Mit Yoga durch die Wehen
Rund 2500 Jahre alt ist der indische Weg des Yoga, der zu Harmonie von Körper, Seele und Geist verhelfen soll. Auch ein Mittel, um mit den Wehen klar zu kommen?
Auf indischen Pfaden unterwegs zur Harmonie
Rund 2500 Jahre ist er alt, der indische Weg des Yoga, der die Übenden zur Harmonie von Körper, Seele und Geist geleiten soll. Eigentlich ist es jedoch ein Weg mit verschiedenen Abzweigungen, es gibt nämlich unterschiedliche Yoga-Schulen. Hatha Yoga entwickelt den physischen Körper, Kundalini Yoga den Energiekörper, Bhakti Yoga den Gefühlskörper, Raja Yoga die Psyche, Jnana Yoga Intellekt und Intuition, Karma Yoga hilft, alles ins tägliche Leben zu integrieren. Die meisten Yoga-Lehrer empfehlen aber den ganzheitlichen Yoga, eine Kombination dieser verschiedenen Richtungen. Und was seit Jahrtausenden ganz allgemein die Lebensenergie zum Fließen bringt, ist natürlich auch in der Schwangerschaft und bei der Geburt hilfreich. Viele Geburtshäuser und Yoga-Schulen bieten daher Kurse für Schwangere an. Anja H. (31) hat ausprobiert, ob’s funktioniert. Ein Erfahrungsbericht.
Tief durchatmen. Dann schaukelt man das Baby schon. Meines soll vorerst nicht schaukeln, sondern wachsen und aus dem Bauch raus. Und das so schmerzlos wie möglich. Meine Schwester hat das schon hinter sich und schwört auf Yoga für Schwangere - die beste Vorbereitung auf die Geburt. Denn wer die Atmung im Griff hat, kommt mit der Geburt schon irgendwie zurecht. Klingt, als könnte man sich zumindest ein wenig ablenken von diesen "unglaublichen" Schmerzen, die mir leider noch keine der mir bekannten Mütter erfolgreich schöngeredet hat. Also melde ich mich sofort an.
Wohliges Schütteln bringt Energie zum Fließen
Meine Vorstellungen von Yoga sind eher vage. Hat wohl was zu tun mit Meditation, aber auch körperliche Verrenkungen kommen mir in den Sinn. Schwer vereinbar mit den dicken Bäuchen, die sich beim ersten Treffen auf den mitgebrachten Decken versammeln. Ich kann nicht mithalten, bin noch unter den ernst zu nehmenden Umfangmaßen. Unglaublich, dass mein Bauch auch mal so prall aussehen soll. Wir teilen uns Vornamen und Tragzeit mit, dann geht’s los. Erstmal aufstehen und alles schütteln, was so an uns dran ist. Am besten, nicht hingucken, wie das bei den anderen wackelt und schlackert. "Unterkiefer mal loslassen!", rät unsere Yoga-Lehrerin, und ich merke, der hängt sonst an mir dran wie festgeschraubt. Das Schütteln hört gar nicht mehr auf, dazu hat Hedda rhythmische Musik aufgelegt, und irgendwann ist es einem ganz egal, wie lustig das aussieht. Überall kribbelt’s. Das ist gewollt, denn jetzt, erklärt uns Hedda, fließt die Energie.
Dehnen so weit der Bauch es zulässt
Wir können unseren ersten Stretching, eine Übung aus der Reihe der sog. Makko Ho’s machen, die die Lebensenergie entlang der Meridiane im Körper zum Fließen bringen sollen und bestimmten Elementen zugeordnet sind (hier dem Metall). Ganz sanft, der Bäuche wegen. Breitbeinig hinstellen, Arme runterhängen lassen und nach hinten strecken, Daumen verhaken und hinterm Kopf nach oben ziehen, dabei vorbeugen. Natürlich nur, so weit es der Bauch zulässt. Und endlich erfahre ich, warum sich beim Yoga alles um Atmung dreht. Jede Bewegung ist mit einem Atemzug verschränkt, und immer soll die Luft möglichst tief in den Bauchraum hineinströmen, und wie beim Ausatmen sind Geräusche erwünscht. Als alle ihre ersten Hemmungen abgelegt haben, sind wir ein Verein von Dampfmaschinen. Aber es scheint wirklich so, dass ich leichter mit der Atmung in Verbindung bleibe, wenn ich sie auch höre. Meine Arme beginnen ein wenig zu schmerzen. "Hinatmen" soll ich. In die Arme? Ich versuch’s, und plötzlich geschieht das, was ich mir vom Yoga erhofft hatte: Der Schmerz wird weniger, er löst sich irgendwo zwischen meinen Atemzügen auf, und statt Panik zu bekommen, kann ich in der Stellung verharren und es sogar genießen. Wir richten uns auf, machen die Gegenbewegung, strecken die Arme zur Seite, die Handflächen nach oben, Kopf nach hinten, und "lassen Regen reintropfen". Es ist ein wunderbares Gefühl.
Farben in den Körper denken – es geht tatsächlich!
Wir haben uns die Entspannung verdient. Alle liegen auf den Decken, Heddas Stimme klingt sanft und weich. Nur atmen, nachspüren, was der Stretch mit unserem Körper angestellt hat. Irgendwie fühlt sich alles gelöst an. Fast durchströmt mich ein Gefühl von Dankbarkeit. Ich schicke es weiter in den Bauch hinein. Der hebt und senkt sich, und unter Heddas Anweisungen stelle ich mir Farben darin vor, vermischt mit hellem Licht. Ganz warm wird es da drin. Irgendwann tauchen wir wieder auf, recken und strecken uns. Ich nehme viele Bilder mit nach Hause und den Spaß. Denn ich hatte Glück. Unsere Yoga-Lehrerin ist weit davon entfernt, esoterischen Ernst zu verbreiten. Sie lässt uns einfach teilhaben an ihrem guten Gefühl. Und nach jeder Stunde fühle ich mich, als hätte ich ein wohligwarmes, duftendes Bad genommen, das nicht nur den Körper reinigt, sondern auch meinen Kopf klarmacht.
Der Tag der Geburt: Ich öffne mich wie eine Blume
Später, bei der Geburt, atme ich mich durch die Schmerzen bis zu den erlösenden Wehenpausen. Vor allem zwei Vorstellungen helfen mir: Die Wehen sind Wellen, von denen ich getragen werde. Und: ich öffne mich dabei wie eine Blume. Auch ich kann nachher trotz aller glücklichmachenden körpereigenen Stoffe nichts schönreden. Aber es war auszuhalten!