Glücklich in der Kinderkrippe
Die Entscheidung, schon ein einjähriges Kleinkind in eine Krippe oder in die Kita zu geben, fällt Eltern meist nicht leicht. Ein schlechtes Gewissen müssen sie aber nicht haben. Denn schon die Kleinsten können von der Betreuung in der Gruppe profitieren.
„Ich lasse mir kein schlechtes Gewissen mehr einreden - von niemandem“, sagt Ramona Bayer mit fester Stimme. „Meinem Sohn geht es in der Krippe prima und das ist alles, was zählt.“ Seit gut einem Jahr geht der zweieinhalbjährige Lennard in die Kinderkrippe und scheint sich dort pudelwohl zu fühlen. Für seine Mutter war die Rückkehr in den Job wenige Monate nach Auslaufen des Elterngelds finanziell nötig - und schlicht selbstverständlich. „Ich mag meinen Beruf und war nach der Babypause sehr froh, wieder unter Leute zu kommen.“
Die Entscheidung für die frühe Betreuung fällt nicht leicht
Trotzdem hat die 30-jährige Dresdnerin sich den Entschluss, ihren Sohn zunächst sechs und nach einigen Monaten rund acht Stunden lang abzugeben, nicht leicht gemacht. „Natürlich fragt man sich die ganze Zeit, ob man den richtigen Weg geht. Eigentlich denkt doch jede Mama, nur sie könnte richtig für das Kind da sein und macht sich Sorgen, es würde leiden, wenn es einen Teil des Tages außerhalb der Familie verbringt.“ Doch es dauerte nur ein paar Wochen, bis Lennard und seine Eltern sich an das neue Arrangement gewöhnt hatte. „In der ersten Woche bin ich gemeinsam mit Lennard in die Gruppe gegangen. Da konnte er alles entdecken, hatte mich aber immer im Blick. In der zweiten Woche bin ich jeden Tag ein bisschen länger rausgegangen. Das hat ihn gar nicht interessiert. Seine Erzieherin hat sich mit ihm beschäftigt und konnte ihn schon nach ein paar Tagen super trösten, als er hingefallen ist.“ Nach drei Wochen blieb Lennard den ganzen Vormittag in der Krippe, „und nach einem Monat hat er dann dort auch geschlafen. Das lief total problemlos - eigentlich so problemlos, dass ich schon fast gekränkt war. Da kommt man schon mal auf den Gedanken, ob man denn wirklich so gebraucht wird, wie gedacht“, gibt Ramona Bayer zu.
Kleine Krippenkinder lernen schnell, selbständig zu sein
Doch letztlich ist die Arzthelferin heilfroh, dass die Eingewöhnung von Lennard so gut gelaufen ist. Inzwischen ist sie begeistert, wie viel ihr kleiner Sohn seither gelernt hat und ist sich sicher, dass ihr kleiner Mann gut versorgt ist, während sie in der Praxis arbeitet. „Ehrlich gesagt wäre ich gar nicht darauf gekommen, dass er schon so viele Dinge kann. Daheim habe ich ihn gefüttert - in der Krippe hat er innerhalb von einer Woche mit dem Löffel gegessen.“ Auch das Anziehen klappe mittlerweile schon richtig gut. „Lennard schaut sich unheimlich viel von den anderen Kindern ab und probiert auch mal länger, wenn irgendetwas nicht gleich funktioniert. Daheim bin ja immer ich da, die ihm ganz schnell hilft, wenn irgendwas nicht klappt.“ Die Abläufe in seiner Krippe sind Lennard inzwischen vertraut: Morgens wird erst gespielt, gebastelt und gesungen, dann gibt es ein gemeinsames Obstfrühstück mit den anderen elf Kindern seiner Gruppe. Danach geht es nach draußen, bevor Mittagessen und Mittagsschlaf folgen. Am Nachmittag können die Kinder über das große Außengelände der Kita toben. „Am Anfang spielen die Kinder ja eher nebeneinander, inzwischen hat er aber richtig Freunde gefunden“, sagt Ramona Bayer. „Wenn ich ihn nachmittags abhole, will er manchmal gar nicht mit, weil sie gerade ins Spiel vertieft sind.“
Die Dresdnerin weiß, dass nicht alle Eltern ihre Begeisterung über die institutionelle Betreuung von Kleinkindern teilen. „Damit, dass andere das anders sehen, kann ich gut leben - aber ich will auch nicht als Rabenmutter abgestempelt werden. Ich würde nicht behaupten, dass die Betreuung in der Kita meinem Sohn in der Entwicklung mehr nützt, als es meine Betreuung zu Hause tun würde. Sie schadet ihm aber auch auf keinen Fall. Und das ist das Wichtigste.“
Das sehen auch viele Entwicklungspsychologen und Bildungsexperten so. Unzählige Studien zur Betreuung von unter Dreijährigen hat es in den vergangenen Jahren gegeben. Über die Auslegung der einzelnen Erkenntnisse - wie etwa der großen Längsschnittstudie des National Institute of Child Health and Human Development - wird mitunter heftig gerungen. So ist der Schluss, der aus den Ergebnissen gezogen wird, meist von einer bestimmten Grundhaltung geprägt. So wird aus dem Ergebnis, dass Kinder, die früh in einer Krippe betreut wurden und sich stärker behaupten können als Altersgenossen, die zu Hause waren, je nach eigener Überzeugung, entweder herausgelesen, dass diese Kinder einfach selbstbewusst sind - oder dass man es dabei mit einem Aggressionspropblem zu tun hat.
Auf diesen Interpretationsspielraum weist auch Renate Niesel, Psychologin am Staatsinstitut für Frühpädagogik hin: „Um die Studienergebnisse einordnen zu können, muss man wissen, dass wir es dabei immer mit Durchschnittsergebnissen zu tun haben, deren statistische Signifikanz häufig nicht so gewaltig ist, um daraus pauschale Schlüsse zu ziehen.
Diskussion wird schnell ideologisch
Klar aber ist: Kinder gedeihen auch gut, wenn sie nicht ausschließlich von ihrer Mutter betreut werden. „Bei guter Qualität schadet die Betreuung in Krippen Kindern aus unterstützenden Familien nicht“, sagt Ute Thyen, Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Lübeck und Vorstandsmitglied der Deutschen Liga für das Kind. „Bei Kindern aus weniger unterstützenden Familien kann es sogar deutlich besser sein, wenn sie einige Stunden am Tag außerhäusig betreut werden.“ Mit einem Jahr seien Kinder auch gut in der Lage, Beziehungen zu so genannten sekundären Bezugspersonen - etwa Erzieherinnen - aufzubauen. „Das belastet auch die Bindungen innerhalb der Familie nicht.“ Die deutsche Diskussion um die Betreuung der Allerkleinsten sei allerdings emotional stark aufgeladen: „Vor allem in Westdeutschland ist das häufig ideologisch basiert. Da heißt es schnell, jede Familie sei besser als jede Einrichtung. Und das stimmt nicht.“ Auch Renate Niesel ärgert sich über viele Vorurteile und Abwertungen. „Der Begriff Fremdbetreuung ist schrecklich, weil er sofort das Rabenmutter-Bild impliziert: Welche Mutter gibt ihr Kind schon zu Fremden? Der Ausdruck diskriminiert auch die Arbeit der Erzieherinnen, die ja über den Prozess der Eingewöhnung eine ganz eigene Beziehung zu dem Kind aufbauen.“ Lasse eine Mutter ihr Kind nach einiger Zeit erstmals in der Krippe allein, sei es dabei eben nicht in einer fremden, sondern einer mittlerweile vertrauten Umgebung.
Experten sehen in der Erfahrung, dass sich auch andere Menschen als die eigenen Kinder um Kinder kümmern können, als einen der Vorteile in der Krippenbetreuung: „Jede Beziehung, die ein Kind eingeht, steht für sich“, sagt Renate Niesel. „Die Erfahrung, dass es mit vielen Menschen verbunden sein kann, ist für ein Kind sehr bereichernd.“ Wichtig für die Eltern sei hingegen, dass Kinder alle anderen Beziehungen parallel zur Eltern-Kind-Beziehung führen können und diese davon nicht beschädigt wird.
Entscheidend ist die Qualität der Betreuung
Damit sie Kindern gut tut, muss eine Krippe allerdings bestimmte Mindeststandards erfüllen. Die Deutsche Liga für das Kind hat dazu ein Positionspapier vorgelegt. Darin heißt es, dass sich das Leitbild der Einrichtung am Wohl der Kinder, ihren Grundbedürfnissen und Grundrechten auf eine Förderung ihrer persönlichen Entwicklung orientieren und es regelmäßig Fort- und Weiterbildungen geben müsse. Im Idealfall sollten die Gruppen bei unter Zweijährigen maximal acht Kinder umfassen, bei einem Erzieher-Kind-Schlüssel von 1:3. Die meisten Krippen können das nicht bieten - deshalb müssen sie aber nicht schlecht sein. Psychologin Niesel hält es für wichtiger, auf das Bauchgefühl zu hören, anstatt sich auf einen bestimmten Personalschlüssel zu konzentrieren: „Eine einigermaßen sensible Mutter wird schnell merken, ob die Einrichtung, in der ihr Kind ist, gut oder schlecht ist. Das macht sich eher daran fest, wie einfühlsam Erzieherinnen auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen können und wie gut der Kontakt zwischen Eltern und Erziehern ist.
Auch Ramona Bayer fährt inzwischen gut damit, auf ihren Bauch zu hören - und sich nicht von anderen, die ein anderes Lebensmodell bevorzugen, kirre machen zu lassen. „Für uns war die Krippe genau die richtige Wahl“, sagt sie, „wir würden das immer wieder so machen.“
Buchtipps:
- Lieselotte Ahnert: Wieviel Mutter braucht ein Kind? Bindung - Bildung - Betreuung: öffentlich und privat
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011. 24,95 Euro - Jörg Maywald: Wie frühe Betreuung gelingt - Fundierter Rat zu einem umstrittenen Thema
Beltz-Verlag 2008. 14,90 Euro - Jörg Maywald: Die beste Frühbetreuung. Krippe, Tagesmutter, Kinderfrau (inkl. DVD)
Beltz-Verlag 2011. 19,00 Euro