Muttertag? Bitte nicht noch mehr Erwartungsdruck
Frühstück ans Bett, Blumensträußchen, gebasteltes Herzchen vom goldigen Nachwuchs, strahlende Mütter: In solch rosigen Farben wird der Traumehrentag einer jeden Mutter gern gemalt. Einmal mehr überflüssiger Erwartungsdruck, findet urbia-Autorin Kathrin Wittwer. Geht’s nicht auch mal ohne?
Hochglanzklischee: der perfekte Muttertag
„Muttertag ist doch nett, eine schöne Sache, wenn mal an einem Tag bewusst an die Mütter und ihre Leistungen gedacht wird, ohne Kommerzialisierung, nur ein bisschen Aufmerksamkeit", sinnierte eine Freundin zu unserem besonderen Ehrentag. Ja, in der Tat ist das ein schöner Gedanke. Eigentlich. Wenn da nicht eben allerorten diese hochglanztauglichen Klischeeinszenierungen wären, die wir bitte sehr unter einem gelungenen Muttertag zu verstehen haben: Frühstück ans Bett mit Blumensträußchen und Tränen der Rührung seitens der Mutter über das herzige Bild, das die lieben Kinderlein gemalt haben. Und dann machen sich alle einen richtig schönen Sonntag zusammen, im Schein von Kaffeekränzchenkerzen oder auf einem harmonischen Spaziergang durch den frühlingsduftenden Park.
Noch mehr Erwartungsdruck
Bestimmt gibt es Mütter, die es genießen, sich so feiern zu lassen. Es sei ihnen gegönnt! Andere lässt all das aber eher mit den Zähnen knirschen: Kinder, die schon in der Kita Bastelgeschenke in Serie anfertigen müssen, Frauen und Männer, die zwingend die eigene Mutter zu bedenken haben – und vor allem Mütter, die an diesem Tag besonders gern und dauerlächelnd Mutter im Kreis ihrer Lieben sein sollen.
Angesichts solcher Bilderbuchvorstellungen wird der vermeintliche Ehrentag schnell zum Mahnmal dafür, dass an eine Mutterschaft sehr bestimmte Erwartungen geknüpft sind, denen ich gefälligst zu entsprechen habe. Dass ich anhand offizieller Maßgaben ständig meine Mütterlichkeit unter Beweis stellen und mich dabei an einem Ideal messen muss, das nahezu mit einem Heiligenschein umgeben ist. Und das für mich in diesem Leben unerreichbar bleiben wird, weil ich, selbst wenn ich nicht allzu kritisch mit mir bin, grad so die Hälfte der „ 10 wichtigsten Eigenschaften einer guten Mutter" erfülle.
Niemals dies, immer das: der Druck, alles richtig zu machen
In Konsequenz habe ich permanent das diffuse Gefühl, mich schuldig zu fühlen und praktisch immer fürchten zu müssen, mit etwas, das ich tue oder nicht tue, sage oder nicht sage, meinem Kind ein ewiges Trauma zu verpassen und seine Chance, jemals wirklich glücklich zu werden, mit einer Unachtsamkeit oder aus Unwissenheit final zertrete.
Dieser Druck macht mich nicht zu einer besseren Mutter. Sondern er macht mir Angst.
Vor allem dann, wenn ich Posts lese, in denen Mütter Schwächen, Fehler und Hilflosigkeit eingestehen, um Rat bitten – und dafür heftig beschimpft werden. Das absolute No Go: Zweifel daran anzumelden, ob die Entscheidung, Kinder zu bekommen, wirklich so klug war angesichts der monumentalen Veränderung, die das Kinderkriegen ausgelöst hat. So etwas darf Mutter offenbar nicht mal denken, geschweige denn auch noch aussprechen. Die klassische Retourkutsche: Warum habt ihr dann überhaupt erst Kinder bekommen? Oder auch: Solchen wie euch dürfte man Kinder gar nicht erst erlauben!
Vorwürfe: Was sollen die bringen?
Da blutet mir jedes Mal das Herz. Auch diese Mütter haben sich ihre Kinder doch gewünscht, von Herzen und sehnlich erwartet. Und lieben sie. Selten stecken hinter solchen Eingeständnissen Gefühlskälte und Egoismus, sondern spürbare Verzweiflung darüber, dass das Mutterglück nicht auf die erträumte Weise wahr geworden ist.
Wem bitte helfen da so harte Vorwürfe weiter?
Und eine Gegenfrage: Wer kann denn schon voraussehen, wirklich sicher wissen, was für eine Mutter man sein wird? Was uns auf dem Weg dorthin vielleicht passiert, prägt, verändert – eine schwierige Schwangerschaft, eine traumatische Geburt, Verlassenwerden, Stress mit der Familie, Angst vor der Zukunft...? Keiner weiß das, und das ist auch gut so, sonst würden sich noch weniger Menschen überhaupt in dieses Abenteuer aufmachen. Ja, ein Kind zu bekommen ist ein lebensveränderndes Wunder – aber diese Veränderungen können eben auch erschütternd sein. Scham und Angst vor Verurteilungen ist da, so finde ich, gefährlich, verdeckt manches Leid, maskiert Sorgen, leistet Selbst- und Fremdtäuschung Vorschub, lässt die Frauen mit ihren Schuldgefühlen allein.
Wie viel ließe sich stattdessen gewinnen, wenn offener mit den Schattenseiten des Elternseins umgegangen würde? Wenn man sich trauen dürfte, alles zu sagen, was einem nun mal auf der Seele brennt? Ich behaupte: eine realistischere Vorstellung von Familienleben statt Bilderbuchwerbefilmchen. Mehr Authentizität. Mehr Verständnis dafür, dass jeder seine Rolle erst finden, immer wieder justieren muss und Pausen zum Kraftschöpfen braucht. Weniger Scham darüber, völlig menschlich fehlbar zu sein.
Nicht gut oder böse: Kann ich nicht einfach nur Mensch mit Kind sein?
Deshalb wünsche ich mir zum Muttertag kein Frühstück ans Bett, keine Last-Minute-Blumen von der Tanke oder vom Discounter und bitte bitte bitte nicht das hunderttausendste „Nur für dich, Mama!"-Gebilde, mit denen mich mein bastelwütiges Kind ohnehin Tag für Tag überschwemmt und für die ich inzwischen Oscar-reife Schauspielkunst aufbringen muss, um mich gebührend darüber zu freuen. Stattdessen wünsche ich mir: Wenn schon ein Ehrentag für Mütter, dann einer mal ganz ohne Erwartungen und deshalb auch ohne Wertungen und Urteile. Ein Tag, an dem jede von uns einfach sein darf, wie sie ist. Nicht gut, nicht böse, sondern einfach nur Mensch Mutter.