen möchte. Dann hat sie Angst, muss auf meinen Arm und vergräbt sich bei mir", berichtet eine unserer urbia-Userinnen. Diese Scheu kommt öfters vor bei Kindern, die wenig Gelegenheit haben, andere Kinder zu treffen. Ermögliche deinem Kind jetzt so viel Kinderkontakt wie möglich: in den Turn- oder Spielgruppen der Familienbildungsstätten oder Sportvereine, bei Verabredungen mit anderen Müttern. Nur so wird es vertrauter im Umgang mit anderen Kindern.
„Magie“ hilft gegen Drachen im Kinderzimmer
Auch bei anderen Ängsten helfen Taten mehr als 1.000 Worte. Das weiß auch eine unserer urbia-Mütter: „Mein Sohn (2,5) hat Angst vor Krokodilen, Drachen, Tigern. Was ihm hilft, sind Lösungen: Wenn es draußen regnet, traut sich der Tiger nicht raus, weil sonst seine Füße nass werden. Den sind wir also schon mal los. Damit kein Krokodil reinkommen kann, schließen wir die Tür ab. Und falls ein Drache vorbei fliegt, schlägt unser ‚Drachenwarngerät' (Satellitenschüssel) Alarm und vertreibt ihn!"
Ein Worst-Case-Scenario kann Ängste beruhigen
Vor allem ältere Kinder entlastet es auch sehr, sich gemeinsam ein „Worst-case-Szenario" auszumalen: zu überlegen, was schlimmstenfalls passieren kann, und dann zusammen zu besprechen, was das Kind in diesem Fall tun könnte: „Wenn du dich beim Aufsagen des Gedichts vertust, könntest du den Lehrer bitten, dass er dir ein paar Wörter vorsagt", „Wenn Du dich beim Flötenkonzert verspielst, machst du am besten beim nächsten Takt weiter, als ob nichts wäre."
Wenn die Angst zu groß wird
Es ist eher selten, kommt aber vor, dass ein Kind eine echte Angststörung hat: Wenn dein Kind zum Beispiel verstummt, obwohl es schon sprechen konnte, im Schulalter wieder einnässt, vor Klassenarbeiten immer Bauch- oder Kopfweh bekommt, Symptome wie Zittern, Atemnot, Stottern zeigt, zwanghafte Verhaltensweisen entwickelt, auffallend passiv wirkt, sich absondert oder nur noch unter Schwierigkeiten in Kiga oder Schule gehen kann, solltest du Rat bei einem Kinderpsychologen suchen.