Ich bin keine Karottenmutti
Es gibt einen Typ Mutter, der jagt urbia-Autorin Felicitas Römer gehörigen Respekt ein: Die perfekte Planerin, die stets optimal ausgestattete Herrin aller Lebenslagen, die zum Beispiel säuberlich geschnittene Karotten in Tupperdosen mitführt.
Nicht perfekt ist auch perfekt. Oder: Warum ich keine Karottenmutti bin
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich mag Karotten. Ich mag auch Mütter. In fassungsloses Staunen versetzt mich allerdings die Karottenmami, die perfekte Planerin, die Herrin aller Lebenslagen. Stets ist sie auf alle Eventualitäten vorbereitet: Feuchte Tücher, Pflaster, Trinkflasche und Regenjacke stellen nur die standardmäßige Mindestausstattung für unterwegs. Wichtigstes Utensil im Kampf gegen schlagartig einsetzenden kindlichen Hunger ist die allgegenwärtige Tupperdose. Die hierin hübsch arrangierten Apfelschnittchen, leckeren Vollkornsandwichs und gestiftelte Karöttchen bringen normal strukturierte Menschen wie mich völlig aus dem seelischen Gleichgewicht.
Denn leider gehöre ich nicht zu dieser praktischen Spezies Mutter. Sicher, rein biologisch betrachtet stehe ich ihnen in nichts nach: Vier Kinder sind der eindeutige Beweis dafür. Auch ich kutschiere Töchterchen regelmäßig zum Reiten und Söhnchen zum Sport. Mittags schmeiße ich pflichtbewusst Fischstäbchen in die Pfanne und schneide dazu als Rohkost-Minimalvariante eine Gurke in mundgerechte Häppchen. Gelegentlich durchwühle ich sogar die Schultaschen, um verknickte veraltete Elternbriefe herauszufischen. Wie alle meine Leidensgenossinnen wasche, falte, trockne und bügele ich etwa hundert Kilo Wäsche pro Woche. Und ich versuche meinen Kleinen beizubringen, dass Nasenpopel nicht an die frisch gestrichene Tapete gehört und „Sex and the City“ wohl doch nicht das richtige Abendprogramm für 10-Jährige ist.
Ich gebe mir also durchaus Mühe. Brotdosen samt vitamin- und ballaststoffreichen Inhalts vergesse ich allerdings regelmäßig. Hole ich meine verschwitzte Tochter vom Judo ab und werfe einen flüchtigen Blick in ihr vorwurfsvolles gerötetes Gesicht, denke ich sofort an die leere Wasserpulle, die im Küchenschrank friedlich vor sich hinschlummert. An den grollenden Unterton meines Sohnes in der Aussage „Ich habe Hunger“ nach dem Schwimmen hab ich mich schon fast gewöhnt.
„Gute Mütter haben immer Taschentücher dabei“, raunzte mir letztens eine Freundin auf dem Spielplatz zu, als ich versuchte, möglichst unauffällig den Rotz meines Kleinsten mit dem Ärmel abzuwischen. Schuldbewusst begann ich in meiner Handtasche herumzuwühlen. Ein aussichtloses Unterfangen, denn neben Geldbörse und Handy befinden sich dort nur ausrangierte Haargummis, zerknüllte Kassenzettel und Tampons diverser Form und Größe. Des Rotzes hatte sich mein Filius indessen selbst entledigt: Fröhlich baumelte der mittlerweile versandete Schleimfaden an seinem Anorak herunter und mit ihm mein mütterliches Selbstwertgefühl.
Die Wahrheit ist: In unserem Haushalt befindet sich kein einziges Taschentuch, denn bei uns wird herzhaft ins Klopapier geschnäuzt. Karotten werden bei uns in erster Linie an Vierbeiner verfüttert und Tupperdosen besitze ich überhaupt keine. Ich habe selten Lust, Äpfelchen zu schälen und verspüre auch kein Verlangen, für jeden noch so kleinen Ausflug ein Notpaket zu schnüren. Ich bin eben keine Karottenmutti.
Während ich noch ernsthaft darüber sinniere, ob ich womöglich eine erziehungstechnische Versagerin bin, wirft mein Söhnchen plötzlich seine Ärmchen um meinen Hals und posaunt aus heiterem Himmel in mein entzücktes Ohr: „Mami, ich hab dich liiiiieb.“ Ich bin keine Karottenmutti. Na und?
Felicitas Römer und ihre urbia-Kolumne: