Lehrer kritisieren überbehütende Eltern
Dürfen eure Kinder allein zu Schule gehen, oder gehört ihr auch zu den Müttern und Vätern, die ihrem Nachwuchs den Ranzen bis zum Platz tragen? Als Eltern meinen wir es natürlich nur gut, aber Lehrer schlagen nun Alarm, dass überbehütende Eltern der Entwicklung der Kinder sogar schaden.
Stopp-Schilder für Eltern
„Ab hier kann ich allein gehen", immer mehr Grundschulen fordern Eltern per Hinweisschild dazu auf, ihre Kinder allein in die Schule gehen zu lassen. Die Lehrkräfte fühlen sich durch die Mütter und Väter, die ihre Kinder bis zu ihren Plätzen bringen und noch nach Unterrichtsbeginn vor dem Fenster winken, gestört und befürchten, dass auch die Selbstständigkeit der Kinder darunter leidet.
Mehrere Schulen haben daraus schon Konsequenzen gezogen. Es gibt Stopp-Schilder für Eltern und Bereiche, in denen sie sich vor den Klassenzimmern von ihren Kindern verabschieden sollen. Neben der Situation im Gebäude ist aber auch die Situation vor dem Schulhaus häufig ein Problem, denn immer mehr Eltern fahren offenbar ihre Kinder mit dem Auto zur Schule. Weil es dort in Stoßzeiten voll wird, parken Mütter und Väter in Einfahrten, auf Feuerwehrwegen und in zweiter Reihe. Dadurch komme es immer wieder zu gefährlichen Situationen vor den Schulgebäuden, vor denen die autofahrenden Eltern ihre Kinder ja eigentlich beschützen wollen, beklagen Verkehrsexperten.
Hausmeister bewacht den Parkplatz
Der Trend geht bundesweit zum Eltern-Taxi, wie die folgenden Beispiele belegen. Die Meinloh-Grundschule in Ulm war davon so genervt, dass sie im Herbst 2015 extra einen Bereich vor der Schule mit einem Poller für den Autoverkehr sperren ließ. Vorangegangene Appelle und Elternbriefe hatten an dem Verkehrschaos vor der Schultür nichts geändert. Dank Poller können die Kinder, die zu Fuß kommen, die Schule nun ungehindert erreichen. Die Wallschule im niedersächsischen Wildeshausen lässt den schuleigenen Parkplatz aktuell regelmäßig vom Hausmeister bewachen. Der schickt die Eltern, die dort parken wollen, wieder weg. Denn der Parkplatz ist für Lehrkräfte reserviert. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Berlin organisiert die Aktionswoche „zu Fuß zur Schule", um darauf aufmerksam zu machen, dass zu Fuß gehen, die Stimmung vor der Schule und für die Kinder entspannt. Das Kind bewegt sich, trifft Freunde und lernt, mit dem Straßenverkehr umzugehen.
Das bestätigt auch Dana Urban von der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e. V.. Der Übergang von der Kita zur Grundschule stellt für Kinder einen wichtigen Entwicklungsschritt dar, sagt sie. Bewältigen könne ein Schulkind den Weg in der Regel. Die meisten Grundschulen liegen in fußläufiger Entfernung. Natürlich ist es normal, Schulanfänger zunächst zu begleiten. Man solle ihnen aber vertrauen. „Kinder sollen wachsen, selbstständig werden und das gelingt am besten, indem ihnen die Eltern etwas zutrauen", sagt die Sozialpädagogin. Urban versichert: Es ist nicht hilfreich für die Entwicklung, wenn Eltern alle Schwierigkeiten aus dem Weg schaffen. Kinder wachsen eben auch an der Überwindung von Hindernissen.
Eltern sollten lernen loszulassen
Eltern leben heute oftmals mit einer sehr hohen Erwartung an sich selbst. Hinter dem Eltern-Taxi stecke etwa der Wunsch, alles richtig zu machen und für das Kind da zu sein. Wenn sich damit aber alle Aufmerksamkeit der Eltern auf das Kind konzentriert, besteht die Gefahr, das Kind zur Projektionsfläche für eigene unerfüllte Wünsche zu machen. So ist die einfache Diskussion um den Schulweg eigentlich auch eine Debatte um das Loslassen können der Eltern. Damit das leichter gelingt, hat Urban eine Empfehlung: „ Üben Sie den Schulweg mit den Kindern schon vor Schulstart." Die Sozialpädagogin rät zum folgenden schrittweisen Vorgehen:
- Man lernt den Weg kennen und macht die Kinder darauf aufmerksam, an welchen Straßen sie gut acht geben müssen.
- Man geht gemeinsam den Weg, aber läßt sich vom Kind führen – „verdrehte Welt" mit dem Kind ausmachen!
- Nur noch einen Teil der Strecke gemeinsam gehen.
- Das Kind allein gehen lassen und sich freuen, wenn es toll geklappt hat.
Aber auch für Eltern, die nicht ganz auf den Bringdienst verzichten wollen, gibt es Lösungsvorschläge. Die Mülheimer Grundschule Heinrichstraße macht das gerade vor. Dort gibt es seit dem Schuljahr 2015/2016 Eltern-Haltestellen, die 100 Meter vom Schultor entfernt liegen. So wird das tägliche Verkehrschaos vor der Schultür vermieden und gleichzeitig fangen die Kinder an, einen Teil des Wegs allein zu gehen.