Gutes Benehmen: Wie Kinder Manieren lernen
Gutes Benehmen ist in. Jeder zweite Deutsche ist der Meinung, dass Benehmen sogar als Schulfach unterrichtet werden sollte, das ergab eine Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov. Eltern haben beim Benehmen ihrer Kinder eine wichtige Vorbildfunktion.
Benimm steht wieder hoch im Kurs
Zwei etwa Dreizehnjährige, Hände in den Taschen und Kaugummi wiederkäuend, rempeln eine alte Dame heftig an, um rascher an ihr vorbei ins Kaufhaus zu kommen. "Mach’ halt schneller Oma!", raunzt der eine, als sie sich erschrocken beschwert. Da kommen auch beim unbeteiligten Betrachter spontane Rachegelüste auf. Schlechte Manieren sind aber kein Privileg der Halbstarken. Schon im Kindergarten kann man es aus niedlichen Kleinkindergesichtern gar nicht niedlich schallen hören: "Gib’ den Bagger wieder, du Sau". Kein Zweifel, Höflichkeit ist bei vielen Kindern absolut out.
Erstaunlich eigentlich, denn bei deren Eltern ist gutes Benehmen hoch im Kurs: Höflichkeit steht wieder bei fast allen Müttern und Vätern an erster Stelle bei der Erziehung, nachdem Mitte der Sechziger Jahre die antiautoritäre Erziehung und später die 68er-Bewegung für eine gegenläufige Tendenz gesorgt hatten. Was als höflich empfunden wird, darin sind sich die allermeisten Menschen einig. In einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens YouGov im April 2015 fanden z.B. 94 Prozent der Befragten, dass man in der Bahn seinen Platz räumen sollte, wenn eine alte oder schwangere Person einsteigt. Neun von zehn Deutschen (91 Prozent) finden es außerdem unhöflich, wenn Menschen während eines Gespräches ständig auf ihr Handy schauen. Eine andere Studie fand heraus, dass die Hälfte der Deutschen (51 Prozent) es gut fände, wenn Kinder und Jugendliche gutes Benehmen als eigenes Unterrichtsfach in der Schule bekämen.
Wie aber können wir dafür sorgen, dass der Kurswert der schwankenden Aktie Höflichkeit auch bei unserem Nachwuchs wieder ansteigt?
Höflichkeit: Wie verhalte ich mich selbst?
Zunächst müssen wir Erwachsenen uns an die eigene Nase fassen. Natürlich sind wir höflich. Wenn wir nicht gerade einem ungeliebten Kollegen mittels genüsslich gestreuter Lästereien am Stuhl sägen, im Supermarkt dem Vordermann gehetzt in die Hacken fahren (natürlich ohne uns zu entschuldigen, warum muss der auch so schleichen) oder beim Autofahren den mit Dummheit geschlagenen, feindlichen Verkehrsteilnehmern den Vogel oder Schlimmeres zeigen.
Da ist es kein Wunder, dass auch bei unserem Nachwuchs Unterkühltheit in Sachen Höflichkeit Hochkonjunktur hat. Und auch an Vorbildern aus dem VIP-Bereich mangelt es nicht. Der Umgang von Dieter Bohlen mit den Kandidaten von "Deutschland sucht den Superstar" ist seit jeher fragwürdig, Youtube-Stars wie "Die Lochis" texten munter "Du musst ein Arschloch sein,
dann ist dein Leben voller Sonnenschein". Da wird es schwer, Höflichkeit und Manieren als einen Wert zu vermitteln.
Höflichkeit: Respekt und Rücksichtnahme
Wer seinen Launen zu jeder Zeit nachgibt, ist trendy. Wer öffentlich rülpst, pupst oder in der Nase popelt, ein wahrer Naturmensch, der sich eben nicht verstellen will. Wer anderen die Tür vor den Kopf knallt, anstatt sie aufzuhalten, kommt rascher ans Ziel. Dies sind die Botschaften, die Kinder aus der Welt der Erwachsenen empfangen. Bevor wir uns also fragen "Wie sag’ ich’s meinem Kinde?" müssen wir es erst selbst wieder verstehen: Höflichkeit ist kein überflüssiger Schnickschnack. Sie dient dazu, dass wir uns in unserem alltäglichen "Daseinskampf" hier und da ein bisschen entspannen dürfen, und wenn es nur für einige Momente ist.
Höflichkeit kann sogar kurzzeitig ein unerwartetes Wärmegefühl in der Herzgegend auslösen. Wenn uns zum Beispiel jemand Fremdes anspricht, weil wir mit ratlosem Gesicht den Stadtplan studieren, und sich gemeinsam mit uns über das verwirrende Durcheinander der Linien beugt. Wenn jemand uns in der immer so angespannten Atmosphäre bei der Konferenz im Büro unerwartet zulächelt. Oder wenn uns ein älterer Herr anbietet, die schweren Taschen zum Auto zu tragen, während wir schwitzend mit dem umgeschnallten Baby an der Kasse stehen und schon die vierte Einkaufstasche füllen.
Ermahnungen bringen nur wenig
"Sei doch mal ein bisschen freundlicher, bedank’ Dich, sag’ ‚bitte’, nimm den anderen Kindern nicht immer alles weg" – der Standardermahnungen sind Tausende. Ihnen ist eines gemeinsam: Sie sausen zum einen Ohr unserer Kinder hinein und verlassen ihren Kopf mit Lichtgeschwindigkeit durch das andere Ohr. Erziehung zur Höflichkeit funktioniert nur, wenn wir nicht nur untereinander, sondern auch zu unseren Kindern höflich sind.
Auch ein Baby hat Respekt verdient
Am besten schon, wenn sie noch Babys sind. Uns also bei ihnen entschuldigen, wenn wir sie versehentlich anstoßen, nicht schimpfen, wenn sie uns eine Freude machen wollten und sich die Penatencreme schon selbst auf den Po (und alle Kleidungsstücke) geschmiert haben. Sie nicht gehetzt aus ihrem Spiel reißen, weil wir weg müssen, sondern ihnen schon einige Minuten vorher Bescheid sagen. Und nicht nur genervt ihre Fehler tadeln, sondern sie mindestens doppelt so oft loben, weil die Milch nicht verschüttet, das Butterbrot nicht zu dekorativen Teigbällchen geknetet und einer Bitte unsererseits überraschenderweise sofort Folge geleistet wurde.
Grenzen des guten Benehmens
Doch wieviel Höflichkeit ist nötig? Natürlich sollen unsere Kinder nicht zu dressierten Ja-Sagern werden. Daher müssen wir uns auf das Wesentliche beschränken. Zum Beispiel muss kein Kind Küsschen erdulden oder verteilen, wenn es das nicht möchte. Gleiches gilt für Händeschütteln und Umarmungen. Doch auch ein Kind kann sich entschuldigen, wenn es eine Verabredung vergessen hat oder zu spät gekommen ist. Und erst recht, wenn es jemanden verbal oder körperlich verletzt hat. Und auch der Nachwuchs kann schon lernen, dass man andere ausreden lässt und ihnen nicht über den Mund fährt – natürlich dürfen auch die Erwachsenen dies beim Kind nicht tun.
Entschuldigen und einfache Umgangsformen lernen
Gleiches gilt für Lästereien: Sie sind zwar menschlich, können aber schon in der Kindergartengruppe zu beträchtlichem Herzeleid führen. Weshalb Kinder schon früh lernen sollten, dass Hetzen weh tun kann (und sehen, dass auch die Eltern es vermeiden, über andere herzuziehen). Zu den Zauberwörtern "bitte" und "danke" muss man Kinder nicht immer wieder leierkastenartig auffordern. Wenn man sie selbst häufig benutzt, wird dies auch der Nachwuchs früher oder später ganz von selbst tun.
Manchmal sind Kinder unsicher, wie sie sich als Gäste in anderen Familien verhalten sollten. Hier können Eltern folgende Tipps geben: Gasteltern möchten gern begrüßt werden, es kommt gut an, seine Hilfe beim Tischabräumen anzubieten, wer telefonieren möchte, muss vorher fragen. Nicht vergessen sollte man, sich beim Abschied zu bedanken. Ältere Kinder können hier - ebenso wie z.B. in Restaurants – auch schon lernen, dass man nicht lautstark schreit "Ich muss mal", sondern etwa sagt, dass man gleich wieder zurück ist.