Mama, mir ist langweilig!
Bei diesem Satz ihres Kindes fühlen sich Eltern oft unter Druck. Dabei können sie sich eigentlich entspannen. Denn Langeweile ist wichtig und nötig, um eigene Ideen zu entwickeln. Hier geht es um den Umgang mit dem Leerlauf.
Mir ist langweilig, was kann ich tun?
Mein sechsjähriger Sohn hat Regale voll mit Kinderbüchern. Er kann in Lego-Steinen baden, nennt etliche Playmobil-Sets mit Dinos, Ärzten und Wikingern sein eigen und besitzt einen Fuhrpark mit Fahrrad, Roller, Trecker und Inline-Skates. Doch was macht er? Nölt fast jeden Tag: „ Mama, mir ist ja sooo langweilig!“ Gefolgt von einem fordernden: „Was soll ich jetzt machen?“ Erzähle ich anderen Eltern im Bekanntenkreis davon, höre ich ähnliche Klagen über den quengelnden und gelangweilten Nachwuchs. Dabei müsste Langeweile unseren Kindern angesichts von Spielzeug-Vielfalt und verschiedenster Freizeit-Aktivitäten doch fremd sein. Leider ist das nicht so.
Kinder brauchen nicht organisierte Zeit
Unseren Unmut darüber kann der bekannte Erziehungswissenschaftler Professor Peter Struck nicht verstehen. Im Gegenteil: In seinem Klassiker „Das Erziehungsbuch“ hält er geradezu ein Plädoyer für die Langeweile: „Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Kinder selbstständig und kreativ werden. Kinder brauchen gerade die nicht organisierte Freizeit für ihre Entwicklung. Nur so lernen sie, mit sich alleine etwas anzufangen.“ Deshalb empfiehlt der Pädagoge Eltern, auf den Satz „Was soll ich jetzt machen?“ gar nicht weiter zu reagieren. Und wenn das Kind weiter quengelt? Cool bleiben. Die Langeweile ist nicht das Problem der Eltern, sondern das des Kindes. Eltern sind keine Entertainer. Wer dauernd der Forderung nach Beschäftigung und Unterhaltung nachgibt, schafft sich damit langfristig nur Probleme. Das Kind wird auch in Zukunft so lange nerven, bis es bespaßt wird. Und lernt nicht, eigene Ideen zu entwickeln. Eltern sollen besser sagen: „Du wirst schon etwas finden, was dir Spaß macht“. Das Kind muss dann selbst die Initiative ergreifen – und meist fällt ihm eher etwas Kreatives ein, als man denkt. Daraus entstehen oft die besten Spiel-Ideen. Und genau darauf kommt es an. „Die Kinder erleben, dass sie sich selbst von dem Gefühl der Langeweile befreien können. Solche Kinder können sich auch später gut selbst beschäftigen“, prophezeit Peter Struck.
Zurückhaltung heißt aber nicht, dass Eltern ihre Kinder in Momenten der Langeweile komplett alleine lassen sollen. Bei lange andauernden Quengel-Anfällen ist es sinnvoll, gemeinsam zu überlegen, was der Sohn oder die Tochter als nächstes machen können. Oft ist es so, dass Eltern zwei, drei Ideen haben, das Kind dann aber plötzlich sagt: „Jetzt hab ich’s. Ich mach’ was ganz anderes!“, weil ihm doch etwas eingefallen ist. Klingt einfacher, als es ist? Genau. Denn Eltern und Kindern fällt es schwer, solche Zeiten auszuhalten. Deshalb springen wir Eltern auch oft als Spielgefährten und Ideengeber ein, um Gequengel vorzubeugen. Und, zugegeben, manchmal auch aus echter Solidarität, weil man sich selbst noch recht gut an endlos öde Nachmittage in der eigenen Kindheit erinnert.
Zu viel Berieselung von außen
"Mit ist langweilig" - was tun wir Eltern, wenn unsere Kinder so vor uns stehen? Langeweile - was ist das eigentlich? Eine Weile wird lang, die Zeit scheint sich wie Gummi in die Länge zu ziehen. Doch wo Erwachsene geschenkte Zeit genießen können, wissen Kinder nichts damit anzufangen. Es ist nämlich – nicht nur für Kinder – gar nicht so leicht herauszufinden, was man eigentlich möchte. Das ruft unangenehme Gefühle hervor, die quengelig und nervös machen. Oft steckt hinter Langeweile auch nichts anderes als eine Übersättigung durch Außenreize. Computer, Fernseher, MP3-Player berieseln auf Knopfdruck – und werden trotzdem langweilig. Weil sie kaum Spielraum für eigene Ideen lassen. Wenn zudem die Tage mit Kindergarten, Schule, Sport, Musikunterricht oder Arztterminen verplant sind, wie sollen Kinder da lernen, sich alleine etwas auszudenken? Die Folge klingt paradox: Langeweile entsteht trotz Dauerbeschäftigung. Kinder brauchen im wahrsten Sinn des Wortes Zeit-Räume, in denen Platz für Träume und Herumgammeln ist. Langeweile gehört dazu. Doch bedeutet die Forderung nach Ruhephasen und nicht organisierter Freizeit auch: keinen Musikunterricht mehr, damit Zeit für die gezielte Langeweile bleibt? Soll ich meinem Sohn gleich noch den Schwimmkurs streichen? Peter Struck rät: „Kinder sollen gerne in den Verein oder in die Musikschule gehen – aber ohne Zwang. Außerschulische Aktivitäten sollten gefördert, aber nicht gefordert werden.“
Langeweile hat viele Gesichter
Oft sind wir Großen aber auch blind und unsensibel für das, was die Kleinen sehen und wahrnehmen: Wenn ein kleines Mädchen ausdauernd aus dem Fenster schaut, obwohl es bereits dämmert, muss es sich dabei noch lange nicht langweilen. Vielleicht beobachtet es gerade etwas Interessantes auf der Straße oder hängt seinen Gedanken oder Fantasien nach. Der Kleinen zu sagen: „Willst Du nicht mal was Schönes spielen?“, wäre der erste Schritt, es auf Dauer zu einem echten Langeweiler zu machen. Auch wer sein Kind dauernd beim Spielen stört, kann so Langeweile provozieren. Hat es sich gerade unter dem Esstisch eine schöne Räuberhöhle gebaut, ist es frustriert, wenn die Mutter zum baldigen Aufräumen mahnt. Passiert das ein paar Mal hintereinander, fängt es beim nächsten Mal vielleicht gar nicht erst an, etwas zu bauen.
Langweilig sind für Kinder auch Situationen, in denen sie warten müssen, weil die den natürlichen Bewegungsdrang unterdrücken. Im Wartezimmer beim Arzt ist es genauso öde wie bei Tante Lisbeths Kaffeeklatsch. Den Kleinen kann sogar im Kino langweilig werden, weil sie dort stillsitzen und leise sein müssen. Auch aus Spielpausen heraus entsteht Langeweile: Eben noch hat das Kind ganz vertieft gemalt, Minuten später will es unterhalten werden. Es weiß dann eben nur noch nicht, was es als Nächstes tun will. Dann ist die Langeweile eine Zwischenstation auf dem Weg zu einer neuen Idee.
Manchmal steckt hinter dem ständigen Hinweis auf Langeweile auch das Bedürfnis, mehr beachtet zu werden und Nähe zu erfahren. Eltern sollten sich hin und wieder einmal fragen, wie viel Zeit sie bewusst mit ihrem Kind verbringen. Gibt es genügend Gelegenheiten, miteinander zu spielen oder etwas zu unternehmen? Wenn nicht, so sollte man das ändern. Lieber dem Kind jeden Tag eine Viertelstunde ungeteilte Aufmerksamkeit schenken und es bestimmen lassen, was dann gemacht werden soll, als gemeinsame Spielzeiten nur an freien Tagen und Wochenenden einzuplanen.
Keine Regel ohne Ausnahme
Es gibt aber auch Situationen, da sind die Eltern sehr wohl gefragt, ihren Kindern aus der Langeweile-Falle herauszuhelfen. Zum Beispiel, wenn die Kinder krank sind. Dann dürfen sie verwöhnt werden, weil sie meist zu schlapp und kraftlos sind, um Eigeninitiative zu entwickeln. Erlaubt ist dann, wovon gesunde Kinder nur träumen können: Fernsehen, Talblet spielen, Essen im Bett. Auch wenn Kinder warten müssen, kann man ihnen helfen, die Zeit zu verkürzen: Beim Arzt im Wartezimmer oder im Restaurant sind Spiele für unterwegs, Bücher und Stifte zum Malen hilfreich. Auch auf langen Autofahrten macht das Stillsitzen keinen Spaß. Im eigenen Interesse gilt es dann, den ungeduldigen Kindern die Zeit zu vertreiben: Wenn Mama leckere Sachen eingepackt hat und alle gemeinsam Spiele wie „Ich sehe was, was du nicht siehst“ machen, lauthals singen und ihre Lieblings-Kassetten hören, steigt das Stimmungsbarometer schnell wieder. Und in den Pausen auf Rast-Plätzen lassen sich gut Bewegungs-Spiele einbauen, die nicht nur das strapazierte Sitzfleisch der Kinder wieder in Schwung bringen.
Hilfe, mir ist langweilig! Fünf Tipps helfen aus der Krise
- Nicht ständig Spielideen liefern: Zeigen Sie Verständnis, aber ermuntern Sie das Kind, selbst nachzudenken. Meist dauert es nicht länger als zehn bis 15 Minuten, bis die Kinder doch eine Beschäftigung gefunden haben.
- An kindliches Zeitempfinden denken: Wer Kindern Raum lässt, Käfer zu untersuchen und durch Pfützen zu springen, statt schnell nach Hause zu eilen, macht sie fit zur ruhige Phasen.3
- Spielzeug, das die Fantasie anregt: Spielsachen, die einfach losdudeln und nur Reaktion statt Aktion fordern, sind auf Dauer öde. Ein paar ausrangierte Klamotten von Mama und Papa oder ein Berg aus Decken und Kissen regen garantiert mehr die Fantasie an. Wichtig: Die Wertschätzung dessen, was Kinder alleine geschafft haben, ist eine solide Basis für deren Eigeninitiative.
- Terminplan entrümpeln: Spätestens im Kindergarten geht es los: „Seid ihr auch im Flötenunterricht?“ – „Beim Bambini-Fußball?“ Wenn die Freizeit nur noch mit Terminplaner organisierbar ist, kann etwas nicht stimmen.
- Spielkameraden einladen: Auch das tollste Spiel macht keinen richtigen Spaß, wenn man dabei immer allein ist. Gemeinsam langweilt es sich – fast nie. Fragen Sie doch Ihr Kind, ob es nicht jemanden einladen will.
Buchtipps
Andrea Bischoff: Lexikon der Erziehungs-Irrtümer. Piper Verlag 2007, 448 Seiten, 24,90 Euro.
Bettina Mähler, Dagmar Bickmann: Der Elternkurs. Das Programm für glückliche Familien. Rowohlt Taschenbuchverlag 2005, 190 Seiten, 9,90 Euro.
Matthias Mala: Schnelle Spiele gegen Langeweile. 100 Ideen für daheim und unterwegs. Droemer/Knaur Verlag 2005. 96 Seiten, 9,90 Euro.
Peter Struck: Das Erziehungsbuch. Primus Verlag 2005, 252 Seiten, 24,90 Euro.