Mütter und Töchter: zwischen Anbetung und Ablehnung
Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist ein enges, lebenslanges Band. Nicht nur die Gene, sondern ihre gesamte Grundeinstellung geben Mütter an ihre Mädchen weiter. Wenn Frauen Mütter werden, sehen sie ihre eigene Mutter meist nochmals in neuem Licht.
Mütter und Töchter: Beziehung mit Höhen und Tiefen
„Du bist ja wie deine Mutter!“ „Dieser vergleichende Satz löste bei mir immer ein gewisses Unbehagen aus“, bekennt Nina A. (44). Meine Mutter, das war doch die 60-er-Jahre Hausfrau, die sich von meinem Vater herumkommandieren ließ und meist in Küche und Kittelschürze herumwirbelte. Die kein eigenes Leben für sich hatte. Nein, wie meine Mutter wollte ich auf gar keinen Fall sein oder werden“.
Die eigene Mutter sieht man immer kritisch. Ihre Fehler werden genau unter die Lupe genommen. Hat man alles durchgecheckt, kommt man als Tochter zu dem Ergebnis: „Ich werde es ganz anders machen als meine Mutter. Moderner, lockerer, nicht so spießig!“. Damit ist die Basis für vielfälige Mutter Tochter Konflikte gelegt. Auch wenn man sich als Tochter räumlich und kopfmäßig von der Mutter abzugrenzen versucht, so wird das besondere Band zu ihr bestehen bleiben. Von der Geburt bis zum Tod wird es diese enge Symbiose geben. Die Mutter, sie bleibt immer die wichtigste Person im Leben einer Frau. Eine Beziehung mit Höhen und Tiefen, Hindernissen und Herausforderungen.
Schon im Mutterbauch wird das enge Band geknüpft
Als kleines Mädchen ist alles noch ganz einfach: Die Mutter ist immer schön, sie weiß auf jede Frage eine Antwort und ist immer und uneingeschränkt für einen da. Kann ich überhaupt einen Schritt ohne sie tun? Fühle ich mich nicht vielmehr verunsichert, wenn meine Mutter nicht unsichtbar neben mir herläuft? „Wir telefonieren jeden Tag miteinander. Wenn ich eine Entscheidungshilfe oder manchmal auch nur einen Tipp für meine Sonntagsbratensauce brauche, frage ich meine Mutter. Sie ist die wichtigste Person in meinem Leben. Ohne ihren Zuspruch fühle ich mich so einsam und verlassen“, sagt die 28-jährige Medizinstudentin Evelyn L. Die Mutter vermittelt der Tochter die ersten Bilder und Eindrücke von Frausein, von Schönheit von Standing in dieser Welt. Mehr noch, sie gibt der Tochter ihre Identität als Frau, als Mutter und als Geliebte.
Erste Bezugsperson
Warum ist der Einfluss von Müttern auf ihre Töchter so bedeutsam für die Bildung des Selbstwertgefühls und für ihr eigenes Selbstbild? Mütter sind die ersten Bezugspersonen im Leben ihrer Töchter. Niemand kennt ihre Tochter so gut wie die eigene Mutter. Das Mutter-Tochter-Verhältnis ist wesentlich enger, als das Vater-Sohn-Verhältnis, wissen Soziologen. Während der Vater Einfluss auf die spätere Partnerwahl seiner Tochter hat, hat die Mutter Einfluss auf die Identitätsfindung ihrer Tochter. Die Tochter identifiziert sich zunächst einmal mit ihrer Mutter, weil sie ja ein Mensch ist, der dasselbe Geschlecht hat wie sie. Aber die Sache scheint doch komplizierter. Denn nur, wenn ein Mädchen die Identifikation mit der Mutter erlebt, kann es sich einen eigenen Bezugsrahmen schaffen, um sich später dann wieder von ihr abzugrenzen. Denn nur so kann es zu einer eigenen Persönlichkeit heranreifen. Töchter im Verhältnis zu ihrer Mutter schweben zwischen Ablehnung und Anbetung. Doch beides ist mit Vorsicht zu genießen. „Opposition ist Bindung“, sagt die Soziologin, Frauenforscherin und Buchautorin Dr. Marianne Krüll. „Manchmal ist es wichtig, der Mutter Grenzen zu setzen, insbesondere wenn sie sich übergriffig in unser Leben einzumischen versucht“, empfiehlt Krüll, die Versöhnungs-Seminare für Mütter und Töchter anbietet.
Wie aus Vorwürfen Verzeihen wachsen kann
Das enge Band zwischen beiden besteht erst einmal, ob es nun heilsam oder verdammenswert ist. In Befragungen fühlen sich zwei Drittel aller Töchter ihren Müttern sehr eng verbunden. Sie sehen in ihnen Ratgeberinnen, Vorbilder und Stützen. Fehlt die Mutter, hat das Mädchen meist mit einer lebenslangen Irritation, einem Bruch in ihrer weiblichen Rolle zu kämpfen. Das unsichtbare Band zwischen Müttern und Töchtern scheint bereits im Mutterleib zu existieren und die Nabelschnur ist geradezu eine starke Symbolik dafür. „Die Biographie beginnt im Bauch der Mutter“, behauptet Buchautorin und Psychotherapeutin Claudia Haarmann und weist damit auf die Auswirkungen frühkindlicher bis vorgeburtlicher Lebensumstände hin, die einen Einfluss auf die Töchter haben. Als Beispiel führt sie unter anderem eine beeindruckende Geschichte eines Adoptivmädchens an, das eine starke Leidenschaft zu Schweden entwickelt. Sie sammelt alles über das Land, ja, will sogar dahin auswandern. Als sie 18 Jahre wird, erfährt sie, dass ihre leibliche Mutter Schwedin ist.
Beziehung gemeinsam entdecken
Dieses Eins-Sein, diese enge Bindung kann Segen, aber auch Fluch bedeuten! Es hängt davon ab, wie die Beziehung gestaltet wird, ob respektvoll, in einer Atmosphäre des offenen Austausches oder einengend und manipulierend. Claudia Haarmann stellt in ihrem Buch „Mütter sind auch Menschen. Mütter und Töchter begegnen sich neu“ fest, dass erwachsene Töchter nicht immer schöne Erinnerungen an ihre Mutter hegen. Da kommen oft Wut und Unverständnis, Trauer oder Enttäuschung hoch. Die Verantwortung von Müttern ihren Töchtern gegenüber ist immens hoch, dennoch sind Mütter auch nur Menschen. Sie sollten nicht dem Perfektionismus-Wahn verfallen, findet Haarmann. Bei dieser Diskussion müssen sich auch die Mütter stark mit ihren eigenen Idealen auseinandersetzen. Eine große Herausforderung für Mütter an ihre eigene Weiblichkeit, an Fragen zur Selbstannahme und Akzeptanz. Denn nicht nur Mütter haben einen Einfluss auf ihre Töchter, sondern umgekehrt werden sie auch von ihren Mädchen geprägt, ja manchmal verunsichert.
Niemand - auch keine Mutter - kann perfekt sein
Konnte ich meiner Tochter ein gutes Vorbild sein? Stand ich ihrer Entwicklung auch mal im Weg? Warum lehnt sie mich ab? Mütter können einfach nicht perfekt sein, weil sie auch nur Menschen sind. Gerne und häufig aber verfallen sie dem ewigen Mutter-Mythos, der in den meisten Köpfen immer noch wie fest zementiert zu sein scheint. Der laut anklagt: Egal, was du machst, du machst es falsch. In ihren Seminaren lässt Marianne Krüll die Töchter die Lebensgeschichte ihrer Mütter in der Ich-Form erzählen. Erst aus dem Perspektivwechsel heraus lösen sich alte Verkrustungen, kann Verständnis, ja Mitgefühl entstehen. Seminarleiterin Krüll, selbst Mutter und Großmutter, stellt immer wieder fest, wie viel Unkenntnis die Töchter über das Leben ihrer Mütter haben. Da klaffen nicht nur Wissenslücken über Jahreszahlen, sondern nicht selten kommen dunkle Familiengeheimnisse zutage, die auch das eigene Dasein überschatteten, im Nachhinein aber vieles verständlicher machen. Wenn durch die Erzählungen Licht auf die Lebensgeschichte der Mutter fällt, passierte es plötzlich, dass aus Vorwürfen Verzeihen wachsen kann. Teilnehmerin Marlies zeigt sich in der Schlussrunde nach einem Seminar erleichtert: „Ich gehe nach Hause mit viel Frauen-Power. Ich habe mitgekriegt, wie sich starke Frauen für andere aufgeopfert haben. Das hat mein Frau-Sein so berührt (...) alles, was ich meiner Mutter vorwerfe – das wird auf einmal so relativ.“
Seminarleiterin Krüll rät Töchtern, nicht in der Anklage-Haltung der Mutter gegenüber hängen zu bleiben, sondern Zuhören zu lernen, sich auf die Suche nach der Geschichte der Mutter zu machen und Verständnis zu entwickeln. „Mütter sind nicht perfekt, aber auch die Töchter müssen es nicht besser machen als ihre Mütter. Die erwachsene Tochter sollte den Mut haben, der Mutter als eigenständige Person gegenüberzutreten und sie von ihrer Mutterrolle zu entbinden. Denn unsere Mutter braucht nicht mehr „Nur-Mutter“ für uns zu sein. Damit geben wir ihr auch wieder ihre volle Würde als Frau zurück und begegnen ihr von Frau zu Frau, was dem gemeinsamen Verhältnis neue Perspektiven eröffnet. Daraus kann sich die fesselnde Bindung lösen und in ein echtes Gefühl von Verbundenheit münden“ so Buchautorin Krüll.
Es war ja doch nicht alles falsch
Wenn sich Rollen verändern, können sich auch Einstellungen verändern. Das hat Nina, Mutter zweier Töchter, erfahren: „Erst als ich selber Mutter wurde, konnte ich meine eigene Mutter plötzlich viel besser verstehen: Ihr genervt sein von meiner Schwester und mir, ihre zeitweise große Strenge, die für mich manchmal nicht nachvollziehbar war. Auch in ihrem Verhältnis zu meinem Vater bringe ich ihr heute viel mehr Verständnis entgegen. Jetzt, wo ich eigene Kinder habe, kann ich ihr Verhalten besser nachvollziehen!“ Wenn man selbst Mutter wird, ist die eigene Mutter präsenter denn je. Ihr Verhalten als man noch Kleinkind war, ihre Wärme, aber auch ihre Härte. Ihre Erziehungsmethoden. Die Erinnerungen scheinen wieder ganz frisch. „Früher dachte ich, meine Güte, immer diese Sorgen, wenn ich mal etwas länger mit meiner Freundin unterwegs war. Heute komme ich ja selber vor Sorgen fast um, wenn Paula nicht pünktlich zu Hause ist.“ Hat man eigene Kinder und wagt den ehrlichen Rückblick, stellt man möglicherweise fest: Es war ja doch nicht alles falsch, was die eigene Mutter getan oder gesagt hat. Das führt vielleicht zu einer neuen Gelassenheit, auch im Umgang mit den eigenen Kindern. Und das Verständnis macht sogar dem verzeihen Platz. Denn Mütter sind ja auch nur Menschen und genau das ist auch gut so!
Links, Infos und Buchempfehlungen
- Mehr zu den Mutter-Tochter-Seminaren auf: www.mariannekruell.de
- Buchautorin, Referentin und Soziologin gibt Mütter-Töchter-Seminare zur Versöhnung untereinander. In ihrem Buch: „Die Mutter in mir – Wie Töchter sich mit ihrer Mutter versöhnen. Klett-Cotta. Stuttgart 3. Aufl. 2011 lässt Marianne Krüll Töchter die Lebensgeschichten ihrer Mütter erzählen.
- Claudia Haarmann: Mütter sind auch Menschen. Mütter und Töchter begegnen sich neu. Orlanda Verlag Berlin 2008. Erkenntnisse aus der Bindungs-, Hirnforschung, und Traumatherapie werden zu Grunde gelegt, um zu klären, was das Verhältnis zwischen Mütter und Töchtern so schwierig macht.