Alle Jahre wieder: Von Filzengeln und Zimtsternenduft
Alle Jahre wieder wird Felicitas Römer von Weihnachten überrascht. Wie es ihr gelingt, die September-Weihnachtsmänner gekonnt zu ignorieren und trotzdem auf den letzten Adventsmetern in Stimmung zu kommen, erfahren sie in ihrer Kolumne.
Überraschung! Es weihnachtet
Weihnachten kommt jedes Jahr so überraschend. Nicht, dass ich den Kalender nicht lesen könnte. Ich weiß natürlich, dass Weihnachten naht, aber irgendetwas in mir weigert sich, diese Wahrheit auch wahrzunehmen. Hartnäckig ignoriere ich Lebkuchenherzen und Dominosteine, die seit September im Supermarkt um meine Aufmerksamkeit buhlen. Im September bin ich schließlich mental noch im Sommerurlaub. Im Oktober beschäftigt mich die Furcht vor der Novemberdepression. Noch im November arbeitet mein Weihnachtsverdrängungsmechanismus ganz ausgezeichnet.
"Siehste Mama, jetzt ist doch schon Winter!"
Auf die wiederholten Fragen meines kleinen Sohnes, ob denn nun endlich Winter sei, antwortete ich bis vor kurzem regelmäßig „Nein, noch nicht wirklich.“ Doch dann schneite es letztens ein paar Flöckchen, das Kind stemmte die Hände in die Hüfte und verkündete empört: „Siehste Mama, jetzt ist doch schon Winter!“ Legte flugs seine Weihnachtsliederkassette ein und trällerte den Rest des Tages „Es schneit, es schneit, kommt alle aus dem Haus!“
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Plätzchenduft im November hilft auch nicht
Am nächsten Tag fand er, es sei nun endlich an der Zeit, Weihnachtsplätzchen zu backen. Von Schnee zwar keine Spur mehr, aber die Vorfreude war geweckt. Na gut, dann rollten wir eben schon Mitte November den ersten Mürbeteig platt und Söhnchen stach stundenlang Eisenbahnen und Herzchen aus. Ich plauderte derweil ein wenig über das Jesusbaby, ein bisschen christliches Hintergrundwissen kann ja schließlich nicht schaden. Während er Zuckerstreusel großzügig abwechselnd auf Zuckerguss und Zunge verteilte, fragte er schmatzend: „Mama, wer ist denn jetzt der Papa vom Jesus, Gott oder Josef? Ist Gott unsichtbar? Sitzt er vielleicht gerade auf dem Dach uns guckt uns zu? Warum glauben manche Leute, dass es Gott gibt, und manche nicht?“
Nach diesem kleinen philosophischen Exkurs hatte ich mir eine Vorweihnachtsfreuden-Pause redlich verdient, so dachte ich. Nix da. „Mama, liest du mir das Olchi-Weihnachtsbuch vor?“ Das machte Mama natürlich. Um sich dann anschließend den Rest des Tages „O Grätenbaum, o Grätenbaum, du schmeckst so gut wie Seifenschaum“ anhören zu dürfen.
Adventskalender und andere Schikanen
Ich muss gestehen, dass sich trotzdem keinerlei weihnachtsheimeligen Gefühle bei mir einstellten. Als meine Tochter sich kürzlich erkundigte, mit welchem Adventskalender sie wohl dieses Jahr rechnen könne, musste ich ahnungslos die Schulter zucken. Woher sollte ich das wissen? Ich hatte noch keinen einzigen Gedanken daran verschwendet! Eine gute Gelegenheit für sie, mir ein paar kreative Tipps zu geben. Kleinere Kosmetikartikel wären cool, Schokolode müsse nicht sein, und der Rubbelloskalender letztes Jahr habe ja überhaupt nichts gebracht. Derart kompetent „gebrieft“ begab ich mich in meine innere Schäm-Ecke. Bald ist Weihnachten! Und du hast noch nicht mal Kerzen gekauft, geschweige denn nach den Geschenkwünschen deiner Kinder gefragt!
"Mama, Du wirkst so unmotiviert…"
„Mama“, Töchterchen legte den Kopf etwas zur Seite, „kann es sein, dass du dieses Jahr keine Lust auf Weihnachten hast? Du wirkst gerade irgendwie so unmotiviert.“ Äh, ja, nein, also doch, ich liebe Weihnachten, ich bin nur seelisch überhaupt nicht darauf vorbereitet!
Da gab es nur eins: Ich musste meiner lahmen Stimmung nachhelfen. Ich wühlte die Sternchen-Lichterkette aus einem Karton, platzierte die Engelchen-Pyramide auf dem Tisch und tröpfelte Tannenöl in meine Duftlampe. Das half. Zumindest für ein paar Minuten.
Morgen Kinder, wird’s was geben
Denn nun begann mein Wissen unaufhaltsam ins Bewusstsein zu sickern. Langsam wurde mir klar, was in den nächsten Wochen auf mich zukommen wird: Zuerst muss ich ganz bald irgendwo einen halbwegs geschmackvollen Adventskranz auftreiben. Dann wären da noch eben mal kurz vier Adventskalender zu basteln, läppische 96 einigermaßen brauchbare Kleinteile zu besorgen und vier Nikolausstrümpfe zu füllen.
Ich bekomme schlechte Laune
Ich muss mich psychisch darauf einstellen, 17 Mal mindestens fünf verschiedene Plätzchensorten zu backen und täglich achtmal Rolf Zuckowskis „Winterkinder“ zu hören. Dann fiel mir noch siedend heiß ein, dass auch Omas und Opas beschenkt werden wollen und meine beiden süßen Nichten ausgerechnet im Dezember ihre Geburtstage feiern. Da wäre noch das obligatorische Lebkuchen-Hexenhäuschen, das wie jedes Jahr liebevoll dekoriert werden möchte. Bei dem Gedanken, dass ich die Fenster, bevor ich sie mit unseren selbst gebastelten Gold-Sternchen behänge, vielleicht noch mal putzen sollte, bekam ich schlechte Laune.
Um mich zu trösten, suchte ich im Terminkalender den Tag im Dezember heraus, an dem der traditionelle Familien-Bummel über den Weihnachtsmarkt unterzubringen war. O je, und dann gibt es sicher wieder diesen Schul-Weihnachtsbazar, für den ich Waffeln backen oder Filzengelchen basteln soll…
Weihnachten ist ja doch irgendwie schön
Ich seufzte. Vielleicht hatte ich deshalb Weihnachten so lange erfolgreich verdrängt? Plötzlich überkam mich purer Neid auf meine Freundin, die mir freudestrahlend verkündet hatte, sie habe überhaupt keinen Weihnachtsstress, sie habe nämlich schon im Frühjahr alle Geschenke gekauft. Während ich noch überlegte, in welchem Winkel des Dachbodens ich nach der Krippe suchen sollte, prangten auf ihren Fensterbänken bereits Weihnachtssterne und auf ihrem Wohnzimmertisch luden Teller mit Spekulatius, Marzipan und Schokokugeln zum Speck-Ansetzen ein.
Gibt es denn eine Alternative?
Als ich gestern beim Abendessen aus einer merkwürdig revolutionären Stimmung heraus den diffusen Vorschlag unterbreitete, wir könnten doch Weihnachten mal irgendwie anders feiern, hagelte es empörte Blicke. „Wieso denn, war doch immer schön!“ Meine Tochter überlegte immerhin kurz, ob ein Flug in die Karibik eine akzeptable Alternative sei, und Sohn 1 erwog einen Skiaufenthalt in einer Blockhütte im Schwarzwald. Sohn 2 hatte nur eine Sorge: „Und was ist dann mit den Geschenken, müssen wir die dann alle mitnehmen oder was? Das ist doch viel zu pompliziert!“
Ein leiser Hauch Wehmut
Da hatte er Recht und wir einigten uns darauf, dass alles beim gemütlichen Alten bleibt. Über das heiligabendliche Menü wurde dann noch heftig diskutiert und darüber, welche Plätzchen denn nun am ultimativ leckersten seien. Und siehe da: Beim Gedanken an den Duft frischer Vanillekipferl, Zimtsterne und Makronen wehte mich plötzlich doch ein leiser Hauch von Weihnachtswehmut an.
Weihnachten ist ja doch irgendwie schön. Es kommt eben immer nur so überraschend.