Mama muss mal raus
Sich ein paar Tage lang treiben lassen, nur den eigenen Wünschen folgen und keine Verantwortung für andere tragen – das ist das andere Mutterglück. Was Müttern ein Urlaub von der Familie bringt, was fehlende Auszeiten bewirken und warum es gar nicht so leicht ist, mal abzutauchen.
Jetzt bin ich mal dran!
Wellness an der Ostsee. Eine Woche lang war Katharina ohne Mann und Kinder (3 und 4,5 Jahre) im Urlaub. Beim ersten Frühstück im Hotelrestaurant wurde sie Zeugin eines familiären Machtkampfes am Nachbartisch - und freute sich über ihre kleine Familienauszeit: „Ein Dreijähriger schob wütend seinen Stuhl hin und her und quengelte ‚Ich will raus! Spielen!’. Aber Mama und Papa wollten nicht spielen. Sie wollten in aller Ruhe ihr Frühstück genießen. Als der Kleine keine Ruhe gab, packte ihn der Vater und verließ den Raum. Die Mutter griff zum Kaffee, ließ den Blick kurz über die Ostsee schweifen und wandte sich ihrer Zeitung zu. Noch Minuten später stand ihr der Ärger über das verpatzte Frühstück ins Gesicht geschrieben.
In dem Moment wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte. Jetzt war ich dran. Jedes Jahr genehmigen mein Mann und ich uns jeder für sich eine Woche Urlaub von der Familie. Eine Woche lang Zeit zum Auftanken. Verantwortung nur für sich selber haben, nur den eigenen Interessen folgen. Also nicht nachts aufstehen und nachsehen, ob die Kinder gut zugedeckt sind, nicht morgens um 5.53 Uhr über Schneckenschleim und die Wege des Mondes Auskunft geben müssen, alleine auf Toilette gehen und nur ein einziges Mal die Bitte äußern: ‚ Zimmer aufräumen!’ – und es wird gemacht.“
Ab in der Urlaub? Gar nicht so leicht!
Beine hoch, eine Liege in der Sonne und ein gutes Buch in der Hand. Was in jedem „normalen“ Beruf ein gesetzlich festgelegtes Recht ist, findet sich im Alltag von Müttern nur hier und da: der Urlaub, die Auszeit. Und das, obwohl Mütter im „Rund um die Uhr“-Einsatz sind. Tagsüber immer aktiv und nachts zumindest in Bereitschaft. Keine fest definierten Pausen und stets bereit zu trösten, zu helfen und zu versorgen.
Eine regelmäßige körperliche und geistige Erholung ist für Mütter überaus wichtig. Doch dieses Bedürfnis ernst zu nehmen und umzusetzen, fällt vielen schwer. Davon kann Stefani Günther ein Liedchen singen. Die Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung des Diakonischen Werkes Hochrhein kennt die Argumente, mit denen Mütter sich das Leben erschweren und ihre Auszeit vor sich her schieben. „Zum einen können viele Mütter nicht gut abgeben, also die gesamte Verantwortung und Arbeit in andere Hände legen. Zum anderen gibt es immer wieder die Angst, den Kindern durch die Abwesenheit zu schaden. Aber auch die Sorge, mit sich und der freien Zeit nichts anfangen zu können“, sagt Stefani Günther. Mit diesen Bedenken müsse man sich auseinandersetzen. Gerade der erste Urlaub ohne Familie bräuchte ja nicht gleich eine ganze Woche lang zu sein. Ein Wochenende würde es auch tun. So könne man nach und nach lernen, auch mal auf Tauchstation zu gehen.
Eine Auszeit verlangt gute Organisation. Der Vater muss ran, Oma und Opa müssen gebucht, Freunde und Nachbarn um Hilfe gebeten oder Babysitter besorgt werden. Wenn der erste Urlaub ohne Familie beschlossene Sache ist, sei es hilfreich, die Erwartung nicht zu hoch zu schrauben. „Vielleicht brechen durch den Abstand Gedanken oder Sorgen hervor, die einem ordentlich zu schaffen machen. Außerdem ist die Abwesenheit der Kinder auch etwas, was gelernt werden muss“, erklärt die Diplom-Psychologin.
Mit 20.000 neuen Nerven nach Hause
Jedes Jahr fragt Katharina sich aufs Neue, ob sie als Mutter überhaupt alleine in den Urlaub fahren könne: „Beim Abschied von der Familie wurde mir das Herz ein bisschen schwer und ich dachte: ‚Ich will ganz alleine ohne euch in den Urlaub fahren, aber ihr sollt dabei sein.’ Wie sehr die Kinder während der Auszeit anwesend sind, erstaunt mich jedes mal wieder. Obwohl mein Mann, der mit Kindergarten und Kinderfrau die Betreuung der Kinder übernommen hat, ein Erste-Sahne-Papi mit Volldurchblick ist, kann ich nie wirklich längere Zeit abschalten. Schon morgens, wenn ich im Außenpool meine Bahnen zog, und mich im Strömungskreisel treiben ließ, habe ich mich gefragt, ob die Kinder auch die richtigen Mützen aufhaben und ob mein Mann die Ersatzklamotten für den Kindergarten eingepackt hat. Beim Joggen habe ich an den Husten meiner Tochter gedacht und beim Einkaufbummel an Geschenke für die Familie. Natürlich war ich auch viel nur bei mir. Habe zweieinhalb Bücher gelesen, wofür ich sonst Monate brauche, ich war in der Sauna, habe viel Sport getrieben, lange Spaziergänge gemacht und die Ruhe genossen. Wenn jemand schrie, dann waren es die Möwen. Und wenn jemand was wollte, dann nicht von mir.
Eine sehr erholsame Zeit. Aber nach einer Woche war es auch gut. Wie schön, wieder heimwärts zu fahren! Mit nach Hause genommen habe ich nicht nur meinen Koffer, sondern dazu eine riesige federleichte Ladung mit vielen neuen Nerven. Bestimmt an die 20.000.“
Warum Mütter urlauben sollten
„Mütter? Warum sollten die denn Urlaub brauchen? Die gehen doch nur zusammen Kaffee trinken und kochen muss man sowieso. Dann kochen die einfach mal drei Kartoffeln mehr, und schon sind auch die Kinder satt. Das ist doch keine Arbeit!“ Solche oder ähnliche Ansichten quaddeln unausrottbar durch manches Hirn. Wenn Stefani Günther so einen Text hört, reagiert sie angepiekst: „Für die eigene Stabilität sind Auszeiten absolut wichtig. Mütter müssen auch mal Kraft tanken und sich entspannen können. Das dient dem Wohl der gesamten Familie.“ Wenn Kleinigkeiten einen schon in Rage brächten, dann sei es höchste Zeit mal abzutauchen. Nur so könne man wieder gelassener dem alltäglichen Familientrubel begegnen. Außerdem sei es hilfreich, mal einen anderen Fokus zu haben. Eben nicht als Mutter, sondern als Mensch, Frau, Freundin oder Partnerin, also „einfach mit einem anderen Hut auf unterwegs zu sein.“
Wer nicht gelegentlich auf Ruhe-Inseln rastet, der riskiert nicht nur seine Gesundheit und psychische Stabilität, sondern schadet unter Umständen der Familie. „Auch bei Müttern gibt es das Erschöpfungssyndrom. Das kann sich körperlich äußern, indem beispielsweise ein Infekt den nächsten jagt und mitunter in eine Lungenentzündung mündet“, weiß Stefani Günther. Doch auch die Kinder leiden unter einer ausgepowerten Mutter. „Wenn sie merken, dass es der Mutter nicht gut geht, können sich ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle breit machen.“ Wenn Mütter mit Gesundheit und Nerven weit runter sind, dann besteht die Möglichkeit einer Krankschreibung und eventuell die Teilnahme an einer Mütter-Kur. Bei der Versorgung der Kinder helfen in diesen Fällen die Krankenkassen mit der Vermittlung von Haushaltshilfen, die sich sowohl um den Haushalt als auch um die Kinder kümmern.
Halten Kinder es aus, wenn Mami mal woanders turnt?
Wie verkraften die Kinder die Abwesenheit der Mutter? Könnte so ein Urlaub von der Familie der Mutter-Kind-Beziehung nicht schaden? Stefani Günther sieht das entspannt: „Wer Kinder unter einem Jahr hat, dem würde ich von tagelangen Auszeiten abraten. Danach können es ruhig schon mal ein paar Tage sein. Und ab dem Kindergartenalter schadet es sicher auch nicht, wenn die Mutter mal eine ganze Woche unterwegs ist.“ Viel hängt davon ab, wer sich in der mutterfreien Zeit um die Kinder kümmert. Je enger die Beziehung zwischen Kind und Betreuer ist, desto leichter ist es für das Kind. Wenn dann auch noch dafür gesorgt wird, dass sonst alles wie immer läuft, sind Sorgen überflüssig.
Zurück in die Vergangenheit
Linda urlaubte im Sommer vier Tage mit ihrer besten Freundin auf Sylt. Ihre beiden Töchter (1,5 und 3,5 Jahre) überließ sie ihrem Mann und dem Opa: „Tür zu, vom Hof runter und raus! Eigentlich machen wir diesen Kurzurlaub jedes Jahr, aber in den letzten drei Jahren musste ich passen. Kind eins, Kind zwei und dazwischen noch ein Umzug. Jetzt haben wir unsere alte Tradition wiederaufleben lassen. Für mich hat dieser Trip natürlich eine neue Bedeutung bekommen: Ein paar Tage wieder jung sein, unbeschwert und ohne Verantwortung.
Wir haben die ganze Zeit Dinge gemacht, die man mit Kindern nicht machen kann. Zurück in die Vergangenheit – lange und ungestört schlafen, ausgiebige Balkonfrühstücke, exzessive Fahrradtouren, Powershoppen und die Nacht durchtanzen. Auf einer unserer Fahrradtouren habe ich einen Vater gesehen, der mit Kinderdoppelanhänger an seinem Fahrrad ganz schön ins Schwitzen kam. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend das ist, mit so einem Ding durch die Gegend zu zockeln. Wir sind mit Karacho an ihm vorbeigebrettert. Ein super Gefühl.
„Am besten, ich gehe!“, solche und ähnliche Gedanken hatte ich in der Zeit vor diesem Urlaub immer mal wieder. Ich war schnell genervt, ausgelaugt und wenn nur ein Glas Apfelschorle umfiel, hing ich an der Decke. Die Zeit war reif, ich hatte das dringende Bedürfnis mal auszuspannen. Natürlich habe ich unterwegs auch an die Familie gedacht, aber ohne jede Sorge. Papa macht das schon! Der ist nämlich mit meinen beiden Mädchen und seinem Vater in der Zeit nach Dänemark gefahren. Ich glaube, dass das für die Kinder eine tolle Bereicherung ist, mal nur mit dem Vater zusammen zu sein, ohne dass die Mutter mitmischt.
Im nächsten Jahr geht die Party weiter – das ist beschlossene Sache. Einmal im Jahr alleine raus und einmal im Jahr nur mit dem Partner eine Auszeit, das ist für mich ein Muss. Und so schön es auch ist, mal abzutauchen, so schön ist es auch, wieder aufzutauchen. Ein tolles Gefühl, wenn man merkt, wie sehr man sich auf seine Familie wieder freut.“