9 Expertenantworten: Schule, Hausaufgaben und Lernen
Noten, Hausaufgaben, Lernstress: In vielen Familien ist das Thema Schule mit Problemen verbunden. Unsere Experte beantwortet Fragen von betroffenen Eltern.
Wie lernen Kinder, dass manches einfach getan werden muss?
Frage: Dass nicht alles immer nur Spaß machen kann, ist klar. Wie bringe ich es meinem Sohn (14) bei, dass es Dinge im Leben gibt, die erledigt werden müssen, auch wenn man sie nicht gerne tut? Fach Deutsch: Er meint, ein Aufsatz von 5 - 8 Zeilen sei ok und mehr wolle die Lehrerin gar nicht. (Und das bei einer 5 in Deutsch, Realschule). Ich kann immer nur schlecht argumentieren mit dem Hinweis auf seine Zukunft, aber das perlt alles an ihm ab.
M. Felten: Sie haben Recht: Es gibt Dinge im Leben, die müssen erledigt werden, auch wenn man sie nicht gerne tut - und das sollten Heranwachsende mit der Zeit erfahren. Das Wichtigste auf Seiten der Eltern dabei ist vermutlich die innere Einstellung: dass Sie nicht lange darüber diskutieren, dass Sie es nicht wortreich zu begründen versuchen oder auf die Zustimmung des Jugendlichen warten, sondern dass Sie es wie selbstverständlich erwarten, vielleicht mal beiläufig erwähnen, Sie hätten auch nicht zu allem Lust, was Ihr Kind von ihnen erwartet, dass Sie gelegentlich fallen lassen, Schule sei halt sein Beruf, das sei normal, dass man nicht zu allem Lust habe. Hat Ihr Sohn dann erstmal begonnen, sich mehr zu bemühen, wird der Erfolg ihn vermutlich beflügeln. Übrigens ist es fraglich, ob es wirklich stimmt, dass die Lehrerin so wenig erwartet. Und selbst wenn es deren Mindesterwartung wäre - bei mangelhaften Deutschkenntnissen muss Ihr Sohn einfach dreimal so viel tun - er würde sich doch auch nicht mit halbem Familieneinkommen zufrieden geben, nur weil man damit so gerade nicht verhungert ...
Sind Jungen schlampiger als Mädchen?
Frage: Sind Jungen eigentlich grundsätzlich schlampiger als Mädchen? Was kann ich tun, damit meine Jungs (11 und 7) es lernen, auf ihre Sachen zu achten, halbwegs ordentlich zu schreiben und ihre Hefte einigermaßen ansehnlich zu halten? Vielen Dank!
M. Felten: Verallgemeinerungen sind hier nicht sonderlich hilfreich, es gibt sehr ordentliche Jungen wie auch schlampige Mädchen. Aber jedes Kind kann ein Mindestmaß an Selbständigkeit und Übersichtlichkeit lernen: etwa wenn sein Lehrer das von ihm verlangt, oder wenn seine Eltern in dieser Hinsicht ein gutes Vorbild abgeben - ohne es aber gleichzeitig dauernd zu mahnen und dadurch Abwehr zu erzeugen. Vielleicht sollte der Vater (oder eine andere männliche Identifikationsfigur) dabei auch ein Wörtchen mitreden. Und vielleicht gibt es ja auch bereits lobenswerte Ansatzpunkte? Andererseits brauchen Eltern nicht so zu tun, als könnten sie unleserlich Geschriebenes durchaus verstehen ...
Sollen Lehrer auch Animateure sein?
Frage: Ich bin selber GHS-Lehrerin und sehe mich mit Kindern konfrontiert, die zunehmend nur das Lernen, was ihnen Spaß macht. Oft bin ich für viele nur noch ein Animateur, der sein Bestes geben muss, damit er nicht wie mit einer Fernsehfernbedienung weggezappt wird (so ist das ja heute leider bei vielen Kiddis: wenn was keinen Spaß mehr macht, einfach wegzappen). Muss das denn wirklich so sein, dass ich als Animateurin in der Schule angestellt bin? Ich denke nämlich, dass es schon richtig ist, dass das, was mir Spaß macht, auch viel leichter zu lernen geht - logisch! Das merken wir ja auch bei uns! Die andere Seite ist aber die, dass wir nicht nur in einer Spaßgesellschaft leben und wir meiner Meinung nach in mancher Hinsicht zu wenig von den Kindern verlangen! Was ist später mal im Job? Wenn es mir da keinen Spaß macht, dann bin ich eben arbeitslos? Das ist doch keine Alternative! Es gibt im Leben so viele Situationen, die wir meistern müssen, ob es uns nun Spaß macht oder nicht. Und wenn man in der Schule Spaß und "Durchbeißen" sinnvoll anwendet, dann denke ich, dass wir auf dem rechten Weg sind!
M. Felten: Ich stimme Ihnen zu, Ihrem Standpunkt wie Ihren Beobachtungen. Wenn Erzieher meinen, sie müssten sich als Animateure geben, stellt das Kinder nur vorübergehend zufrieden - und macht sie ansonsten süchtig: ihre Erwartungen steigen ins Unerfüllbare, ihre tatsächlichen Fähigkeiten und ihre Belastbarkeit aber stagnieren, ja werden womöglich schwächer. Die "neuen Kinder" erwarten eigentlich etwas anderes von uns Erwachsenen:- dass wir deutlich zum Ausdruck bringen, was wir für richtig und notwendig halten- dass wir ersten Missmut ihrerseits riskieren und aushalten, ohne uns von ihnen gekränkt abzuwenden- dass wir sie bei Schwierigkeiten sensibel ermutigen. Dann werden sie wachsen können - und wir unsere Genugtuung erleben.
Mein Kind hat die Lust am Lernen verloren. Was kann ich tun?
Frage: Mein Sohn (11) war ein enorm wissbegieriges Klein- und Kindergartenkind, das sich aus freien Stücken und sehr lustvoll Lesen und Schreiben beibrachte (mit 4 Jahren) und gerne Lexika rauf und runter las. In der Schule ließ die Lust am Wissen der Welt aber rapide nach, er langweilte sich arg. Nachdem er eine Klasse übersprungen hatte, war der Stoff nicht mehr so unterfordernd wie zuvor, aber seine Lust am Lernen ist nie wieder zurückgekommen. Nun, in der weiterführenden Schule, kommt er zwar gut mit, aber lebhaftes Interesse, Spaß am Lernen habe ich kaum mehr bei ihm gesehen. Er findet alles öde (und wenn ich mir die Lernmaterialien ansehe, kann ich das auch oft nachvollziehen). Meine Frage: Wie kann ich meinem Sohn helfen, wieder Interessen zu entwickeln und wieder mehr Spaß und Freude am Lernen in ihm wecken? (hochbegabt ist er übrigens nicht.)
M. Felten: Ich müsste Ihre Situation genauer kennen. Lernen öde zu finden, ist ja in einem Teil der Jugendkultur auch trendy. Andererseits kann Lernen auch gar nicht immer Spass machen, es ist mal anstrengend, oder eintönig, oder das Thema gefällt einem nicht so oder man muss auf andere Schüler warten. Vielleicht könnte Ihr Sohn Gefallen an einer speziellen AG in der Schule finden (die müsste man evtl. erst noch ins Leben rufen!?), oder Sie können ihn hin und wieder auf Lern-Olympiaden bzw. -Wettbewerbe hinweisen, oder aber er entdeckt, wie befriedigend es sein kann, anderen Gleichaltrigen in schulischen Dingen zu helfen. Manchmal hat es aber auch gar nichts mit dem Lernen selbst zu tun, wenn die Lust am Lernen zurückgeht - etwa wenn man einen wichtigen nahestehenden Menschen verliert, oder wenn sich die Familienkonstellation verändert, durch die Geburt eines neuen Geschwisters oder das Hinzutreten eines neuen Partners der Mutter bzw. des Vaters ...
Sollen wir als Eltern die Vokabeln abfragen?
Frage: Meine Tochter (11) kommt nun ins 5. Schuljahr, Gymnasium. Ab jetzt wird sie richtig Englisch lernen. Soll ich sie nun beim Vokabellernen unterstützen, indem ich sie abfrage, oder sollte ihr das selbst überlassen bleiben?
M. Felten: Zunächst würde ich die Gepflogenheiten der Schule in dieser Hinsicht erkunden. Grundsätzlich ist es schön, wenn das häusliche Lernen die Sache des Kindes ist und bleibt. Warum sollte man den unnötigen Eindruck von Nichtzutrauen oder Kontrolle erwecken? Es spricht aber nichts dagegen - sondern alles dafür -, dass Sie sich für die ständigen Neuigkeiten in Englisch interessieren ("Lass uns doch mal ein bisschen Englisch miteinander reden!") oder sich über Vokabellerntechniken gestern und heute miteinander austauschen ...
Soll ich mein Kind zum Üben zwingen?
Was tun, wenn kaum Hausaufgaben aufgegeben werden?
Frage: Wie kann ich meinem Kind die Wichtigkeit des häuslichen Übens vermitteln, wenn der Lehrer kaum die Notwendigkeit sieht, Hausaufgaben aufzugeben? Mit dieser Thematik beschäftige ich mich als Elternsprecherin schon seit zwei Jahren. Ich hoffe Herr Felten hat einen Tipp für mich.
M. Felten: Wenn ich wüsste, wie alt Ihr Kind ist, fiele mir die Antwort leichter. Sollte die Schule wirklich wenig Wert auf Hausaufgaben legen, erscheint mir das aber in jedem Alter unklug - sie verzichtet nämlich auf wichtige Trainingseffekte und Selbstkontrolle (nur alleine merkt man wirklich, was man wie gut verstanden hat). In diesem Fall würde ich mich mit anderen Eltern zusammentun und den Lehrer an seine Pflichten erinnern (es gibt dazu Richtlinien der Kultusministerien bzgl. Bedeutsamkeit und Umfang von Hausaufgaben); bis zu einer Änderung seitens der Schule würde ich außerdem - bei kleineren Kindern auf lebenspraktische Anwendungen sinnen (Einkaufszettel oder Gedichthefte schreiben, Kopfrechnen während Autofahrten, Kassenzettel im Supermarkt prüfen etc.)- in der zweiten Hälfte der Grundschule mit dem Kind zusätzliche Aufgaben suchen, damit es vielleicht den Übertritt auf die Realschule oder das Gymnasium schaffen kann
Soll ich meine Kinder zum Üben zwingen?
Frage: Meine Kinder(8 und 10) spielen beide ein Musikinstrument (seit ca. zwei Jahren). Sie sind recht begabt und haben immer wieder phasenweise richtig Spaß daran. Sie haben aber nie Lust zu üben, ich muss sie immer dazu anhalten. Nun ist ein Musikinstrument ja eher ein Hobby und nicht so ernst und wichtig wie die Schulfächer. Wenn man nicht übt, wird's aber auch nichts. Soll ich sie "zwingen" zu üben, also es so zur täglichen Pflicht machen, wie sonstige Hausaufgaben oder die Zügel locker lassen? Was kann ich tun, damit sie vielleicht auch mal von sich aus auf die Idee kommen zu üben?
M. Felten: Nehmen Sie die Musik ruhig sehr wichtig, es gibt Weniges, was sowohl der Seele wie auch der Feinmotorik so gut tut - und zudem die geistige Entwicklung fördert. Aber: Es ist Sache des Flötenlehrers etc., zu regelmäßigem Üben anzuhalten; er muss das erwarten und einfordern; er muss klarmachen, dass man übt, auch wenn man mal keine Lust hat. Was Sie tun können: Falls Sie selbst ein Instrument spielen, wäre es sicher günstig, wenn Sie auch ab und zu übten - oder zumindest von ihrem früheren Üben erzählen. Und Sie könnten miteinander ins Konzert gehen, allerdings ohne dauernd vom Üben zu reden, sondern um Ihr Kind das Schöne der Musik erleben zu lassen, in Verbindung mit der Wärme und Begeisterung seiner Eltern.
Warum sind bayerische Kinder weiter als NRW-Schüler?
Frage: Warum sind die Erstklässler in Bayern weiter als die Erstklässler in NRW? Meine Freundin ist von NRW nach Bayern gezogen. Die Kleine (6) war hier in NRW eine der Klassenbesten. In Bayern waren die im Zahlenraum schon bis 25, in NRW hingegen nur bis 20 und in Bayern wurde schon in Schreibschrift dort geschrieben!
M. Felten: Dieses Phänomen hat viele Ursachen, ich kann hier nur auf einige eingehen. In Bayern haben die Schulen eben nie aufgehört, von Kindern zu erwarten, dass sie sich beim Lernen anstrengen, und sie haben sich nie gescheut, mangelhafte Leistungen auch "5" zu nennen. Möglicherweise waren auch viele Eltern in Bayern lange Zeit weniger verwöhnend im Umgang mit ihren Kindern als nördlich des Mains, sie trauten sich eher, zu ihrem Kind auch mal Nein zu sagen, und sie überließen es nicht so früh sich selbst. In Nordrhein-Westfalen dagegen gab es seit den Siebziger Jahren einen Trend, die Kindergärten von jeder Schulvorbereitung zu befreien, das Lernen in der Grundschule möglichst spielerisch zu gestalten, Leistungsmaßstäbe aufzuweichen und die Bedeutung der Lehrerautorität zu mindern. Erst seit wenigen Jahren ist hier eine Trendumkehr zu verzeichnen.
Wie soll ich mit Rechtschreibfehlern umgehen?
Frage: Mein Sohn (gerade neun Jahre alt geworden), hat eine lebhafte Fantasie und schreibt gerne und viel. Dabei macht er aber höllisch viele Schreibfehler. Ich frage mich, ob es Sinn macht, um ihm den Spaß nicht zu verderben, über die Schreibfehler hinwegzusehen (was mir nicht leicht fällt), oder ob ich ihn korrigieren soll (zum Beispiel wenn er Geburtstagseinladungen schreibt).
M. Felten: In diesem Alter ist es einerseits normal, wenn Kinder orthografische Fehler machen, andererseits sind sie schon alt genug, um korrigierende Hinweise zu verarbeiten, ohne dass sie das entmutigen müsste. Erkunden Sie auf jeden Fall auch die Haltung der Schule dazu. Bei allen Texten mit Wirkung auf Dritte (wie z.B. Einladungen) wird Ihr Kind aber sicher froh sein, wenn Sie es beiläufig an eine Regel erinnern, die es schon kennt, oder wenn sie einmal gemeinsam im Lexikon nachschlagen. Und auch ansonsten muss man Fehler keineswegs loben - aber auch nicht unbedingt jeden korrigieren, vielleicht eher "heute mal dies, morgen mal jenes". Kinder sollten weder in Fehlern ertrinken noch sie meiden wie die Pest - in beiden Fällen wär's schlecht für die Lust am Lernen, also auch für das noch viel wichtigere Glück des Könnens.