Wieder schwanger: Das Geschwisterkind gut vorbereiten
Wird eine Mutter wieder schwanger, ist das für die Eltern meist eine große Freude, für das ältere Kind jedoch eine Herausforderung. Wie Sie das Geschwisterkind gut auf das Baby vorbereiten können, lesen Sie in diesem Artikel.
Schwanger: Kinder gut vorbereiten
Für Eltern ist es meist eine große Freude, wenn sich ein zweites Kind ankündigt. Für das erste Kind bedeutet die Ankunft eines neuen Babys aber einen tiefen Einschnitt in seinem bisherigen Leben, der auch Ängste auslöst. Das Erstgeborene kann kaum einschätzen, was da auf es zukommt und was sich nun alles ändern wird. Es zeigt seine Verunsicherung nicht selten schon während der Schwangerschaft mit „schwierigem“ Verhalten. Noch bevor das Geschwisterchen geboren wird, können Eltern aber dem oder der „Großen“ helfen, vertrauensvoll auf das Neue zu blicken, was da auf die ganze Familie zukommt. Natürlich gilt das auch für die Ankunft des dritten oder weiterer Kinder. urbia zeigt mit Hilfe einer Familientherapeutin, wie die Vorbereitung gelingt.
Mein Kind - ich bin schwanger!
Wenn Eltern es dem Kind erst spät sagen, dass ein Baby unterwegs ist, kann dies das Kind verunsichern. Denn auch, was nicht ausgesprochen wird, ist ja bereits da – und dies können Kinder mit ihren feinen Antennen erspüren. Sie merken manchmal, dass sprichwörtlich etwas „in der Luft liegt“ und sind irritiert, weil sie nicht wissen, was es ist. Das kann sich auch in ihrem Verhalten niederschlagen: Sie werden vielleicht quengeliger oder widerspenstiger. Es gilt also: „Eltern sollten es dem Kind möglichst früh sagen, sofern es bereits alt genug ist und einen Zeitbegriff hat. Am besten, sobald die Schwangerschaft stabil ist, also ersten heiklen Wochen vorüber sind“, rät die Wuppertaler Familientherapeutin Ulrike Elbers. Es früh zu sagen, sei auch vor allem deshalb wichtig, damit das Kind genug Zeit habe, sich emotional auf das Geschwisterchen vorzubereiten. Und auch die Eltern hätten so ausreichend Gelegenheit, das Kind auf das neue Baby einzustimmen. „Bei einem kleineren Kind aber, das noch keine Vorstellung von der Zukunft hat, sollten die Eltern warten, bis der Bauch zu sehen ist. Dann kann sich das Kind das Baby besser vorstellen“.
Wie sage ich es dem "Großen"?
Ein Kind erinnert sich oft lebenslang an die aufregende Minute, als es das erste Mal von dem neuen Baby erfahren hat. Nicht nur deshalb lohnt die kleine Mühe, einen Moment dafür abzuwarten, der einen besonders schönen Rahmen für die Nachricht bildet. Gut geeignet ist eine gemütliche Kuschelrunde der ganzen Familie auf dem Sofa oder am Sonntagmorgen im Elternbett. Auch ein Picknick auf einer Sommerwiese oder ein fauler Strandtag im Urlaub eignen sich. Wichtig ist lediglich, dass alle Zeit haben, fröhlich sind, es keine Ablenkung und keine anderen wichtigen Themen gibt, die geklärt werden müssen und so die Neuigkeit überdecken könnten.
Großen wie kleineren Kindern kann man dann zunächst schlicht sagen, dass es bald ein Geschwisterchen bekommen wird. „Jetzt kann – angepasst ans Alter des Kindes - ruhig schon ein wenig über das Baby erzählt werden. Eltern können also zum Beispiel sagen‚’Wenn das neue Baby da ist, sind wir einer mehr’. Sie können auch sagen, dass (und wie) sich der Alltag bald verändern wird“, so die Diplom-Psychologin. „Bei kleineren Kindern reichen zunächst vielleicht zwei, drei einfache Sätze.“ Bei größeren Kindern können Eltern schon etwas konkreter beschreiben, wie das Leben mit dem Baby sein wird, was es anfangs braucht, was es kann oder nicht kann, wie es den Tag verbringt, ab wann man vielleicht schon etwas mit ihm spielen kann. Zu weitschweifig brauchen Eltern jedoch auch bei größeren Kindern noch nicht zu werden: „Es wird geschaut, wie das Kind reagiert. Ob die Erklärungen also fürs Erste ausreichen, oder ob das Kind mehr wissen möchte“, so Elbers. Eine Regel sollten Eltern bei der Verkündung der großen Neuigkeit jedoch unbedingt beachten, nämlich „die Gefühle des Kindes nicht steuern zu wollen“, warnt Elbers. Eltern sollten also das Kind nicht zu freudigen Reaktionen nötigen, indem sie sagen: „Da freust du dich aber, dass du jetzt ein Geschwisterchen bekommst, nicht wahr?!“ oder „Ist das nicht toll, dass wir jetzt bald zu viert sind?“ Auch Großeltern und andere Verwandte können diese Regel beherzigen. Das Kind braucht Raum für seine eigenen Gefühle, und diese müssen gelten dürfen, so wie sie sind, ohne korrigiert oder weggeredet zu werden - auch, wenn ein Kind vielleicht zunächst scheinbar desinteressiert oder auch ablehnend reagiert.
Was bedeutet ein Neuankömmling für das ältere Kind?
Bisher besaß das ältere Kind ganz allein die Aufmerksamkeit der Eltern und musste auch ihre Zuwendung, Liebe und Zärtlichkeit mit niemandem teilen. Nun ahnt das Kind, dass sich hier bald etwas ändern könnte, und das kann die Grundfesten seines Lebens arg erschüttern. Kleinere Kinder spüren die sich ankündigenden Veränderungen dabei mehr, als dass sie schon darüber nachdenken könnten. Ältere Kinder machen sich vielleicht auch schon Gedanken darüber, dass es da bald noch ein Kind geben wird, das Mama und Papa lieb haben. Ob das Kind aber noch sehr klein oder schon älter ist: „In jeden Fall bedeutet es zunächst einmal eine Verunsicherung, wenn ein Geschwisterchen kommt“, betont Familientherapeutin Ulrike Elbers.
Wie kann die Familie sich gemeinsam auf das neue Baby einstellen?
Das ältere Kind braucht deshalb Zeit und Gelegenheit, dem neuen Baby in seinen Gedanken und seiner kleinen Welt einen Platz einzuräumen. Am besten gelingt das, wenn das Baby schon vor seiner Geburt als Teil der Familie betrachtet und in Gespräche mit dem großen Kind einbezogen wird. „Sehr schön finde ich es zum Beispiel, wenn Eltern noch einmal auf die Babyzeit des älteren Kindes zurückkommen. Gemeinsam können im Foto-Album Bilder angeschaut werden, auf denen das Kind selbst noch ein Baby war“, rät Diplom-Psychologin Elbers. „Meist gibt es ja auch noch ‚Bauch-Bilder’ von der Mutter, als sie schwanger war. Dann kann dem Kind erklärt werden, dass nun wieder ein Baby im Bauch der Mutter ist. Auch dazu können gemeinsam Bilder- oder Vorlesebücher angeschaut werden.“
Hilfreich ist es auch, das Kind viel in die ganz praktischen Vorbereitungen zur Ankunft des Babys einzubeziehen. „Die Eltern können etwa gemeinsam mit dem Kind überlegen, wo das Babybett aufgestellt werden soll, welche Bettwäsche dem Baby gefallen oder was schon alles auf der Wickelunterlage bereit gelegt werden könnte. An einem Teddy oder einer Puppe kann auch das Wickeln spielerisch geübt werden. Ist das Baby dann da, kann das ältere Kind vielleicht seine Puppe ‚wickeln’, während Mama das Baby wickelt“ schlägt Elbers vor. In manchen Geburtshäusern, Kliniken und Familienbildungsstätten werden ein- oder zweitägige Kurse für angehende Geschwisterkinder angeboten. Dabei wird an Puppen die Babypflege geübt, über Gefühle gesprochen und erklärt, was so ein Baby alles schon kann oder noch nicht kann, und wie der Alltag mit Baby ungefähr aussehen wird. Das Kind in die Vorbereitungen zu integrieren, hilft auch, die unvermeidliche Geschwister-Eifersucht nach der Geburt des Babys zu lindern.
Sollte man die Ankunft des Babys nutzen, um das ältere Kind aufzuklären?
Dass die Mama ein Baby im Bauch hat, bedeutet nicht automatisch, dass sich Geschwisterkinder auch schon dafür interessieren, wie es dort hinein gekommen ist. „Ob Eltern das Kind nun aufklären, hängt – neben dem Alter des Kindes – auch davon ab, wie die Familie generell mit dem Bereich Sexualität und Aufklärung umgeht“, erklärt Familientherapeutin Elbers. „Da können die Eltern ruhig auf ihr Gefühl hören, denn jede Familie ist hier anders. Die Schwangerschaft muss nicht automatisch der Anlass sein, das Kind aufzuklären. Es gibt auch kein ‚richtiges’ Alter, ab dem ein Kind aufgeklärt werden sollte, das ist ganz individuell.“ Erst einmal könnten zusammen Bücher angeschaut werden, die zeigen, wie das Baby im Bauch der Mama wächst. Wie viel die Eltern dann dazu erklärten, könnten sie selbst entscheiden und hänge außerdem vom Verstehen und den Fragen des Kindes ab.
Wie reagieren, wenn das ältere Kind „schwierig“ wird?
Manche Kinder reagieren aber trotz aller Vorbereitungen immer noch verunsichert. Weil sie vielleicht spüren, dass die Mutter sich innerlich oft mit dem Baby in ihrem Bauch beschäftigt, in Gedanken oft abwesend ist oder im Alltag gereizt und ungeduldig ist, weil ihr die Schwangerschaft und die Arbeit körperlich zu schaffen machen. Diese Verunsicherung zeigen Kinder oft in besonders „anstrengendem“ Verhalten. Sie hängen vielleicht mehr am Rockzipfel als sonst, oder geben sich besonders „bockig“. „Es ist natürlich manchmal schwer, wenn die Mutter schwanger ist, und das ältere Kind nun auch noch besonders quengelig und anhänglich wird. Trotzdem sollte sie dieses Verhalten als Ausdruck von Sorge und Verunsicherung annehmen und nicht wegzureden oder wegzu’machen’ versuchen. Die Mutter sollte auf das Kind eingehen und es trösten“, betont Familientherapeutin Elbers. Auch wenn das Kind während der Schwangerschaft (oder auch nach der Geburt des Babys) wieder in babyhafte Verhaltensweisen zurückfalle, solle sie es nicht ermahnen („Du bist doch schon so groß!“). Denn wenn seine Gefühle angenommen und seine Bedürfnisse nach besonders viel Zuwendung erfüllt würden, finde das Kind irgendwann von selbst wieder zurück zu altersgemäßem Verhalten.
Sollte ein Kind bei der Geburt des Geschwisterchens dabei sein dürfen?
Manche Frauen möchten ihr Kind – ob zu Hause, im Geburtshaus oder in der Klinik - gern im Kreis der Familie bekommen und schließen hierbei auch das ältere Kind mit ein. Sie finden, dass eine Geburt etwas Natürliches ist, das auch ein Geschwisterkind bereichern könne. Familientherapeutin Ulrike Elbers ist jedoch nicht dafür, ein Kind bei der Geburt zusehen zu lassen. „Ich würde es einer Mutter zwar nicht auszureden versuchen, wenn sie das wirklich will. Denn letztlich muss jede Frau das für sich wissen und verantworten. Es sprechen aber meiner Meinung nach zu viele Gründe dagegen“. Diese Nachteile lägen teils auf Seiten der Mutter, teils auf Seiten des Kindes. „Die Mutter würde sich unter der Geburt wahrscheinlich für das Kind zuständig fühlen und nicht wagen, sich richtig fallen zu lassen und den Schmerz zu leben.“ Auch die Dauer einer Geburt sei ja schon eine große Anstrengung an sich. „Da muss eine Frau sich sehr mit sich selbst beschäftigen und auf sich konzentrieren, so dass wenig Kraft für das ältere Kind bleibt.“
Besonders für das Kind könne aber eine „live“ erlebte Geburt seelisch schwer verdaulich sein: „Es besteht die Gefahr, dass es die offensichtlichen, großen Schmerzen der Mutter emotional mit dem neuen Geschwisterchen verknüpft. Also glaubt, das Baby sei Schuld, dass die Mama jetzt soviel leiden muss“, warnt die Familientherapeutin. „Es kann ein Kind zudem erschrecken, seine Mutter in dieser Ausnahmesituation zu erleben, in der es sie ja zuvor noch nie gesehen hat.“ Überdies sei der Rahmen einer Geburt meist nicht gerade kindgerecht: „Die Geburt findet vielleicht in der Klinik statt, es gibt oft Blut, es geschehen unvorhergesehene Dinge, es kann Hektik aufkommen oder sogar Sorge, weil etwas nicht optimal läuft. Das wirkt aufs Kind dramatisch. Manchmal werden auch schnelle Maßnahmen nötig. Wenn ein Kind dann hinausgeschickt werden muss, erlebt es dies als noch katastrophaler und beängstigender.“
Eltern, so die Psychologin, wüssten also nicht, ob eine Geburt wirklich eine Bereicherung für ihr Kind sei. „Es sind ja die Erwachsenen, die hier eine ‚Bereicherung’ sehen, nicht das Kind. Eltern neigen aber manchmal dazu zu glauben, ihre eigenen Gefühle seien auch die des Kindes“. Ein Problem sei auch, dass Kinder nicht rational auf die Geschehnisse einer Geburt vorbereitet werden könnten. „Sie müssen sie ausschließlich emotional verarbeiten, und das ist schwer.“ Die Familientherapeutin betont jedoch: „Sobald die Geburt vorbei ist, kann das ältere Kind rasch zur Mutter und dem neuen Baby kommen, so dass es sich überhaupt nicht ferngehalten oder ausgeschlossen fühlen muss.
Weiterführende Informationen
Kontakt zu Familientherapeutin Ulrike Elbers: Ulrike Elbers, Laurentiusstr. 26, 42103 Wuppertal, Tel. 0202/3097125 oder 0202/300853, E-Mail: mail@ulrikeelbers.de, Internet: www.ulrikeelbers.de
Bücher für Eltern
Beate Vogt und Jeanette Stark-Städele: Mein Geschwisterchen - Wenn das zweite Kind kommt. Urania Verlag 2007, ISBN-10: 378316074X (dieses Buch bereitet Eltern auf Gefühlswelt des Erstgeborenen vor).
Regina Hilsberg: Wenn das zweite Kind kommt, Oz Verlag 2004, ISBN-10: 3866134029 (bereitet Eltern auf Herausforderungen und die Organisation des Alltags mit zwei Kindern, auf Geschwistereifersucht etc. vor).
Bilder- und Vorlesebücher für Kinder:
Astrid Lindgren: Ich will auch Geschwister haben! Oetinger Verlag, ISBN-10: 3789160334, ISBN-13: 978-3789160332,
Gunilla Hansson: Ein Baby für uns alle! Ravensburger Buchverlag 2007, ISBN-10: 3473310697 (ab zwei Jahren)
Sabine Cuno und Susanne Szesny: Wir sind jetzt vier, Ravensburger ministeps Verlag 2007, ISBN-10: 3473315818 (ab zwei Jahren).
Trixi Haberlander, Kathy Heyer, Dorothea Cüppers: Hurra, mein Geschwisterchen! Ein Klapp- und Entdeck-Buch, Verlag Ars Edition 2005, ISBN-10: 3760774598 (Bilderbuch mit Klappen und einem Fotorahmen für das erste Geschwisterbild).