So wird und bleibt dein Kind kreativ
Kinder haben sehr viel Fantasie und können mit ihrer Kreativität ansprechende Werke erschaffen. Doch dafür brauchen sie Zeit, Raum, Materialien und Bezugspersonen, die sie wohlwollend begleiten, egal, wie das Ergebnis am Ende aussieht.
Kreativität heißt, etwas selbst zu kreieren
Lea sitzt im Wohnzimmer auf dem Boden. Der Karton neben ihr ist umgefallen. Um sie herum wimmelt es von alten Zeitungen, Büroklammern, Weinkorken, Wäscheklammern… In den Händen hält sie einen zerbrochenen Kochlöffel, dem malt sie gerade ein Gesicht. Lea ist kreativ. Sie meint, dass die Kochlöffelpuppe doch noch ein zweites Bein haben sollte und sucht mit Papa im Keller nach einem zweiten Holzstab. Bald haben sie einen gefunden, jetzt überlegt sie, was der Kochlöffel noch alles braucht, um wie eine richtige Puppe auszusehen.
Kreativ sein bedeutet künstlerisch, schöpferisch, erfinderisch, geistreich zu sein und eine Kreation zu erschaffen – nach eigenen Ideen und Vorstellungen. Kreativ sein fordert viel und fördert somit die Fähigkeiten aller Entwicklungsbereiche. Lea übt bei ihrer Bastelei zum Beispiel den Umgang mit Schere und Kleber und verstärkt dadurch ihre feinmotorischen Fähigkeiten. Als sie anfing zu basteln, fragte sie ihre Mutter wie „dieses komische Drahtding“ heißt. Jetzt weiß sie, dass es eine Büroklammer ist, damit hat sie ihren Wortschatz erweitert.
Lea musste sich sehr konzentrieren, um den Holzstab aus dem Keller an den Löffelstiel zu knoten. Es war auch ganz schön kniffelig zu überlegen, wie sie schneiden muss, um aus einem Stoffrest ein Kleid zu machen. Eine große kognitive Leistung.
Leas Bruder, neun Monate, wollte anscheinend auch mitbasteln und kam ins Kinderzimmer gerobbt. Lea fiel es schwer, nicht laut mit ihm zu schimpfen, weil er ihre Sachen alle durcheinander werfen wollte. Schließlich kam sie auf die Idee, ihm ein paar Korken zum Spielen zu geben. Damit war er zufrieden und sie konnte in Ruhe weiter kreativ sein. Diese Situation forderte ihr emotionales und soziales Verhalten heraus.
Kreativität braucht einen offenen Rahmen
Kindern kann man jedoch diese Möglichkeiten zu Lernerfolgen nehmen, indem man ihr Kreativsein in einen Rahmen presst, anstatt ihnen Freiraum zu geben, diese Kreativität zu entfalten.
Gib deinen Kindern keine genauen Vorgaben. Schablonen rauben Kindern das Erlebnis eigener Überlegungen („Wie sieht denn noch mal ein Papagei genau aus?“) und eine vorbereitete Materialauswahl raubt ihnen die Fantasie: „Man könnte ja die Büroklammer so biegen, dass sie wie ein Schnabel aussieht.“ Begleite sie eher bei der Recherche: Sucht zusammen nach einem Bild von einem Papagei oder hilf bei der Materialsuche. Sei offen für das, was dein Kind erschaffen will, denn durch Gestalten von Gegenständen und Situationen verarbeiten Kinder, was sie erleben.
Verlange deshalb nicht, dass dein Kind ein Frühlingsbild malt, nur weil draußen die Sonne scheint. Vielleicht erinnert es sich gerade an die letzte Schlittenfahrt mit dem Lieblingsonkel im Winter und hat Freude daran, dieses Erlebnis nachzumalen. Freue dich auf die Geschichten, die dein Kind dir zu dem Bild erzählen wird. Du kannst fasziniert darüber sein, was Kinder alles aufnehmen und welche Erklärungen sie sich ausdenken.
Lobe dein Kind, wenn es kreativ ist. Bringe ihm Anerkennung entgegen und staune über den selbst erschaffenen Papageien mit Büroklammerschnabel, aber bewundere vor allem den Weg dorthin. „Ich staune, wie exakt du die Steine nebeneinander geklebt hast. Mir gefällt deine Idee!“ Nimm auch Misserfolge wahr und finde darin positive Aspekte: „Schade, dass es nicht so aussieht, wie gedacht, dabei hast du dir so viel Mühe gegeben.“
Ehrlich auf die Frage zu antworten: „Wie findest du das?“, fällt manchmal schwer. Um trotzdem ehrlich zu bleiben, kann man gut ausweichen, wenn man sich auf das Wesentliche, den kreativen Prozess, konzentriert: „Ich staune, wie lange du daran gebastelt hast.“
Kreativität braucht und schafft Ruhe
Kreativität und Fantasie entstehen in Ruhe, respektiere die Momente, in denen Kinder kreativ sind, versuche es zu vermeiden, sie unnötig zu stören. Wenn du die kreative Phase beenden musst, dann plane zusammen den Zeitpunkt der Fortsetzung. „Jetzt gibt es Essen, aber du kannst gerne danach weiter basteln.“
Wenn Kinder und Erwachsene in ihre kreativen Phasen eintauchen, sich nur auf dieses Tun konzentrieren und alles andere für diese Momente zweitrangig sein lassen, dann finden sie in eine innere Ruhe. Fantasien können entstehen und sich weiterentwickeln, sie sind einmal nur mit ihrem „Projekt“ beschäftigt und können Abstand nehmen von allem anderen. Das tut der Seele gut.
Schaffe Anreize
Sammeln Sie Müll, der zum Basteln ideal ist, zum Beispiel alte Verpackungen, Wollreste, abgelaufene Lebensmittel wie Nudeln etc. und geben Sie diese an Ihre Kinder weiter, vielleicht mit dem Vorschlag: „Schau mal, die habe ich für dich aufgehoben, vielleicht magst du damit basteln.“
Erinnern Sie Kinder an schöne Bastelstunden und schlagen Sie vor, kreativ zu sein, wenn sie mit Langeweile kommen. „Weißt du noch, wie du den Bären genäht hast - vielleicht hast du Lust noch ein anderes Tier zu nähen?“
Kreativität ist vielfältig
Es gibt so viele unterschiedliche Möglichkeiten kreativ zu sein: Man kann stricken, häkeln, weben, malen, etwas färben, falten, nähen, basteln, drucken ...
Kreativ sein können Kinder aber auch im Wald beim Buden bauen, mit Hölzern und Gräsern basteln oder bei der so genannten „Land Art“. Dabei werden unter anderem Bilder aus Naturmaterialen gelegt. Auch Holz oder Ton bieten viele Möglichkeiten. Vielleicht ist es aber auch einfach das Gemüse auf dem Teller beim Abendessen, das heute durch die Gestaltung der Kinder aussieht wie ein lustiges Männchen. Denn Kreativität ist nicht gebunden an die klassische Bastelei mit Kleber und Schere, es ist der persönliche Umgang und Ausdruck mit der eigenen Fantasie.
Sei mit deinen Kindern zusammen kreativ oder assistiere ihnen. Gib ihnen Impulse oder schlage Ideen vor, aber lasse sie selbstständig weiter überlegen und ausprobieren. Nur so lernen sie am meisten dazu und sind richtig stolz, weil es wirklich am Ende ihr Eigenes ist, was sie erschaffen haben.
Kreativität fordert Einsatz
Wenn Kinder kreativ sind, dann kann der Küchentisch in kürzester Zeit einem Wühltisch in der Kaufhalle ähneln, das Waschbecken ist voller Farbreste und der Pullover voller Kleberflecken. Außerdem ist der Klebefilmroller innerhalb weniger Minuten leer und die halbe Packung Buntstifte liegt unterm Tisch.
Ständig muss Mama mal hier festhalten und da beim Kleben unterstützen und unbedingt die Wasserfarben vom Speicher holen, zudem muss das restliche Toilettenpapier abgerollt werden, weil die leere Rolle zum Schornstein umfunktioniert wird.
Dafür brauchen Eltern nicht nur Zeit, sondern auch ein hohes Maß an Engagement, Geduld und Verständnis. Nicht zu vergessen das Einfühlungsvermögen, wenn doch mal alles nicht so klappt, wie das Kind es sich überlegt hat. Doch am Ende, wenn das Werk fertig ist und das Kind strahlt, weil es vor lauter Stolz gar nicht mehr anders kann, dann können Eltern sich auf die Schulter klopfen und mitfreuen. Und diese Freude über das Geschaffene und die besondere Zeit macht jeden Farbfleck auf dem Teppich und Geduldsfaden, der bei einer stundenlangen Klebeaktion zu reißen drohte, wieder wett, oder?