Schreckgespenst Jugendamt?
Viele Familien scheuen den Kontakt zum Jugendamt - dabei bietet es viel Hilfe. Als nichts mehr ging, fiel einer Mutter nur noch eine Lösung ein: das Jugendamt. „Keine zwei Stunden nach meinem Anruf standen zwei Damen hier, haben sich unsere Situation angeschaut und Hilfe organisiert. Damit hätte ich so nie gerechnet.“
Hilfe in der Not
Bis heute hört man Janine Rosner (Name geändert) die Überraschung darüber an, dass ihr Anruf so schnell so positive Folgen hatte. Denn vor fünf Jahren stand die junge Mutter vor einem riesigen Chaos, für das sich niemand zuständig fühlte. Zehn Wochen zu früh waren ihre Zwillinge zur Welt gekommen, mussten mehr als zwei Monate auf der Intensivstation bleiben.
Drei Kinder und viele Probleme
„Ich wusste eigentlich schon im Krankenhaus, dass wir das nicht packen würden: Eins der Babys hatte große gesundheitliche Schwierigkeiten und wurde mit Sonde und Überwachungsmonitor entlassen. Die ganze Versorgung der beiden Kleinen war mühsam - und dazu hatten wir ja noch unsere große Tochter.“
Doch alle Bitten bei Krankenkasse oder im Krankenhaus blieben ungehört. „Da habe ich mich sehr hilflos gefühlt. Es war ja im Grunde schon vor der Entlassung klar, dass wir das ohne Unterstützung nicht schaffen würden. Dass da kein Weg ranging, irgendwas zu organisieren, wollte mir nicht in den Kopf.“
Schnelle Hilfe in einer Ausnahmesituation
Umso schneller ging es dann, nachdem Janine Rosner ihr zuständiges Jugendamt kontaktiert hatte. „Wir haben dann ganz schnell Kontakt zu einem Kinderpflegedienst bekommen, eine Krankenschwester hat uns dann bei der Versorgung der Kleinen unterstützt. Außerdem hatten wir in dieser Zeit eine Haushaltshilfe, das hat das alles natürlich enorm erleichtert.“ Aber niemals, so erinnert sich Janine Rosner, habe sie auch nur eine Sekunde lang Angst gehabt, das Amt könne ihr die Kinder wegnehmen. „Ich war immer davon überzeugt, dass wir eine ganz normale Familie in einem ganz normalen Haushalt waren, die einfach nur in einer Ausnahmesituation Hilfe gebraucht hat.“
Wird das Jugendamt falsch eingeschätzt?
Doch das, was für die Rosners völlig normal war, ist für viele Familien undenkbar, weiß Andreas Birkle. Der Jugendhilfeplaner im Landkreis Sigmaringen würde sich wünschen, dass noch viel mehr Eltern das Jugendamt als Partner wahrnehmen würden. Doch auch weil die Zahl der Inobhutnahmen aufgrund eines heute deutlich aufmerksameren Umfelds in den vergangenen Jahren stetig steigt - allein 2011 haben die deutschen Jugendämter 38.500 Kinder und Jugendliche zu ihrem Schutz aus den Familien genommen - , hegen insbesondere überforderte Eltern ein großes Misstrauen gegenüber den Jugendschutzbehörden.
Das weiß auch Birkle nur zu gut: „Da gibt es immer noch Ängste, das Jugendamt würde die Kinder aus den Familien nehmen, wenn irgendetwas nicht so läuft wie es soll.“ Der schlechte Ruf der Behörde habe vermutlich historische Gründe, weil der Staat sich früher zu stark in die Erziehung eingemischt habe - und führe dazu, dass das Jugendamt auf Probleme in aller Regel erst aufmerksam gemacht werde, wenn es Meldungen von Kitas, Schulen oder Nachbarn gebe. „Dabei haben wir ein sehr großes Angebot an so genannten frühen Hilfen, die im Grunde verhindern können, dass die Situation erst dramatisch wird.“
Im Fokus steht die Elternbildung
Über verschiedene Elternbildungs-Programme versuche man, Mütter und Väter in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken. In Fällen wie dem von Janine Rosner vermittle man etwa über das Programm „wellcome – für das Abenteuer Familie“ Unterstützung für die Zeit nach der Geburt. Diese Programme gehören zum üblichen Repertoire der Jugendämter. Sie bieten zudem Beratung bei Problemen im Alltag - etwa Trotz oder Schlafstörungen - , schulen Eltern in speziellen Kursen, vermitteln Familienhebammen oder Gesundheitspaten und stellen den Kontakt zu Beratungsstellen der Erziehungsförderung oder Sozialpädiatrischen Zentren her.
Die Angst, das Jugendamt könne dann kontrollieren kommen, versuchten die Mitarbeiter den Familien zu nehmen. „Häufig findet der erste Kontakt über Erzieherinnen der Kitas vor Ort, im Rahmen eines Familienbesuchs nach der Geburt des Kindes statt, damit die Eltern nicht das Gefühl haben, von einer staatlichen Institution überprüft zu werden.“ Niemand müsse Angst haben, ihm werde das Kind weggenommen, weil es in der Wohnung vielleicht mal chaotisch aussieht. „Die Herausnahme von Kindern ist immer nur ultima ratio, das letzte Mittel, wenn gar nichts anderes mehr geht. Das ist auch überhaupt nicht unsere Intention - schon deswegen, weil eine Unterbringung außerhalb der Familie wirklich sehr teuer ist.“ Die nämlich schlage mit bis zu 50.000 Euro im Jahr zu Buche. „Dieses Geld wollen wir lieber in Hilfen investieren, die in den Familien wirken."