Paläo: Steinzeit-Küche für die ganze Familie?
Paläo-Ernährung wird oft als Diät bezeichnet, ist aber eigentlich eine Ernährungsform. Gegessen wird, was der Mensch bereits zur Altsteinzeit, dem Paläolithikum, aß. Wir erklären, was es mit diesem Prinzip auf sich hat.
Keine Milchprodukte, kein Getreide
Pasta, Pizza und Pommes aus der Frittenbude sind verboten. Aber dafür gibt’s Pfannkuchen schon zum Frühstück - und zwar aus Kastanienmehl. Denn in der Steinzeitküche kommen nur Speisen und Getränke aus Zutaten auf den Tisch, die die Natur bereits in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, für den Menschen bereithielt. Fleisch gehört(e) dazu, Getreide, Milch und Milchprodukte nicht. Für Kinder ist die Paläo-Ernährung daher ungünstig, finden Ernährungswissenschaftler. Gesund sind jedoch die frischen Zutaten und der Verzicht auf Fertigprodukte und zuckrige Süßigkeiten.
Dr. Sabine Paul ist von der Steinzeitküche (Englisch: Paleo-Diet) überzeugt. Seit Jahren kommt in der Familie der Molekular- und Evolutionsbiologin nur auf den Tisch, was schon den Jägern und Sammlern in der Steinzeit als Nahrung diente: Fleisch, Fisch und Eier zum Beispiel, reichlich Gemüse, Obst und Nüsse: „Nach mehr als 10 Jahren Paläo-Ernährung bin ich ausgesprochen fit, mein Gehirn sprudelt vor Ideen, ich bin wach, konzentriert und fühle mich rundum wohl in meiner Haut“, fasst sie zusammen, was ihr die Steinzeitküche bringe, und fügt hinzu: „Mein Sohn schätzt die Qualität unseres Essens, und unsere Gäste schwelgen in den - noch nicht einmal besonders aufwändigen - Gerichten.“
Zwei Millionen Jahre lang Jäger und Sammler
Als Referentin und Autorin zahlreicher Publikationen und Gründerin ihres „PaläoPower“-Instituts verdient Sabine Paul mit der Steinzeitküche auch ihr Geld. Denn die Paläo-Ernährung (engl. „Paleo diet“) zählt zu den alternativen Ernährungsformen, die in unserer übersättigten Gesellschaft immer mehr Interesse und Zuspruch finden. Der Mensch sei genetisch auf Steinzeit-Ernährung eingestellt, argumentieren die Verfechter dieser Ernährungsweise. Weil er als Jäger und Sammler rund zwei Millionen Jahre lang nur aß und trank, was er in der Natur so fand. Fleisch, Fisch und Weichtiere wie Schnecken dienten in der Altsteinzeit als Nahrungsmittel, Eier und Honig, außerdem Wildpflanzen, Früchte, Wurzeln, Pilze und Samen wie Buchweizen. Sabine Paul zählt auch Kartoffeln, Gluten-freie Samen wie Reis und Hirse, Quinoa und Amaranth zu den paläolithischen Nahrungsmitteln, ebenso Hülsenfrüchte wie Erbsen und Linsen, die nachweislich schon in der Steinzeit als Nahrung dienten.
Frische Nahrungsmittel und Biofleisch
Erst die so genannte „Neolithische Revolution“ brachte dem Menschen vor etwa 10.000 Jahren Ackerbau und Viehzucht, und damit Getreide, Milch und Milchprodukte. Die vergleichsweise kurze Zeitspanne sei viel zu wenig Zeit, sich genetisch auf diese Nahrungsmittel einzustellen, sind Vertreter der Paläo-Ernährung überzeugt und erklären ernährungsbedingte Erkrankungen wie Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz) oder Gluten-Unverträglichkeit zu gesundheitlichen Folgeerscheinungen.
Verboten sind in der Steinzeitküche folgerichtig auch alle Fertigprodukte und sonstige industriell hergestellten und stark verarbeiteten Nahrungsmittel. Empfohlen werden vorwiegend frische, saisonale Lebensmittel aus der Region, Biofleisch statt Fleisch aus Massentierhaltung sowie Fisch aus nachhaltiger Fischerei. Alles in Allem also eine gesunde Ernährungsweise für die ganze Familie?
Die Ernährungswissenschaftlerin Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) hält davon wenig. „Es gibt generell keinen Grund, Milch, Milchprodukte und Getreide aus der heutigen Ernährung von Kindern zu verbannen“, erklärt sie und stellt die Argumente der Paläo-Ernährungs-Verfechter in Frage: „Der Mensch muss sich nicht zwei Millionen Jahre an eine Ernährung gewöhnen, und wir Nordeuropäer vertragen Getreide, Milch und Milchprodukte. Sie sind ein wertvoller Bestandteil der Kinderernährung. Zivilisationskrankheiten kommen nicht von Getreide und Milch sondern von einem ungünstigen Lebensstil und Überernährung.“
Paläo-Ernährung als „Steinzeit-Diät“
Auch die Ernährungswissenschaftlerin, Buchautorin und Systemische Paar- und Familientherapeutin Edith Gätjen weiß, dass eine ungesunde Ernährung eher aus einem „Zuviel“ und „Zu einseitig“ resultiert. „Gluten sind ja nicht schlimm, wenn die Mengen eingehalten werden", nennt die Ökotrophologin ein Beispiel. Wenn es um Kinderernährung geht, stört Edith Gätjen an der oft auch „Paläo-Diät“ genannten Ernährungsweise vor allem der Begriff „Diät“. Richtig sei, dass viele Leute mit der Umstellung auf Paläo-Ernährung auch abnehmen, räumt Sabine Paul dazu ein. Der deutsche Begriff „Paläo- oder Paleo-Diät“ gehe jedoch auf einen Übersetzungsfehler zurück: Im Englischen heißt die Steinzeit-Ernährung „Paleo diet“, „diet“ bezeichne aber keine Diät im deutschen Sinne, sondern nur eine bestimmte „Ernährungsweise“.
„Die Paläo-Ernährung wird schon als Diät angepriesen“, wendet Edith Gätjen ein. Tatsächlich verkaufen sich unter dem Titel „Steinzeitdiät“ oder „Paleo-Diät“ diverse Ratgeber oder Kochbücher, die eine Gewichtsreduktion versprechen, häufig als zeitlich überschaubares Ernährungsprogramm. So ein Diät-Programm ist nichts für gesunde Kinder, ist Edith Gätjen überzeugt.
Nudeln sind verboten
Und führt noch eine Reihe weiterer Vorbehalte ins Feld. Milch und Milchprodukte zum Beispiel sind in der Kinderernährung wichtige Kalzium-Lieferanten. Fallen die weg, müssen Alternative her: Kalziumreiche Gemüsesorten wie Brokkoli und Fenchel gehören auf den Teller des paläolithisch ernährten Kindes, dazu Nüsse und kalziumreiche Mineralwässer. Außerdem müssten Kinder nach Ansicht der Ökotrophologin sehr viel Gemüse essen, um das ballastoffreiche Vollgetreide und die Hülsenfrüchte zu ersetzen, die zusammen mit Milchsäurebakterien für eine gesunde Darmflora sorgen. Dabei wisse man aus Studien, „dass Kinder schlecht Gemüse essen“ und lieber Obst als Gemüse.
Schließlich stößt sie sich an den vielen Verboten der Steinzeitküche. Sabine Paul sieht das eher locker. Sie rät Eltern, die ihre Kinder nach den Paläo-Regeln ernähren, „nicht allzu viel zu verbieten.“ Die Geschmacksnerven der Kinder passten sich an, wenn sie die Paläo-Ernährung gewohnt seien. Sie wählten dann schon selbst aus. Und griffen auf der Geburtstagsparty eher zum Schoko-Nuss-Kuchen als zur Sahnetorte. „Und die vertragen auch mal eine normale Portion Kuchen.“
Wie werden Kinder satt?
Eigentlich sind aber gerade die satt machenden Kohlehydrate der Gluten-haltigen Getreideprodukte in der Paläo-Ernährung verboten. Da fragt sich Edith Gätjen, wie Kinder von der Steinzeit-Ernährung überhaupt satt werden. Die Empfehlungen für eine gesunde Kinderernährung lauteten: täglich vier Portionen Getreide und Getreideprodukte wie Nudeln und Brot, Fleisch aber nur zweimal pro Woche und als etwa handtellergroße Portion. „Da können sich die Kinder ja nur noch an Nüssen sattessen“, resümiert Gätjen die Steinzeiternährung. Und weist vorsorglich darauf hin, dass man Kleinkindern wegen der Erstickungsgefahr keine ganzen Nüsse geben darf, sondern nur Mus aus Nüssen. Paläo-Verfechterin Sabine Paul ist jedoch der Meinung, dass ein Anteil tierischer Nahrung von bis zu 60 Prozent auch in der Kinderernährung in unserer Region keine Gefahr darstelle. Dieser Anteil bezieht allerdings Fisch, Meeresfrüchte und Eier mit ein und meint nicht nur Fleisch und Innereien.
Paläo für Kinder: Lange stillen und Zeit geben
Für schwierig hält Edith Gätjen insbesondere ein abwechslungsreiches Frühstück anzubieten, wenn Müslis, Brot, Mich und Joghurt wegfielen. Für Kindergartenkinder könne sie sich zum Mitnehmen alternativ einen Smoothie vorstellen, den man mit Nüssen pürieren und mit Öl anrühren könnte, damit er gut satt macht.
Übrigens enthielten viele alternative Frühstücksrezepte der Paläo-Küche viel zu viele Eier, stellt Gätjen zum Thema Frühstück fest. Solche Rezepte hält auch Paläo-Expertin Sabine Paul für „Unfug“. Sie weist darauf hin, dass Eier in der europäischen Steinzeitküche nur im Frühjahr und Sommer verfügbar waren und eigentlich ein Saisonprodukt sind. Zum Frühstück empfiehlt sie eher ein Brot aus Erdmandelmehl, Trockenfrüchten und Nusskernen. Und erzählt, dass das Lieblingsfrühstück ihres Sohnes bis heute der Pfannkuchen aus Kastanienmehl sei – gerne zusammen mit einer Portion selbst gemachter Grütze aus Beeren, die aufgekocht und mit Johannisbrotkernmehl angedickt werden.
So kann die Umstellung gelingen
Wer sein Kind von Anfang an paläolithisch ernährt, solle möglichst lange stillen, rät Sabine Paul. Außerdem eigneten sich viele Zutaten aus der Steinzeitküche für Säuglingsnahrung: Brei aus Pastinaken zum Beispiel oder aus Gemüse und Fleisch. Wer die ganze Familie auf Paläo-Ernährung umstellen möchte, sollte den Kids dafür ausreichend Zeit geben – Zeit zum Entdecken und Ausprobieren. „Je früher die Kinder die Paläo-Ernährung kennenlernen, umso besser akzeptieren sie sie“, ist die Paläo-Expertin überzeugt. „Je älter sie sind, umso länger wird die Umstellungsphase dauern. Wer die Umstellung von heute auf morgen probiert, wird Schwierigkeiten haben.“ Sie empfiehlt, den Kindern schmackhaft zu machen, was erlaubt ist. „Kochen Sie damit nach, was Kinder kennen und mögen“, rät sie „und schaffen Sie leckere Alternativen, die andere Kinder mitessen, wenn sie zu Besuch sind.“ Wichtig sei die ganze Vielfalt der Steinzeitküche zu nutzen. „Das ist der Schlüssel.“ Eis könne man zum Beispiel prima aus Kokosmilch und Honig, Melonenscheiben, Erdbeeren oder Mango selber herstellen. „Lassen sie Ihr Kind Hähnchenfleisch vom Knochen abnagen und unterwegs Brombeeren pflücken“, gibt sie weitere Tipps. „ Machen Sie Ihr Kind zum Tester und lassen Sie es mitkochen und ausprobieren. Das bringt auch die Familie zusammen.“