Opa ist in Casablanca
Einen so illustren Opa hat sicher nicht jedes Kind. Jüngst rief er aus Casablanca an, eine Kreuzfahrt! An der Küchenpinwand hängen bunte Ansichtskarten - alle von Opa. Doch seine Enkel interessiert das alles einen feuchten Kehricht.
Wann sehen Deine Enkel Dich mal wieder?
Wenn Großeltern sich allzu aktiv in die Kindererziehung ihrer Enkel einbringen, jeden Sonntag einen Besuch erwarten oder durch tägliche Anrufe am Gedeihen der Brut teilnehmen wollen, kann dies im Familienalltag für Zündstoff sorgen. Heute gibt es aber auch ganz andere Verläufe. Statt morgens in den Schrebergarten aufzubrechen und zur Entlastung der jungen Familie auch Klein-Clara für ein Stündchen mitzunehmen, jettet Opa lieber nach Honolulu. Und wer wollte es ihm verdenken? Aber ist das der Opa, den sich Enkel wünschen?
Schon wieder Telefon, heute ist im Büro der Teufel los. Wenn jetzt noch mal dieser Agentur-Fuzzi dran ist -, aber nein, „Papa, Du bist es? Wie nett, von dir zu hören! Was? Ich versteh dich so schlecht, von wo rufst Du an? Aus Casablanca? Abgefahren....“ (ob ich es wohl schaffe, rechtzeitig zur Kindergarten-Abholzeit hier rauszukommen?). „Und Wetter ist toll? Das freut mich aber“ (heute Morgen war es Lina so übel, hoffentlich hält sie durch bis zum Nachmittag). „Was sagst Du, Papa? Ach, Du schreibst uns eine Karte, wie nett!“ (oh Mist, da fällt mir ein, Laurenz braucht unbedingt Hallensportschuhe, wann gehen wir die denn nur besorgen?) „Ja, Papa, klar, ich grüße die Kinder recht schön, danke. Wie, ich klinge müde? Doch, doch uns geht’s auch ganz gut (hoffentlich schläft Klein-Clara heute Nacht mal durch). „War nett, von Dir zu hören, und wann sehen die Kleinen den Opa mal wieder? Hallo? Oh, Verbindung unterbrochen....“
Wo ist Opa gerade?
Tja, toll, diese jungen Alten. Immer rund um den Globus unterwegs. Jetzt also eine Kreuzfahrt. Meine Kinder fragen manchmal: „Wo ist Opa gerade?“ Wo er garantiert nicht ist, das ist in seinem Häuschen am Stadtrand. Da fahr ich zum Blumengießen hin und um die Post reinzulegen. Den Kindern zeige ich bisweilen eine seiner letzten Ansichtskarten, die er sogar extra an die Kleinen adressiert hat. Aber die Kleinen interessiert das einen feuchten Kehricht. Auch lehrreiche kulturelle Details, mit denen Opa seine Enkel ein wenig am Flair der weiten Welt teilhaben lässt, rufen keinerlei Reaktion hervor. Oder doch, ja, eine Reaktion schon: Laurenz macht ein gequältes Gesicht. An unserer Küchenpinwand hängen dank Opa auch nicht nur die Öffnungszeiten der Stadtteilbibliothek, der Termin der nächsten Sperrmüllabfuhr und graue Zettel aus der Schule mit den voraussichtlichen Stundenausfällen der nächsten Tage. Dazwischen leuchtende Farben, Vielfalt des Lebens, Beweise von Opas unermüdlicher Neugier auf die Welt: Die Ägäis, Olivenhaine in Spanien, verspielte venezianische Architektur, martialische Zeugnisse aztekischer Kulturen.
Letzte Sommerferien wollte Opa sehr sehr gerne mal für einen Tag was mit den beiden Größeren unternehmen. Aber leider scheiterte es dann doch an unserer mangelnden Flexibilität. Opa jedenfalls wollte seine Enkel unbedingt sehen...doch da war leider schon diese Bildungsreise durch die Toskana, und dazwischen schaute er nur ganz kurz mal zu Hause rein, um dann zu einem Workshop zum Thema: „Wir sind keine Alten. Den Ruhestand aktiv gestalten“ aufzubrechen. Selbst schuld, wenn wir genau an diesem einen Nachmittag einen Zahnarzttermin vereinbart hatten. Also kein Opa-Event, stattdessen durchgehender Hort-, Kita- und Krabbelgruppenspaß, während sich Mama selbstsüchtig auch bei gefühlten 39 Grad beruflich verwirklichen durfte.
Mir ist so langweilig
Kürzlich kam es dann doch überraschend zu einem Zusammentreffen. Opa kündigte sich zum Kaffee an, blieb immerhin fast zwei Stunden und zeigte sich fünf Minuten lang in einem unserer beiden Kinderzimmer. Es blieb ihm nicht so viel Zeit, Klein-Clara mal auf den Schoß zu nehmen, Linas Bastel-Kunst zu bewundern und Laurenz’ tolles Zeugnis zu würdigen. Er hatte ja einfach so viel zu erzählen, von all dem Schönen, das er gesehen, dem Guten, das er gegessen, dem Erhebenden, das er gehört hatte. Wir lauschten staunend, versuchten Klein-Clara davon abzubringen, Opas Redefluss durch sinnloses „Dadada“ zu stören und verbaten uns streng die ständigen „Mir ist sooo langweilig“-Einwürfe unserer Großen. „Psssst, der Opa ist da, und ihr habt ihn doch schon so lange nicht mehr gesehen...“
Also irgendwie ja toll, unsere rüstigen Pensionäre! Nur komisch, wie aufmerksam meine Kinder gerade dann an meinen Lippen hängen, wenn wir auf dem Sofa sitzen und ich ihnen von meinem Opa erzähle. Wie er jeden Morgen nach dem Studium eines geistlichen Spruchs zum Tage in den Garten ging und uns Kindern zeigte, wie man Tomaten pflanzt und einen Baum veredelt. Und wie wir auf seinem Schoß gebannt den Geschichten aus seiner Kindheit lauschten, diesen unglaublichen Erzählungen aus einer versunkenen Welt. Manchmal beschleicht mich dann die Vermutung, wenn meine Kinder einen Wunsch frei hätten, dann hieße der wohl nicht: „Neue Männer braucht das Land!“, sondern schlicht: "Wir wollen einen altmodischen Opa." Und wer wollte es ihnen verdenken...?