Traditionelle Chinesische Medizin
Ob Akupunktur, Tai Chi oder Kräuterheilkunde - die Traditionelle Chinesische Medizin ist auf dem Vormarsch. Ihre ganzheitliche Sicht und ihre sanften Methoden bereichern unser Gesundheitssystem.
- Wozu traditionelle chinesische Medizin (TCM) hier im Westen?
- Eine Erkrankung - fünf verschiedene Diagnosen
- Was sehen die Chinesen anders?
- Energieleitbahnen zwischen Yin und Yang
- Akupunktur, Akupressur und Akupunktmassage
- Chinesische Arzneimittel
- Wie findet man gut ausgebildete Ärzte für Traditionelle Chinesische Medizin?
Wozu traditionelle chinesische Medizin (TCM) hier im Westen?
Viele Arztbesuche sehen so aus: Ein Patient nennt seine Beschwerden, der Arzt oder die Ärztin verschreibt ein Medikament, nimmt vielleicht Blut ab oder verordnet eine Röntgenaufnahme – und schon ist der Patient wieder draußen vor der Tür. Und fragt sich womöglich: "Hat der mich überhaupt angesehen? Warum habe ich eigentlich Schmerzen? Hätte der Arzt da nicht etwas genauer nachfragen müssen?" Zeitdruck, medizinische Apparate und die allzu schnelle Verabreichung starker Medikamente führen hierzulande sowohl bei Patienten als auch bei der Ärzteschaft häufig zu Unzufriedenheit. Bei allen Erfolgen und allem Segen unserer Medizin – auf der Strecke bleiben nicht selten Vorsorge und tieferes Verständnis einer Krankheit, weil das Augenmerk zu wenig auf die Vorgeschichte der Erkrankung (Anamnese) und auf den ganzen Menschen gerichtet wird.
Immer mehr Ärzte und Patienten entdecken daher das Potential der Traditionellen Chinesischen Medizin. Als Akupunktur ist diese auch im Westen schon den meisten Menschen bekannt und von Krankenkassen teilweise anerkannt. Doch die heilenden Nadeln sind nur eines von zahlreichen Gebieten der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die unserer Auffassung von Gesundheit, Krankheit und Heilmethoden neue Impulse geben kann.
Eine Erkrankung - fünf verschiedene Diagnosen
Die Kölner Fachärztin für Orthopädie, Marika Hardung, arbeitet zusätzlich zur Schulmedizin auch mit Traditioneller Chinesischer Medizin, weil sie von dem ganzheitlichen Ansatz dieser Heilkunde fasziniert ist: "Wenn fünf Menschen mit einem Magengeschwür hier alle die gleiche Diagnose und das gleiche Medikament erhalten, sieht die TCM viel stärker den einzelnen Menschen und würde eventuell fünf verschiedene Diagnosen stellen." Dies mit der Folge, dass auch die Behandlung bei jedem einzelnen anders aussähe.
Wie kommt das? Der traditionelle chinesische Mediziner ist nicht einfach mit einer Magenspiegelung zufrieden, um ein Magengeschwür zu diagnostizieren. Er betrachtet den ganzen Menschen, stellt Fragen zur Art der Schmerzen, beachtet den Teint, die Statur und die Stimme des Patienten, sein Auftreten, seine Ausstrahlung, sein psychisches Befinden, fragt nach Schlafstörungen und Stuhlgang, untersucht ausführlich das Aussehen der Zunge und fühlt den Puls.
Wenn all diese Faktoren berücksichtigt werden, steht das Magengeschwür bei jedem Patienten in einem anderen Zusammenhang und erfordert möglicherweise bei jedem eine komplett andere Behandlung. Ein einfaches Beispiel: Während das Geschwür bei dem einen Menschen, der zu Nervosität neigt, auf zu viel Stress zurückzuführen ist, stecken beim anderen vielleicht falsche Ernährungsgewohnheiten dahinter.
Was sehen die Chinesen anders?
Die westliche Auffassung vom Körper kann man als "mechanistisch" bezeichnen. Das heißt: Der Körper wird als eine Art Maschine aufgefasst. Wenn eines der Körperteile der Körper-Maschine nicht funktioniert, kann es repariert oder sogar ausgetauscht werden. Hat zum Beispiel ein Patient Bauchschmerzen, sucht der Arzt nach einer Ursache. Die hält er für gefunden, wenn er ein Magengeschwür entdeckt hat. Dieses wird behandelt, aber meist nicht die Ursachen, die dazu geführt haben. Krankheit wird an sichtbare, bzw. messbare physikalisch-chemische Veränderungen geknüpft. Der Blick richtet sich dabei auf Einzelteile des Körpers, für jedes Organ sind andere Spezialisten zuständig.
Der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) liegt ein anderes, ganzheitliches Menschen- und Körperbild zugrunde. Während die westliche Medizin den stofflichen Aspekt des Körpers betont, sieht die traditionelle chinesische den Körper als ein energetisches Gefüge. Lebensenergie, Qi genannt, durchströmt den Körper nach dieser Auffassung auf festgelegten Bahnen (Meridiane). Während in der westlichen Medizin die Einzelteile interessieren, konzentriert sich der chinesische Mediziner auf die Beziehungen, die Zusammenhänge der verschiedenen biologischen Lebensfunktionen und des psychischen Geschehens. Daher wird beim Erstgespräch mit dem Patienten nicht nur das Symptom betrachtet, das ihn in die Praxis führte, sondern es werden über gezielte Beobachtung, Befragung und Untersuchung alle wahrnehmbaren Symptome zusammengetragen, um ein Gesamtbild des Menschen zu erhalten.
Energieleitbahnen zwischen Yin und Yang
Nach chinesischem Denken wirken in der großen Welt des Kosmos und in der kleinen des menschlichen Organismus die gleichen Kräfte und Gesetze. Alles unterliegt dem Prinzip von Yin und Yang. Das ist die Bezeichnung der beiden gegensätzlichen Pole, die allen Dingen zugrunde liegen: Dazu zählen zum Beispiel Himmel - Erde, warm - kalt, männlich - weiblich. Alles Geschehen wird als ein ständiges Fließen zwischen den Polen Yin und Yang aufgefasst. Gesundheit herrscht da, wo die beiden Pole in einem harmonischen Gleichgewicht stehen.
Denn die Energie, die nach chinesischer Auffassung den Körper auf festen Leitbahnen in einem Kreislauf durchfließt, kann nur dann ungestört fließen, wenn sich die beiden Pole Yin und Yang im Gleichgewicht befinden. Hildegard Schneider und Rita Steininger beschreiben in ihrem Buch "Gesund durch Akupunkt-Massage nach Penzel" die Lebensenergie (Qi) als "Batterie", die einen Plus- und einen Minuspol (Yang und Yin) hat: "Und genauso wie der elektrische Strom nur fließen kann, wenn beide Pole genügend Ladung haben, kann auch die Lebensenergie nur fließen, wenn beide Pole in einem lebendigen Austausch miteinander stehen."
Akupunktur, Akupressur und Akupunktmassage
Das Wissen um die Energieleitbahnen ist die Voraussetzung, Therapieverfahren wie die hierzulande recht bekannte Akupunktur zu verstehen. Bei dieser Methode werden bestimmte Punkte entlang der Meridiane mit Nadeln gestochen, um Blockaden im Energiefluss zu lösen, das Qi zu stärken oder krankhafte Energie aus dem Körper abzuleiten. Eine Methode, die besonders bei der Schmerzbehandlung große Erfolge aufweisen kann. Die Akupunktur-Punkte, die Schneider und Steininger als "Schalter im Netz der Energieleitbahnen" bezeichnen, können auch durch andere Techniken, wie zum Beispiel Druck oder Massage manipuliert werden. Aku-Pressur und Akupunkt-Massage eignen sich auch zur Selbstbehandlung. So ist in dem Buch "Gesund durch Akupunkt-Massage" in einem Kapitel für Schwangere nachzulesen, wie durch eine Partnerbehandlung mit Akupunktmassage Übelkeit und Stress der Mutter gelindert werden können.
Kürzere Wehen durch Akupunktur
Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2001 hat übrigens die Dauer der Wehen bei 878 Frauen mit einer mindestens 36 Wochen ohne Komplikationen verlaufenden Schwangerschaft verglichen. Eine Gruppe war mit gezielter Akupunktur, eine weitere mit nichtspezifischer Akupunktur und eine dritte Gruppe mit keiner Akupunktur behandelt worden. Es stellte sich heraus, dass Frauen, die mit gezielter Akupunktur behandelt wurden, bei der Geburt deutlich kürzere Wehen hatten als die Frauen, die mit nichtspezifischer Akupunktur oder überhaupt nicht behandelt wurden. Bei der akupunktierten Gruppe war außerdem die zervikale Reifung deutlicher. Die Autoren zogen daraus den Schluss, dass bei Frauen, die mit behandelt werden, die Gebärmutterkontraktionen "besser koordiniert" sind, und schlugen vor, "die Anwendung von pränataler Akupunktur für Frauen mit komplikationslos verlaufenden Schwangerschaften in Erwägung zu ziehen, wenn der Entbindungstermin näherrückt".
Chinesische Arzneimittel
Neben den Methoden der Gesundheitsvorsorge und Therapie, die auf eine ungestört fließende Lebensenergie (Qi) zielen - wie Tai Chi und Qi Gong - ist ein wichtiger Pfeiler chinesischer Heilkunst die Arzneimittelkunde. Vor allem pflanzliche, auch mineralische und wenige tierische Stoffe werden, ganz individuell auf das Krankheitsbild abgestimmt, zu einer Rezeptur verarbeitet und verabreicht.
Die erste sicher bezeugte Arzneimittelschrift ist der "Wurzel- und Kräuterklassiker des gestaltenden Landmanns" aus dem Jahr 100 unserer Zeitrechnung. Systematisch wurde im Laufe der Jahrhunderte eine umfangreiche Arzneimitteltherapie entwickelt. Der berühmte Abriss der Kräutermedizin des chinesischen Arztes Li Shizen aus dem 16. Jahrhundert beschreibt mehr als 10 000 Rezepturen. Die Arzneimittel werden gekocht und meist entweder als Tee oder Sud (Dekokt) getrunken. Sie sind aber auch als Granulate, Konzentrate in Tropfenform und als Tabletten zu haben. Die Kölner Ärztin Marika Hardung, die seit Jahren erfolgreich mit dieser hochwirksamen Naturmedizin arbeitet, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass viele der chinesischen Kräuter auch im europäischen Raum bekannt sind. Leider ist in unserer Kultur viel Arzneimittelwissen mit der Verbrennung der "Kräuterweiblein" als Hexen untergegangen.
Wie findet man gut ausgebildete Ärzte für Traditionelle Chinesische Medizin?
Eine Liste von ÄrztInnen in Deutschland, die in allen Bereichen chinesischer Heilkunst ausgebildet sind, ist auf der Webseite der "Internationalen Gesellschaft für chinesische Medizin SMS" in München zu finden. Als Qualitätskriterium für den oder die MedizinerIn nennt Marika Hardung "eine ganzheitliche Anamnese, die Zungen- und Pulsdiagnostik enthalten muss", und Kenntnisse verschiedener Richtungen der TCM – also neben Kenntnissen der Akupunktur auch der chinesischen Kräuterheilkunde.
Akupunkturbehandlungen werden in den meisten Fällen von den privaten Krankenkassen übernommen. Im Rahmen eines Modellversuchs, bei dem die Wirksamkeit von Akupunktur erforscht werden soll, ist Akupunktur derzeit bei einigen Indikationen – chronischen Kopfschmerzen, chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule und chronischen Schmerzen bei entzündlichen Gelenkerkrankungen - unter anderem auch bei allen Ersatzkassen und den Innungskrankenkassen (IKK) erstattungsfähig.
So erhält allmählich auch unter den von den Krankenkassen anerkannten Heilverfahren eine Medizin ihren Platz, die "nicht nur eine Modeerscheinung ist", wie Marika Hardung betont: "TCM hat eine mehr als zweitausendjährige Geschichte und ihre Heilverfahren wurden immer wieder durch Erfahrungen erprobt, bestätigt und verbessert."