Nur alleine oder schon einsam?

Mein Kind ist ein Eigenbrötler

Eltern wünschen sich, dass ihr Kind dazu gehört, beliebt ist, Freunde hat. Doch manche Kinder finden keinen Anschluss und spielen fast immer allein. Sind diese Eigenbrötler unglücklich? Und wann brauchen sie Hilfe?

Autor: Gabriele Möller

Ausgegrenzt oder freiwillig allein?

Kind eigenbrötler
Foto: © fotolia.com/ Nataliia

"Meine Tochter Lea* (11) verabredet sich kaum mit anderen Kindern. Ich sage oft, sie könne doch mal jemanden einladen. Sie sagt dann 'Ja, kann ich mal machen.' Aber es wird fast nie etwas daraus", erzählt Susanne aus Karlsruhe. "Wenn sie Geburtstag feiert, lädt sie einfach diejenigen Kinder ein, mit denen sie sich in der Klasse ganz gut versteht, auch wenn das keine Freunde sind. Sie bekommt aber so gut wie keine Gegeneinladungen. Dabei ist Lea nicht schüchtern. Sie scheint einfach kein Interesse an Freundschaften zu haben."

Wenn ein Kind keine Freunde hat, sind Eltern meist besorgt: Ihr junger Eigenbrötler kann doch nicht glücklich sein, oder? Die Antwort darauf hängt zunächst von einem wichtigen Unterschied ab: Eigenbrötler sind Kinder, die eher aus eigenem Antrieb für sich bleiben. Außenseiter dagegen werden von den anderen Kindern ausgegrenzt. Doch woran erkennen Eltern, zu welcher Kategorie ihr Kind gehört? Sie sollten mit Erzieherinnen oder Lehrern über deren Eindruck sprechen: Eigenbrötler wirken recht zufrieden und kommen in der Gruppe gut zurecht, auch wenn sie oft eher parallel zu anderen Kindern spielen, anstatt mit ihnen. Sie werden nicht gehänselt, gemobbt oder ausgeschlossen, andere Kinder begegnen ihnen neutral bis wohlwollend.

Freundschaftsmuffel - auch eine Typfrage

Warum aber sind diese Kinder dann trotzdem lieber für sich? Das ist zum Einen eine Typfrage. Manchmal sind es überdurchschnittlich intelligente Kinder, die gern für sich spielen, lernen oder experimentieren. So wie bei Lea: "Sie ist als hochbegabt getestet. Sie braucht unheimlich viele Anregungen und hat deshalb sehr viele Hobbys. Wenn man nicht aufpasst, meldet sie sich für immer noch mehr AGs an. Ich glaube manchmal, das ist für sie spannender als eine Freundschaft", berichtet ihre Mutter Susanne.

Ein anderer Typ ist das introvertierte Kind, das sich sehr auf seine eigene Innenwelt konzentriert, die meist besonders fantasievoll und reich ist. Das Innenleben beschäftigt es so, dass äußere Freundschaften nicht so wichtig sind. Es gibt aber noch weitere Arten von Freundschaftsmuffeln, weiß die Soziologin Ursula Nötzoldt-Linden: den "Selbstwertschwachen", der sich durchaus gern mit Anderen anfreunden würde, aber Zurückweisung fürchtet. Solche Kinder sind zurückhaltend oder schüchtern. Dann gibt es da den unkommunikativen Typ, dem es schwer fällt, auch nur ins oberflächlichste Gespräch zu kommen. Oder den "rebellischen", der vor allem die Unterschiede zu den Anderen sieht und glaubt, mit ihnen könne es keine Gemeinsamkeiten geben ("Die Anderen sind alle doof!").

Der Eigenbrötler fällt nicht weit vom Stamm

Ob ein Kind zum Einzelgängertum neigt, ist aber nicht nur eine Typfrage, sondern hat auch mit seiner Lebenssituation zu tun. "Die Chancen, Freunde zu finden, sind definitiv nicht für alle Kinder gleich", erklärt Dipl.-Sozialpädagoge Tobias Schwieger. Dass Einzelgänger ihr Alleinsein freiwillig wählen, heiße nicht, dass diese Entscheidung auch frei von Erfahrungen getroffen wird - positiven wie negativen. Vor allem die Art der frühkindlichen Sozialerfahrungen sei oft prägend. Das kann bedeuten: Manche Kinder sind Einzelgänger, weil auch ihre Eltern kaum Freundschaften pflegen. Oder weil sie Einzelkind sind und daher stark im elterlichen Fokus stehen. Manche dieser Kinder sind geübter im Umgang mit Erwachsenen als mit Gleichaltrigen.

Einzelgänger machen Not zur Tugend

Es wird klar: Ganz freiwillig ist auch die scheinbar selbstgewählte Eigenbrötelei oft nicht. Manche Kinder fühlen sich in der Einzelgängerrolle bloß sicherer als mit der für sie schwierigen Kontaktaufnahme zu anderen Kindern. Sie richten sich gut in ihrer Rolle ein, machen also die Not zur Tugend. Ganz und gar freiwillig ist auch Leas Einzelgängertum nicht. "Sie ist da in einem Zwiespalt: Manchmal fällt ihr schon auf, dass sie eigentlich mal eine Vertraute bräuchte, etwa zum Quatschen. Sie ist dann traurig und gedrückt, oder sagt: 'In der Klasse sind alle zu zweit, haben eine beste Freundin.'  Wenn ich dann aber eine Lösung vorschlage, verläuft das im Sande. Und die gedrückte Stimmung ist am nächsten Tag vergessen", erzählt ihre Mutter.

"Verabrede dich doch mal!" - eine vergebliche Aufforderung

Wunschlos glücklich sind Eigenbrötler also nicht immer, auch wenn sie gut mit ihrer Rolle zurechtkommen. Was können Eltern tun? Der erste Impuls ist oft die hilflose Aufforderung: "Verabrede dich doch mal!" Doch solche Aufforderungen setzen ein Kind unter Druck, es "bekommt Schuldgefühle, wenn es ihnen nicht folgt", warnt Prof. Armin Krenz vom Institut für angewandte Psychologie und Pädagogik in Kiel. Die Annahme, jedes Kind müsse soziale Kontakte aufbauen, sei ein verbreiteter Denkfehler. Krenz betont: "Wichtig ist dagegen, dem Kind zu helfen, ein positives Selbstkonzept aufzubauen. Das heißt, dass das Kind merkt: 'Ich bin trotzdem wer' oder 'Ich kann auch etwas für mich machen."  

Was Einzelgängern wirklich hilft

Eltern sollten also vor allem das Selbstwertgefühl ihres Einzelgängers stärken, können aber auch seine sozialen Fähigkeiten ein bisschen anregen. Und so geht's:

  • Nicht überbehüten
    Einzelgänger (und nicht nur die) sollten nicht überbehütet werden. Sie müssen toben, klettern und sich auch mal eine Schramme holen dürfen - und werden dann am besten undramatisch getröstet. Sie halten es aus, beim Spielen auch mal zu verlieren, können kleine Hausarbeiten übernehmen und müssen nicht immer das größte Stück Pizza bekommen. Verhätschelte Kinder tun sich in Kiga oder Schule, wo es keine Sonderbehandlung gibt, oft schwerer. 
  • Vorbild sein 
    Eltern können vormachen, wie man Kontakt aufnimmt: "Ach, ich frage einfach unsere Nachbarin, ob sie mir eine Tasse Zucker leiht, komm' doch mit!" Bei Feiern (in Sportverein, Schule, Gemeinde, Karneval): "Wir kennen hier ja nicht so viele Leute. Aber schau, dort sind noch Plätze frei. Wir fragen, ob wir uns dazu setzen können." 
  • Fit bei Konflikten 
    Nachhilfe brauchen Eigenbrötler oft auch, wenn es um Konflikte geht. Eltern können das Prinzip "Was du nicht willst, dass man dir tu'…"  erklären. Und sagen, dass beim Spielen jeder mal "Bestimmer" sein will, man sich mit begehrten Gegenständen abwechselt, und dass auch Streit dazu gehört, der aber auch rasch wieder vergessen werden darf.
  • Isolation vermeiden
    Damit ein Kind in Kiga oder Schule nicht als "anders" wahrgenommen wird, sollten Eltern: mit ihm nicht zu kindlich sprechen, Wörter vermeiden, die es nur in der Familie gibt, Sprachfehler vom Logopäden behandeln lassen, dem Kind nicht Kleid oder Hemd anziehen, wenn in der Klasse Jeans und T-Shirt angesagt sind.
  • Hobbys fördern
    Sport gibt Einzelgängern mehr Routine im Umgang mit anderen Kindern sowie ein gutes Körpergefühl. Instrumentalunterricht oder Malkurse helfen sensiblen Kindern, Gefühle auszudrücken und verschaffen konkrete Erfolgserlebnisse.
  • Hilfe bei Schüchternheit
    Traut ein Kind sich nicht, sich zu verabreden, sollten Eltern im Kindergarten- und frühen Grundschulalter noch Schützenhilfe leisten. "Mit wem möchtest du gern mal spielen?" Ein Anruf unter Eltern ("Julia möchte sich gern mal mit Ihrer Lara verabreden") hat fast immer Erfolg.
  • Nicht den Alleinunterhalter geben 
    Wenn ein Kind sich aber lieber gar nicht mit anderen Kindern treffen möchte, ist das auch in Ordnung. Eltern sollten hier aber nicht unermüdlich als Ersatz-Spielgefährte einspringen.

Unfreiwillig ausgegrenzt

Nicht alle Einzelgänger sind freiwillig allein, manche Kinder werden von der Gruppe oder Klasse ausgegrenzt. Unmoderne Klamotten, eine Behinderung, eine geringe Körpergröße oder ein schwaches Selbstwertgefühl können dies begünstigen. Auch besonders kluge Kinder sind manchmal betroffen. "Kinder mit hoher Intelligenz interessieren sich für andere Dinge als die meisten anderen Kinder. Und sie wirken oft altklug", so Dr. med. Rüdiger Posth, Kinderarzt und -psychotherapeut in seinem Elternberatungsforum. Oft passiert Ausgrenzung auch denjenigen Kindern, die sich besonders angestrengt um Anerkennung bemühen: den Klassenclowns oder denjenigen, die sich Anerkennung mit Süßem oder kleinen Geschenken erkaufen möchten. "Der Hang dazu, sich unter Beweis zu stellen und sich anzubiedern, provoziert die Anderen erst recht, das Kind auszugrenzen", erklärt Prof. Krenz.

Außenseiter brauchen Hilfe

Ausgegrenzte Kinder werden leichter krank, sind oft appetitlos oder essen zu viel, haben häufiger Bauch- oder Kopfweh und bekommen eher Depressionen. Sie haben oft Albträume, Schulangst oder Konzentrationsprobleme, sind antriebslos oder zu impulsiv und neigen zu Unfällen. Wenn Eltern den Eindruck haben, dass ihr Kind ausgegrenzt wird, sollten Sie daher frühzeitig mit Erziehern oder Lehrern sprechen und sich zusätzlich Hilfe in einer Erziehungsberatungsstelle (Kinderschutzbund, Caritas, Diakonie, Jugendamt) holen.

*Namen geändert