Was Eltern tun können

Glückliche Trennungskinder - gibt es sie wirklich?

Auf die Trennung ihrer Eltern reagieren Kinder oft mit Ängsten und Störungen, viele haben später im Leben Probleme, Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten, sagen Statistiken. Können Trennungskinder trotzdem auch ganz normal glücklich werden – und wenn ja, wie?

Autor: Kathrin Wittwer

Glückliches Kind: Möglich oder Augenwischerei?

Kind Trennung Eltern
Foto: © panthermedia.net/ goodluz

Für Maria* ist klar: Obwohl die Scheidung von ihrem Mann nicht ideal lief, sind ihre drei Töchter heute, sechs Jahre später, doch durchaus glücklich: „Keines meiner Mädchen möchte die Trennung rückgängig machen. Ich habe damals viel mit ihnen geredet, Fragen offen beantwortet, sie unterstützt, Kontakt zu ihrem Vater zu halten, obwohl er sie manipulieren und gegen mich aufbringen wollte. So haben sie den Schreck relativ schnell weggesteckt, auch weil sie merkten, dass es mir super ging. Zwar können sie noch nicht alles ganz locker sehen, aber sie fühlen sich jetzt wohler, es läuft ruhiger und wenn etwas stört, wird es sofort angesprochen.“

Kinder können sehr wohl auch dann glücklich werden, wenn ihre Eltern sich trennen: Für die einen ist dies eine verharmlosende Aussage, die überdecke, dass jedes Trennungskind leide, auch wenn das auf den ersten Blick nicht immer so scheint, und die damit leichtfertigen  Scheidungen eine billige Rechtfertigung verschaffe. Für die anderen ist es dagegen eine hoffnungsvolle Perspektive, die auch ermutigt, eine nötige Trennung nicht nur aufgrund von Schuldgefühlen und Sorgen um die Kinder aufzuschieben.

Was Glücklichsein (nicht) bedeutet

„Glücklich werden“ heißt nicht, dass ein Kind gänzlich unverändert und völlig unberührt von Kummer aus dem Trennungserleben herausgehen und von früh bis spät freudestrahlend durch die Welt hüpfen wird – wie das auch kein Kind selbst aus der harmonischsten Kernfamilie tun würde. Sondern es heißt, was Eltern allgemein meinen, wenn sie sich wünschen, dass ihr Kind glücklich wird: zufrieden sein, Liebe finden, vertrauen können.

Eine Trennung ist immer erst einmal schlimm

Angesichts der fundamentalen Veränderung, die eine Trennung der Eltern für die allermeisten Kinder bedeutet, ist dies mitnichten eine Selbstverständlichkeit. „Denn erst mal kommt das Kind in eine furchtbare Situation. Es verliert alles, den Halt, der Boden tut sich auf. Natürlich kommt es auch auf das Alter an, aber grundsätzlich ist das Kind am hilflosesten und verletzlichsten von allen Beteiligten“, beschreibt es die Wuppertaler Diplomsozialwissenschaftlerin und Heilpraktikerin für Psychotherapie Elke Fuhrmann-Wönkhaus, die sich auf die Arbeit mit Familien sowie auf Erziehungsberatung gerade in Trennungssituationen spezialisiert hat. Selbst unter vorteilhaften Umständen, wenn beispielsweise Spannungen schwinden und mehr Ruhe im Alltag einkehrt, ist erst einmal Angst da: vor der unbekannten Welt, vor fehlender Geborgenheit, einer neuen Wohnung, vor Geldmangel.

Dass Kinder da zunächst einige Auffälligkeiten zeigen, sei es im Verhalten, mit Schlafproblemen oder durch schlechtere Schulnoten, ist weder ungewöhnlich noch per se schlecht: „Man kann nicht wegreden, dass eine Trennung schmerzhaft ist, wenn man das leugnet, hört das nicht auf“, betont die Therapeutin. „Erst wenn der Schmerz richtig betrauert ist, kann es weitergehen. Und dafür ist es wichtig, mit diesen Gefühlen aktiv umzugehen, das muss alles raus.“

Während Erwachsene sich Gesprächspartner suchen, können Kinder sich nicht immer entsprechend artikulieren. „Sie drücken sich dann anders aus, werden vielleicht wütend oder bekommen Bauch- oder Kopfschmerzen. Manche gehen nach innen, fangen an zu träumen oder weinen sich bei einem Stofftier aus.“ Durchschnittlich vergehen zwei bis drei Jahre, bis Kinder, die solche Belastungen zeigen, sich wieder gefangen haben. Ist es nötig, zum Beispiel weil sich ein Kind völlig verschließt, steht ihm auch therapeutische Unterstützung zu. „Am effektivsten ist es aber aus meiner Sicht, erst mit den Eltern zu arbeiten“, sagt Elke Fuhrmann-Wönkhaus. „Wenn es bei ihnen ok ist, wenn sie auf der Elternebene versöhnt sind, überträgt sich das automatisch aufs Kind.“

Regel Nr. 1: Kinder müssen Mutter und Vater behalten können

Denn, so die Erfahrung der Expertin: Kinder sind nach Trennungen vor allem dann anhaltend traumatisiert, wenn Eltern ihre Paarkonflikte nicht von ihnen fernhalten. „Das allerwichtigste in so einer Situation ist, sauber zu trennen zwischen der Paarbeziehung, die aufgelöst wird, und der Elternebene, die ein Leben lang besteht. Es ist furchtbar für ein Kind, wenn die Eltern vor ihm schlecht übereinander reden und erwarten, dass es sich solidarisiert. Ein Kind muss die Sicherheit haben, auch wenn sich alles um mich verändert, darf ich Mama und Papa beide weiter lieben und behalten“, erklärt die Beraterin. „Denn das Kind ist immer Vater und Mutter, es trägt beide in sich, egal was passiert. Lehnt man den einen ab, fühlt sich damit auch ein Teil des Kindes abgelehnt. Man kann auch nicht ein Elternteil wegtrennen, denn dann ist das Kind nur noch halb.“ Die entstehende Leere wird oft mit Süchten gefüllt, mit Ängsten, Zwangs- oder Beziehungsstörungen. „Wenn die Kinder sich aber frei fühlen können, Mutter und Vater zu lieben, wenn sie ihre Gefühle zeigen und verarbeiten dürfen, können sie glückliche Scheidungskinder sein, die später glückliche Beziehungen eingehen können.“

Zeit des Zurücksteckens für die Eltern

Genau diese Basisregel haben David* und seine Frau – nach Beratung und mit Unterstützung eines Mediators – bei ihrer Scheidung strikt befolgt und die Kinder aus Streits konsequent herausgehalten. An die Eltern stellte das große Herausforderungen: „Das bedeutete eine Zeit des Zurücksteckens, des Zurückstellens der eigenen Gekränktheit und des Sichzusammenreißens, um gemeinsam eine Lösung für die Kinder zu finden“, erinnert sich David.  „Und immer wieder Toleranz zu üben, zum Beispiel wenn beim Partner ganz andere Regeln herrschen.“ Die Anstrengung hat sich gelohnt: Dank Fairness und Respekt, Offenheit, klaren Absprachen und unbedingter Verlässlichkeit sind seine Kinder glückliche Trennungskinder, sagt er. „Das mache ich daran fest, dass sie sich nur sehr sehr wenig verändert haben. Vor allem aber an dem Gefühl, sie vertrauen sowohl mir als auch meiner Ex-Frau. Sie vertrauen darauf, dass wir sie lieben, egal was geschehen ist, darauf, dass sie niemals fallengelassen werden.“

Das Contra: Auch weniger tiefe Spuren verblassen nicht ganz

Elizabeth Marquardt würde dies vermutlich mit Skepsis lesen. Die amerikanische Wissenschaftlerin und Autorin des Buches „Kind sein zwischen zwei Welten. Was im Inneren von Scheidungskindern vorgeht“ war zwei Jahre alt, als ihre Eltern sich trennten. Es blieb friedlich, sie fühlte sich stets von beiden geliebt. Heute ist sie erfolgreich, verheiratet, Mutter. Und will daraus trotzdem nicht geschlussfolgert wissen, dass mit ihr alles in Ordnung sei: Die Spuren der Trennung mögen nicht so deutlich sichtbar sein. Nichtsdestotrotz seien sie da und wirkten sich auf ihr gesamtes Leben aus. Befrage man Menschen wie sie über ihr Leben, schreibt sie, würde man feststellen, dass die Scheidung der Eltern das zentrale Element sowohl ihrer Kindheit wie auch ihrer heutigen Persönlichkeit sei. „Wir sind zu schnell erwachsen geworden. Wir wussten nicht, wo wir hingehören. Wir haben unsere Eltern oft schrecklich vermisst, wenn wir nicht bei ihnen waren.“

Macht es Kinder glücklicher, wenn man sich gar nicht erst trennt?

Ihre große Sorge, gefüttert aus eigener Erfahrung ebenso wie aus einer langjährigen Studie, ist, dass Kinder, die an der Trennung der Eltern nicht heillos zerbrechen, als bequeme Beweise dafür herhalten müssen, dass sie zum Glücklichsein doch gar nicht unbedingt beide Eltern brauchen. „Happy talk“ nennt Marquardt solche aus ihrer Sicht Schönrederei, die die Verluste der Kinder unzulässig herunterspielt. Stattdessen ist sie, nicht als einzige Expertin und stellvertretend für viele Betroffene, überzeugt, dass Kinder, die in einem gemeinsamen Haushalt mit solchen Eltern aufwachsen, die sich zwar nicht mehr furchtbar doll lieben, aber miteinander auskommen ohne permanent zu streiten, trotzdem glücklicher seien als Kinder aus „guten“ Scheidungen. Zudem habe sich gezeigt, dass sich vermeintliche Trennungsanlässe oft lösen ließen, wenn Paare in einer Krise nicht sofort auseinander rennen. Durchhalten lohne sich, legt Marquardt Eltern ans Herz, gerade zugunsten der Kinder, für die, so ihre Studien, nichts mehr zähle als „ein echtes Zuhause“.

Wie viel müssen Eltern aus Liebe zum Kind zurückstecken?

Sind Eltern also aufgrund ihrer Entscheidung, ein Kind bekommen zu haben, moralisch verpflichtet, zusammen zu bleiben, sofern ihre Ehe nicht unrettbar zerrüttet, von Spannungen oder gar Gewalt geprägt ist? Eine Garantie auf ein glückliches Kind gibt auch diese Strategie nicht. Ob ein Kind mehr davon profitiert, dass es Beständigkeit im Sinne von „es miteinander aushalten“ als Wert vermittelt bekommt oder davon, zu sehen, wie man positiv mit Trennungen, die nun mal zum Leben gehören, umgehen und an schmerzhaften Erfahrungen auch wachsen kann, kann jede Familie nur für sich selbst beantworten. 

Beziehungsarbeit statt Trennung – ja, Kinder vorschicken – nein

Ernsthafte Beziehungsarbeit allerdings hält auch Elke Fuhrmann-Wönkhaus für eine sehr wünschenswerte Alternative zu (vor)schnellen Trennungen. Ein halbherziges Zusammenleben aus einem falschen Grund hingegen nicht: „Manchmal werden die Kinder nur vorgeschickt, um Trennungen hinauszuschieben, weil die Erwachsenen die Konsequenzen nicht tragen wollen.“

Die wichtigsten Verhaltensempfehlungen im Trennungsfall

  • Paarkonflikte nicht an die Kinder herantragen. Keine heile Welt vorspielen, aber vor den Kindern nicht streiten oder den Ex-Partner schlecht machen.
  • Altersgerecht erklären, warum man sich trennt – aber nicht erwarten, dass ein Kind Verständnis dafür hat, dass Mama und Papa „nicht mehr miteinander können“.
  • Deutlich machen, dass das Kind nicht schuld ist an der Trennung: Neben Ängsten werden Kinder vor allem oft von Schuldgefühlen gequält.
  • Betonen, dass beide die Eltern bleiben, das Kind lieben und für es da sein werden (wenn dem so ist).
  • So schnell wie möglich klare Verhältnisse schaffen, den Alltag verlässlich strukturieren.
  • Bei Bedarf Hilfe holen, sei es ein Psychologe, ein Mediator oder das  Jugendamt.

* Namen geändert

Service

Zum Weiterlesen für Eltern

  • Gisela Hötker-Ponath: Trennung ohne Rosenkrieg. Ein psychologischer Wegweiser. Klett-Cotta. 2012. ISBN-13: 978-3608861105. 17,95 Euro.
  • Mathias Voelchert: Trennung in Liebe... damit Freundschaft bleibt. Kösel.
    2006. ISBN-13: 978-3466307180. 19,95 Euro.
  • Alexandra Ehmke, Katrin Rulffes: Und die Kinder? Psychologische und rechtliche Hilfen für Eltern bei Trennung und Scheidung. Reinhardt. 2012. ISBN-13: 978-3497022380. 19,90 Euro.
  • Remo H. Largo, Monika Czernin: Glückliche Scheidungskinder. Trennungen und wie Kinder damit fertig werden. Piper. 2004. ISBN-13: 978-3492241588. 9,99 Euro.
  • Elke Fuhrmann-Wöhnkhaus: Scheidungskinder. Was Kinder empfinden. Wie Eltern sich verhalten sollten. Humboldt. 2009. ISBN-13: 978-3869106014. (derzeit nur gebraucht erhältlich)
  • Elizabeth Marquardt: Kind sein zwischen zwei Welten. Was im Inneren von Scheidungskindern vorgeht. Junfermann. 2007. ISBN-13: 978-3873876736. 22,90 Euro.

Zum Weiterlesen mit Kindern

  • Harriet Grundmann, Marc-Alexander Schulze: Wir sind immer für dich da! Wenn Mama und Papa sich trennen. Coppenrath. 2010. ISBN-13: 978-3815795200. 11,95 Euro.
  • Jeanette Randerath, Imke Sönnichsen: Fips versteht die Welt nicht mehr. Wenn Eltern sich trennen. Thienemann Verlag. 2008. ISBN-13: 978-3522435420. 12,95 Euro.