Zehn häufige Erziehungs-Irrtümer
Erziehung ist so individuell wie die Eltern und ihre Kinder, die sich gemeinsam durchs Leben wursteln. Aber ein paar Dinge gibt es schon, die eigentlich keinem Kind guttun. Seht selbst, denn diese Irrtümer könnt ihr leicht vermeiden - außerdem zeigen wir euch welche Lösungsvorschläge es gibt.
- Irrtum 1: Kinder brauchen Abwechslung
- Irrtum 2: Mithilfe verdient eine Belohnung
- Irrtum 3: Ein Löffelchen für Mama
- Irrtum 4: Eltern sind wie gute Freunde
- Irrtum 5: Kindliche Geheimnisse und Missgeschicke ausplaudern
- Irrtum 6: In harmonischen Familien streiten die Kinder weniger
- Irrtum 7: Nur keine Langeweile
- Irrtum 8: Kinder sollen stillsitzen
- Irrtum 9: Wir waren als Kinder viel früher sauber
- Irrtum 10: Wünsche von den Augen ablesen und sofort erfüllen
Irrtum 1: Kinder brauchen Abwechslung
Kinder haben ein großes Sicherheitsdenken, und das macht sie konservativ. Sie fühlen sich am wohlsten, wenn alles beim Alten bleibt. Bevor sie an etwas Gefallen finden, müssen sie sich erst daran gewöhnen. Kinder brauchen deshalb Eltern, die ihrem Leben Struktur geben und sie zugleich ermutigen, auch mal über den eigenen Schatten zu springen. Zum Beispiel, indem man sie beim Essen verführt, öfter mal etwas Ungewohntes zu kosten, und ihren Mut voller Anerkennung erwähnt.
Irrtum 2: Mithilfe verdient eine Belohnung
Damit Kinder als gleichberechtigte Familienmitglieder aufwachsen, darf und soll man von ihnen erwarten, ihrem Alter entsprechend zur alltäglichen Hausarbeit beizutragen bzw. die Eltern in ihrem Bemühen um ein harmonisches Familienleben zu unterstützen. Wenn ein Sechsjähriger morgens Brötchen holt, ist das kein Grund, dass er sich dafür beim Bäcker einen Lutscher kaufen darf. Auch eine Vierjährige braucht man nicht mit der Aussicht auf ein Eis zu ködern, damit sie nach dem Essen ihren Teller und ihren Becher selbst in die Küche trägt.
Irrtum 3: Ein Löffelchen für Mama
Theater bei Tisch gibt's in allen Familien. Ernsthaft problematische Essgewohnheiten entstehen aber paradoxerweise meist nur, wenn sich Eltern mit der Ernährung ihrer Kinder übertriebene Mühe machen. Wer auf Mäkeleien zu sehr eingeht, tagtäglich Extrawürste brät und Spatzenesser mit Tricks zum Essen überlistet, brockt sich einen Machtkampf ein, der Eltern auf den Magen schlägt und Kindern den Appetit verdirbt.
Grundlegende "Spielregel für richtiges Essen": Die Eltern entscheiden, was sie ihrem Kind wann und wie anbieten. Ob und wieviel es davon essen will, bestimmt hingegen allein das Kind.
Irrtum 4: Eltern sind wie gute Freunde
Junge Eltern malen sich gerne aus, wie sie mit ihren Kindern eines Tages durch die Discotheken ziehen. Die Kinder sollen sich gleichbereichtigt und ebenbürtig fühlen und in Mutter und Vater Freunde haben, denen sie alles anvertrauen können. So schön und verständlich der Wunsch nach solch einem Freundschaftsverhältnis ist: Kinder wären damit überfordert. Sie wollen in ihren Eltern keine Kumpel haben, sondern Beschützer, auf deren Stärke sie sich verlassen können. Auch in der Pubertät wünschen sie sich insgeheim, dass ihre Eltern auch jetzt noch die "Großen" bleiben. Sie wollen ihren Eltern vielleicht mal ihren Club oder ihre Discothek zeigen, auf Dauer dabeihaben wollen Jugendliche ihre Eltern normalerweise nicht. Wenn Eltern und Kinder jetzt noch ständig gemeinsam auftreten, ist diese Symbiose selten im Interesse des Kindes entstanden. Meist kann hier ein Elternteil nicht loslassen und drängt sich seinem Kind, aus Angst es zu verlieren, als Freund auf.
Irrtum 5: Kindliche Geheimnisse und Missgeschicke ausplaudern
Jeder Mensch, auch wenn er noch ganz klein ist, braucht seine Privatsphäre, die von anderen respektiert wird. Eltern sollten berücksichtigen: Was Erwachsenen oft nichtig erscheint, kann für Kinderherzen von größter Bedeutung sein. Wenn die Mutter mit der Nachbarin darüber diskutiert, dass Sebastian noch mit sechs Jahren nachts den Schnuller nimmt, schämt dieser sich in Grund und Boden. Und wenn Papa vor Bekannten zum Besten gibt, dass der jüngere Sohn den älteren beim Kicken schon in den Schatten stellt, hat er dessen Vertrauen zumindest für eine Zeitlang verspielt. Sobald Kinder mit einer Angelegenheit Intimität verbinden, verdient diese Respekt. Auch wenn es sich um drollige Versprecher oder Missgeschicke handelt.
Irrtum 6: In harmonischen Familien streiten die Kinder weniger
Kaum etwas kostet im Familienalltag mehr Nerven, als wenn sich Geschwister wegen jeder Kleinigkeit in den Haaren liegen. Oft fragt man sich, was zu Hause wohl falsch läuft, dass die Kinder so streitsüchtig sind. Zu solchen Sorgen besteht in der Regel kein Anlass. Wenn sich Geschwister oft streiten, ist das eher ein Indiz dafür, dass sie sich geliebt und geborgen fühlen. Weil Reibereien mit Bruder oder Schwester das soziale Kompetenztraining schlechthin sind, steiten sich liebevoll betreute Geschwister im Durchschnitt 30 Prozent ihrer gemeinsam verbrachten Zeit. Fühlen sie sich hingegen unsicher oder werden ihnen harte Strafen angedroht, halten Geschwister fast immer zusammen.Wenn die Kinder ein Herz und eine Seele sind, ist das zwar für die Eltern angenehm, aber es ist gesund und natürlich, dass sie sich aneinander reiben.
Irrtum 7: Nur keine Langeweile
"Mir ist langweilig!" Dieser harmlos klingende Satz steht für Eltern wie eine finstere Drohung im Raum. In der schlimmen Ahnung, im Kampf gegen ein gelangweiltes Kind ohnehin den Kürzeren zu ziehen, schlagen sie allerlei sinnvollen Zeitvertreib vor ("Spiel doch mit den Bauklötzen, den Barbies, räum doch mal dein Zimmer auf...") oder erkaufen sich ihre Ruhe mit der Erlaubnis fernzusehen - mit dem Ergebnis, dass sich das Kind danach noch mehr langweilt. Es gibt aber einen Ausweg aus dem Dilemma: Man sollte für gelangweilte Kinder nicht dauernd den Animateur spielen. Wer auch ohne Babysitter und Fernseher mal Ruhe vom Kind will, braucht einen langen Atem und muss durch das Jammertal, in dem es zum zehnten Mal "Mir ist so langweilig" und "Darf ich fernsehen" echot. Aber Langeweile auszuhalten lohnt sich. Denn aus Langeweile entstehen oft die besten Ideen, weil das Unterhaltungs-Vakuum Kinder zur Kreativität zwingt. Müssen sie diese Hürde gelegentlich nehmen, schaffen sie einen gewaltigen Entwicklungssprung: die wertvolle Fähigkeit, sich selbst zu beschäftigen.
Irrtum 8: Kinder sollen stillsitzen
Die Erfindung des Stuhls bescherte Familien ein Dauerthema: Eltern wollen, dass darauf still und möglichst aufrecht gesessen wird. Kinder hingegen nutzen das Ruhemöbel lieber zum Kippeln und Klettern, Himpeln und Hampeln, Fläzen und Rekeln. Fachleute finden: Die Kinder haben Recht. Eine Studie der Universität Frankfurt mit 1000 Grundschülern ergab: Schulkinder (die täglich bis zu neun Stunden sitzen müssen) reagieren auf das Ausbremsen ihres natürlichen Bewegungsdrangs nicht nur mit Nervosität, sondern auch mit Haltungsschäden. Wenn sie sich bei Tisch fläzen und flegeln, sollten Eltern also ein Auge zudrücken.
Irrtum 9: Wir waren als Kinder viel früher sauber
Dass ihre Enkel heute oft noch mit drei Jahren Windeln tragen, ist vielen Omas unverständlich. "Du warst schon mit einem Jahr trocken", beteuern sie der Mutter oder dem Vater glaubwürdig. Tatsächlich blieb früher die Windel schon bei Einjährigen oft trocken. Aber nicht, weil diese ihre Ausscheidungen selbständig kontrollieren konnten - sondern weil sie so oft auf den Topf gesetzt wurden. Oft hatten die Hochstühlchen in der Sitzfläche ein Loch, unter dem sich ein Topf befand. Um das lästige Windelnwaschen einzudämmen, wurden die Kinder beim Spielen oder auch beim Essen mit nacktem Po daraufgesetzt. Wer so Stunden über Stunden am Tag verbrachte, bei dem konnte nicht mehr viel daneben gehen. Mit selbständiger Darm- und Blasenkontrolle hatte diese Methode wenig zu tun. Denn dazu sind Kinder - das war früher nicht anders als heute - erst in der Lage, wenn ihr Gehirn entsprechend ausgereift ist.
Irrtum 10: Wünsche von den Augen ablesen und sofort erfüllen
Auf die Frage, was ihre eigene Kindheit von der heutigen am meisten unterscheide, antwortete die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall einmal: "Der Abstand zwischen der Entstehung eines Wunsches und dessen Erfüllung ist viel kürzer geworden. Dadurch nimmt man Kindern das Gefühl der Sehnsucht. Doch ohne Sehnsucht ist es schwierig, tiefes Glück zu empfinden." Wer seinem Kind jeden Wunsch von den Augen abliest, macht es nicht reicher, sondern ärmer. Ihre Wünsche erfüllt zu bekommen, kann Kinder glücklich machen - insbesondere, wenn man ihnen die Zeit lässt, ihre Sehnsüchte reifen zu lassen. Wer Wünsche aber stets auf Fingerschnippen (oder sogar schon, bevor sie überhaupt entstehen) erfüllt, nimmt der Kindheit einen Teil ihres Zaubers. Wer Kindern die Erfahrung schenkt, sich eine Zeit lang nach etwas sehnen zu müssen, wird ihre Augen zum Glänzen bringen. Und er löst nicht nur momentane Freude aus, sondern schenkt ihnen bleibende Erinnerungen.
Die Tipps wurden diesem Buch entnommen (nur noch antiquarisch zu erhalten):
Im "Lexikon der Erziehungsirrtümer" von Andrea Bischhoff können Mütter und Väter nachschlagen, wo sie überall schief liegen und was sie bisher möglicherweise verbockt haben: von A wie Autorität bis Z wie Zahnen.
"Andrea Bischhoff: Lexikon der Erziehungsirrtümer,
Eichborn, 448 S.