Abhängige Kinder

Wenn das Internet zur Sucht wird

Computerspiele, Youtube-Video schauen, einfach surfen: Was eigentlich für alle Jugendliche eine beliebte Freizeitbeschäftigung ist, kann zur Internetsucht werden. Welche Folgen die Abhängigkeit hat, welche Symptome Eltern erkennen sollten und wie man die Sucht bekämpft.

Autor: Nina Braun

Was ist Internetsucht?

Mediensucht-Teaser
Foto: © Fotolia / Syda Productions

Kinder und Jugendliche, die den größten Teil ihrer Zeit mit dem Internet verbringen, zeigen in der Schule schlechtere Leistungen und werden gegenüber anderen Menschen unsicher, das beweisen Studien. Nach Schätzungen von Experten sind in Deutschland mehr als eine halbe Millionen Menschen abhängig von digitalen Medien.

Beratungsstellen kennen das Phänomen seit einigen Jahren. Jede Woche kommen allein in die Beratungsstelle der Caritas in Gummersbach bei Köln mehrere Jugendliche, weil sie exzessiv viel Zeit vor dem Computer verbringen. Mit 16 war für Andreas (Name geändert) klar, was er wollte: Die Macht seiner Figur, des „Avatars" im Onlinecomputerspiel „World-of Warcraft" vergrößern. Zehn bis zwölf Stunden täglich saß er dafür vor seinem Rechner und zeigte typische Symptome für Internetsucht: Zwischendurch ging er noch ab und zu in die Schule. Zu seinen Freunden hatte er keinen Kontakt mehr, auch mit seinen Eltern sprach er nur noch das Nötigste. „Computerspielsüchtig", nennt das Psychologe Ansgar Nowak, Leiter der Beratungsstelle der Caritas in Gummersbach.

Intensive Computernutzung führt in vielen Familien zu Problemen. Das hat zuletzt eine Studie der Krankenkasse DAK offengelegt. Demnach reagiert jedes fünfte Kind ruhelos und gereizt auf Online-Einschränkungen.

Für die repräsentative Untersuchung wurden 1.000 Mütter und Väter zum Internet- und Computergebrauch ihrer 12- bis 17-jährigen Kinder befragt. Laut der Hälfte der befragten Eltern bleibt das Kind länger online als vorgenommen. Etwa jedes zehnte Kind nutzt das Internet, um vor Problemen zu fliehen. Bei sieben Prozent der Kinder gefährdet die Onlinewelt eine wichtige Beziehung oder eine Bildungschance, wobei die Jungen doppelt so häufig betroffen sind. Nach Einschätzung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung Marlene Mortler ist die Gefährdung in der Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen am größten. Ihre Behörde schätzt, dass unter diesen Jugendlichen rund 2,4 Prozent abhängig sind. 13,6 Prozent stuft sie als problematische Internetnutzer ein.

Wie erkenne ich, dass ich ein Problem habe?

Aber wo verläuft die Grenze zwischen Normalität und Sucht? Für viele Eltern ist das nicht leicht zu erkennen. Einige Anhaltspunkte sind: Wer Computerspiele oder andere Medien zu exzessiv konsumiert, leidet häufig auch unter Depressionen, sozialen Ängsten oder ist gestört in seiner Aufmerksamkeit. Eine Sucht erkennt man daran, dass es in mindestens einem der folgenden Lebensbereiche zu negativen Folgen gekommen ist: Vernachlässigung von Körperpflege, Ernährung und Gesundheit, Soziale Probleme in Familie, Partnerschaft und Freizeit, Leistungsabfall in Schule, Ausbildung und Beruf.

Was passieren kann, wenn Kinder und Jugendliche mit dem Internet allein gelassen werden, zeigt etwa die Studie des Psychologen Thomas Mößle, stellvertretender Direktor am kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Nach einer seiner Untersuchungen unter Berliner Jugendlichen liegen Jungen, die am Tag über drei Stunden mit passivem Bildschirmkonsum verbringen, im Fach Deutsch um fast einen halben Notenpunkt unter dem Klassendurchschnitt. Darüber hinaus leiden die Betroffenen. So wie Andreas. Sein Erfolg in der Online-Welt hatte den gegenteiligen Effekt auf sein Privatleben: Neben den schulischen Problemen sei er immer unsicherer im Umgang mit anderen Menschen geworden, berichtet Psychologe Nowak.

Internetfähige Smartphones verstärken die Entwicklung, sagt der Psychologe. Viele tragen die Geräte so selbstverständlich bei sich, wie sie Unterwäsche tragen. „Wenn ich die Jugendlichen in den Beratungen bitte, ihr Smartphone auszustellen, schauen sie mich häufig ganz verdutzt an", berichtet Nowak. Mehr als 100 Onlinenachrichten am Tag zu schreiben, sei für viele ganz normal.

Was mache ich als Eltern? Wie kann ich vorbeugen?

Problematisch ist: Oft geben Eltern ihren Kindern keine Regeln zum Umgang mit Laptop oder Smartphone. „Das Internet sollten Eltern wie den Straßenverkehr behandeln. In den lassen wir unsere Kinder ja auch nicht einfach los, sobald sie laufen können", sagt der Mediziner Bert Theodor te Wildt. Der Forscher leitet die deutschlandweit erste Onlineambulanz für Internetabhängige an der Universität Bochum.

Wichtig ist, dass Eltern zuallererst selbst eine Haltung zur Benutzung des Internets entwickeln. Welche Gewohnheiten sind in Ordnung, welche nicht? Te Wildt rät dazu, seinen Kindern zu zeigen, dass digitale Medien mehr bieten als passiven Konsum. Etwa indem man mit Ihnen die Fotos vom letzten Ausflug zu einer digitalen Diaschau verarbeitet. Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hält die Vermittlung einer frühen Medienkompetenz für den entscheidenden Schlüssel, um gesundheitsschädliche Auswirkungen des Internetgebrauchs und der Computernutzung vorzubeugen.

Für Andreas ist seine Sucht heute kein Thema mehr. Nach einem halben Jahr Gesprächstherapie mit Psychologe Nowak hatte er wieder Interesse an realen Kontakten mit Gleichaltrigen. Heute, rund drei Jahre nach Beginn seiner Therapie, ist er bei „World-of Warcraft" ausgestiegen.

Weitere Informationen Einen Selbsttest zur Internetabhängigkeit bietet die Universität Bochum in einem Selbsttest an.