Frauenheilkunde – natürlich und ganzheitlich
Lavendelbad bei Stress, Kräutertee bei Menstruationsbeschwerden: Natürliche und alternative Heilmittel sind bei Frauen sehr beliebt, speziell gegen weibliche Beschwerden. Natürliche Frauenheilkunde achtet dabei vor allem auf die besondere Natur der Frau.
Oft unterbewertet: Frauensachen in einer Männerwelt
Was kaputt ist, wird repariert oder ausgetauscht: So funktioniert Medizin, wenn vornehmlich Männer das Sagen haben. „Für Männer ist der Körper letztlich wie eine Maschine, ein Motor, an dem man die Teile, die defekt sind, repariert oder austauscht“, beschreibt es die Heidelberger Frauenärztin und Autorin von Frauenheilbüchern Prof. Dr. Ingrid Gerhard. Und oft entscheiden sie nach ihren männlichen Bauplänen, ab wann etwas als kaputt gilt, woran man eine Fehlfunktion erkennt und wie sie repariert wird – auch bei Frauen. Das Problem ist nur: Frauen sind anders. Diese vermeintliche Binsenweisheit kann lebenswichtig sein, denn sie gilt längst nicht nur für die Anatomie: Unter der Einwirkung der weiblichen Hormone zeigen Frauen nicht selten andere Krankheitssymptome als Männer (zum Beispiel haben sie bei einem Herzinfarkt eher Schmerzen im oberen Bauch, Übelkeit und Erbrechen als das berühmte Ziehen im linken Arm) und reagieren auch anders auf Umwelt, Nahrung und auf Medikamente (auch Narkosemittel), „die in der Regel an Männern getestet werden und deren empfohlene Dosierung auf Frauen zu stark oder zu schwach, mit schlimmeren oder anderen Nebenwirkungen, mit einer verlängerten oder verkürzten Dauer wirken kann“, führt Prof. Gerhard aus.
Natürlich weibliche Medizin: Begleitung statt Eingriff
Fände dieses Wissen ausreichend Beachtung, müsste echte Frauenheilkunde viel mehr umfassen als „nur“ Gynäkologie und Geburtshilfe: Sie wäre eine eigene, speziell zugeschnittene Gesundheitsversorgung für Frauen. Sie würde einbeziehen, dass Frauen durch den immerwährenden, stetig schwankenden Hormoneinfluss und ihre biologischen Zyklen eng mit dem Werden, Vergehen und Neuwerden der Natur verbunden sind. Dass sie gerade als Mütter überwältigende Erfahrungen mit ihrer lebensspendenden Kraft machen. Dass sie aufgrund all dessen meist achtsamer mit ihrer Gesundheit sind als Männer. Und sich offener zeigen für ganzheitliche Heilweisen, die natürliche Rhythmen begleiten und unterstützen statt in sie einzugreifen oder sie zu unterdrücken. Das bedeutet keineswegs, dass die Schulmedizin hier überflüssig ist. Aber es stellt Anforderungen an sie: „Eine gute Frauenheilkunde achtet Frauen als Individuen und gibt ihnen Hilfe zur Selbsthilfe“, meint Ingrid Gerhard. „Denn im Prinzip können Frauen es intuitiv selbst am besten und brauchen vom Arzt nur eine Richtungsangabe.“
Hilfe bei typischen Anwendungsgebieten der Frau
- Infektionen: angemessene Hygiene und ausgewogene Ernährung
Das gilt für allgemeine Erkrankungen wie Erkältungen oder Magen-Darm-Schmerzen, aber natürlich besonders für spezielle Frauenleiden, wie ein typisches modernes Problem zeigt: „Mir fällt auf, dass Frauen immer häufiger mit Scheideninfektionen zu tun haben, mit Entzündungen nach dem Verkehr“, reflektiert Prof. Gerhard aus ihrer Praxiserfahrung. Viele Ärzte verschreiben hier gleich Zäpfchen oder Salben. Dabei muss das nicht sein: „Infektionen entstehen bei gestörten Schleimhautmilieus, die unter anderem aus übermäßiger Hygiene mit unpassenden, oft zu stark parfümierten Reinigungsmitteln sowie einer zu sauren Ernährung resultieren. Die Übersäuerung greift über den Stoffwechsel alle Schleimhäute an“, erläutert die Ärztin. Sie empfiehlt, zunächst diese Faktoren plus gegebenenfalls mangelnde Hygiene beim Partner zu klären. Homöopathie, Schüßler-Salze und Pflanzenmittel wie entzündungshemmende Ringelblume, keimhemmende Melisse und immunstärkender Sonnenhut bringen wieder Ordnung ins System – individuell, je nach Auslösern und Symptomen. Gegen die Übersäuerung kann frau Basenfasten probieren. Das soll obendrein bei Pickeln, Cellulite, diversen Wechseljahresbeschwerden und PMS Linderung bringen. - PMS: Mönchspfeffer, Frauenmantel und Ruhe
Letzteres Phänomen kennt Heide Fischer, Autorin und Ärztin für Frauen-Naturheilkunde in Freiburg, sehr gut: „Prämenstruelle Beschwerden zählen zu den häufigsten Themen in meiner Praxis“, sagt sie. „Aus meiner Sicht haben diese damit zu tun, dass wir heute grundsätzlich mit einem Östrogenübergewicht leben, unter anderem durch östrogenähnliche Umweltgifte bedingt. Dadurch gerät das Progesteron ins Hintertreffen.“ Traditionell wird dieser Ursache für PMS gern mit einer gestagenbetonten Pille abgeholfen. „Gestagene sind aber molekular verändertes Progesteron. Die bleiben oft nicht ohne Nebenwirkungen und belasten die Leber“, gibt Heide Fischer zu bedenken. „Für einen sanfteren Hormonausgleich haben sich Heilpflanzen wie Mönchspfeffer und Frauenmantel bewährt.“ Genossen als Tee, bringen sie zudem Ruherituale in den Tag. Das ist wichtig, weil Stress die Beschwerden verstärken kann, wenn Körper und Seele eigentlich Ruhe benötigen, um sich, selbst wenn kein akuter Kinderwunsch besteht, damit abzufinden, dass der Zyklus quasi umsonst war. - Kinderwunsch: gesunder Lebensstil, Entgiftung und Globuli
Kinderwunsch – dieses Thema steht bei Ingrid Gerhard ganz oben auf der Liste. Eine ihrer ersten Fragen hierzu ist die nach der Lebensweise, denn: „Oft entscheiden sich Frauen erst sehr spät für eine Schwangerschaft. Das Kind soll dann in das bestehende Leben zwischen Mann und Job eingepasst werden. Das funktioniert aber nicht so einfach. Ein Baby braucht schon zum Einnisten ein gemütliches Nest. Hier spielt auch hinein, dass die Eizellen bereits etliche Jahre in den Eierstöcken lagern und in dieser Zeit vielen Giftstoffen ausgesetzt waren.“ Eine Entgiftungs- und Fastenkur beziehungsweise Darmsanierung und Maßnahmen wie Moorbäder zur besseren Durchblutung der Eierstöcke sind deshalb ihre primären Empfehlungen bei Kinderwunsch. Und sich, zum Beispiel durch die Basaltemperaturkurve, genau mit dem eigenen Zyklus vertraut zu machen. Bei einem gestörten Eisprung helfen Mönchspfefferextrakte. „Außerdem haben wir in Studien nachgewiesen, dass vielen Frauen, beispielsweise mit Zyklusstörungen, mit hormoneller oder ungeklärter Sterilität und mit Endometriose, eine homöopathische Behandlung zu einer Schwangerschaft verhelfen kann“, so die frühere Universitätsprofessorin. - Starke Menstruation und Erschöpfung bei Müttern: Ginseng, Rosenwurz und Ruhezeiten
Speziell in der Gruppe der Mütter beobachtet Heide Fischer ein weiteres zunehmendes Phänomen: eine verstärkte Menstruation, einhergehend mit Müdigkeit und Erschöpfung durch den hohen Blutverlust. „Mütter schultern oft zuviel“, erklärt die Ärztin eine mögliche Ursache. „Die Mehrfachbelastungen lassen sie dann regelrecht ausbluten.“ Blutstillend wirken Tinkturen mit Hirtentäschelkraut oder Blutwurz. Gegen die Erschöpfung helfen ebenfalls Heilpflanzen: „Ginseng-Wurzel vitalisiert, Rosenwurz wirkt antidepressiv“, nennt Heide Fischer zwei passende Mittel und betont leichzeitig: „Das alles können aber nur begleitende Stärkungsmittel sein. Betroffene Mütter sollten unbedingt achtsamer mit sich werden, auf Entlastung und Zeit für sich Wert legen, um Kraft schöpfen zu können. Manche müssen den Männern auch nur mal eine Chance geben, zu helfen.“
Sich kennen und achten: die Basis echter Gesundheit
Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass es in einer natürlichen Frauenheilkunde um mehr geht, als Tabletten durch Heilpflanzen, Kügelchen, Blüten oder Salze, die Medizin von Kneipp, der Chinesen (TCM) oder der Inder (Ayurveda), durch Osteopathie oder noch ein anderes von all den vielen ganzheitlichen Heilverfahren zu ersetzen. So gut es ist, dass jede Frau bei dieser großen Auswahl die Möglichkeit hat, genau die Anwendungen zu finden, die für sie, ihre individuellen Beschwerden, Symptome und ihre Lebensphase passen, und so hilfreich sie alle sein können: Gesund zu bleiben und sich wohl zu fühlen hat, banal aber sehr entscheidend, zuerst mal mit einer ausgewogenen Ernährung, ausreichend Bewegung und Entspannung zu tun. Und einem guten Gespür für sich selbst, ganz allgemein als Frau wie auch als Persönlichkeit, und der Beachtung der eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse, körperlich wie seelisch. Denn Gesundheitsprobleme entstehen nicht zuletzt daraus, dass Frauen nicht im Reinen sind mit dem Frausein an sich oder mit Rollen, die sie ausfüllen, mit gesellschaftlichen Erwartungen oder Idealen, denen sie vergebens hinterherjagen.
Zum Glück gibt es auch für die Selbsterkundung gute Hilfestellungen, Entspannungsverfahren etwa oder Imaginationsübungen. So lässt Heide Fischer auf ihrer CD „Körperweisheit“ Frauen unter anderem eine Art Bestandsaufnahme ihres Lebens visualisieren und schickt sie auf eine Reise durch den Körper, um einer aktuellen Beschwerde auf den Grund zu gehen.
Selbst ist die Frau: Eigenverantwortung für die Gesundheit übernehmen
Von einer eigenen Gesundheitsversorgung für Frauen, die physische, psychische und gesellschaftliche Aspekte einbezieht, ist die Praxis heute zwar noch „kilometerweit entfernt“, wie Prof. Gerhard feststellt. Immerhin sind die Mediziner aber bereits aufmerksamer geworden: „Das Bewusstsein dafür ist bei vielen Ärzten schon da, auch bei Männern. Bestimmender ist aber leider der Zwang, vom Beruf leben zu müssen, und da lassen die irrsinnige Bürokratie und die vielen Richtlinien wenig Spielraum für individuelle Behandlungen.“ Deshalb ist eben Eigeninitiative so nötig. Das bekräftigt auch Heide Fischer: „Wichtig ist, dass Frauen ihren eigenen Platz einnehmen, sich mit ihrer Gesundheit beschäftigen, Informationen sammeln, damit sie im Falle einer Erkrankung die für sie selbst richtige Entscheidung treffen.“ Und auf ihren Besonderheiten bestehen können, ohne sich schwach zu fühlen oder gar zu schämen – und schon gar nicht, sich bei beängstigenden Symptomen als das jammernde Geschlecht abwimmeln zu lassen, nur weil die Schmerzen nicht ins Diagnoseschema des Arztes passen.
Service: Buch- und Linktipps
Zum Weiterlesen
• Ingrid Gerhard:
Das Frauen-Gesundheitsbuch. Symptome verstehen – Krankheiten behandeln. Wo Naturheilverfahren wirken, wann Schulmedizin nötig ist.
Haug. 2009. ISBN-13: 978-3830422617. 29.95 Euro.
• Ingrid Gerhard, Natascha von Ganski:
Die neue Pflanzenheilkunde für Frauen.
Zabert Sandmann. 2012. ISBN-13: 978-3898833028. 19,95 Euro
• Heide Fischer:
Frauenheilbuch. Naturheilkunde, medizinisches Wissen und Selbsthilfetipps für eine ganzheitliche Frauengesundheit.
Nymphenburger. 2004. ISBN-13: 978-3485010139. 19,99 Euro.
• Heide Fischer:
Körperweisheit. Imaginationsübungen für Gesundheit und Selbstentfaltung. CD.
Langen/Müller. 2010. ISBN-13: 978-3784442280. 12,99 Euro.
• Michael Teut u.a.:
Das KinderWunsch-Buch. IVF, Naturheilkunde, Homöopathie und TCM bei unerfülltem Kinderwunsch.
KVC-Verlag. 2008. ISBN 978-3-933351-78-4. 14,90 Euro.
Im Netz
• www.netzwerk-frauengesundheit.com
(Seite von Prof. Dr. Ingrid Gerhard mit vielen weiterführenden Informationen)
• www.frauen-naturheilkunde.de
(Seite von Heide Fischer mit vielen weiterführenden Informationen)
• www.frauengesundheitsportal.de
(Portal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung speziell für Frauen)
• www.internisten-im-netz.de
(Unter dem Menüpunkt „Naturheilkunde und Alternative Medizin" gibt es einen ausführlichen Überblick über natürliche und ganzheitliche Heilweisen)