Aufklärung im Elternhaus
Wie kommt das Baby in deinen Bauch? Wenn es um die Aufklärung ihrer Kinder geht, kommen viele Eltern ins Schwitzen. urbia sprach mit Sexual-Pädagogen.
Bienen und Störche sind fabelhafte Tiere
Störche und Bienen sind keine gewöhnlichen Tiere. Wie sonst lässt sich ihre hohe Popularität vor allem bei Eltern erklären? Immer dann, wenn die Kinder unangenehme Fragen stellen oder es dringend an der Zeit ist, dass die Sprösslinge über ganz natürliche Vorgänge informiert werden sollten, dann holen sich – auch heute noch – viele Erwachsene Hilfe in der fabel-haften Tierwelt: Aufklärung im Elternhaus hat schon so manchen Vater und manche Mutter ins Schwitzen gebracht. "Mama, wie kommt das Baby denn in deinen Bauch? Und wie kommt es da wieder raus?" oder "Was macht ihr denn, wenn ihr euch ganz doll lieb habt?", wollen schon Kleinkinder wissen, um sich ihre Welt mit allem, was dazu gehört, erschließen zu können. Wie sollten Eltern diese Fragen beantworten und wie sieht die moderne moderne Aufklärung aus? Urbia sprach mit Sabine Tolkmitt und Martin Gnielka, Sexualpädagogen bei Pro Familia in Köln.
Sexualpädagogik ist mehr als Aufklärung
Wenn das Stichwort Sexualpädagogik fällt, dann denken die meisten sofort an Aufklärung. Das ist aber zu kurz gegriffen. "Sexualpädagogik beginnt im Elternhaus schon direkt nach der Geburt", versichern die beiden Experten und erläutern: "Auch ein Säugling ist ein sexuell empfindendes Wesen. Das ist natürlich eine andere Sexualität als bei Erwachsenen, aber Kinder wollen sich und ihren Körper entdecken. Und das ist richtig und wichtig." Ein Ziel von Still-, Krabbelgruppen und anderen altersgemäßen Gruppen ist es, das Körpergefühl der Kinder zu stärken. Der enge körperliche Kontakt zu Bezugspersonen ist hierfür wichtig. Doch auf der anderen Seite steht – vor dem Hintergrund des sexuellen Missbrauchs – auch eine große Unsicherheit bei Erziehern und Eltern, wissen die Experten. "Dürfen die Kinder in der Krabbelgruppe noch nackt sein?", "Darf ich mit meinem Kind noch baden?" oder "Mein Kind macht mit anderen Doktorspiele. Ist das normal?" sind Fragen, die an die Pro Familia-Mitarbeiter gestellt werden.
Eltern sind oft verunsichert
"Die Eltern sind oft verunsichert, weil sie mit der Erwachsenenbrille auf ihr Kind gucken", so Sabine Tolkmitt, die zusammen mit ihrem Kollegen auf Elternabenden in Kindergärten, auf Erzieher- oder Lehrerfortbildungen über Sexualerziehung der Kinder informiert. Vereinzelt rufen auch Väter und Mütter direkt in der Beratungsstelle an, wenn sie sich in Sachen Aufklärung ihrer Kinder überfordert fühlen. "Für jedes Alter gibt es viele altersgemäße Bilder- beziehungsweise Sachbücher. Wir versuchen, die Fragen der Eltern zu beantworten und ermuntern sie, ihr Kind aufzuklären", berichten die Sexualpädagogen.
Peinlich, der Sohn fragt nach dem ersten Samenerguss
Bei jüngeren Kindern, die eher wissen wollen, wie welcher Körperteil heißt und weder von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt detaillierte Erklärungen verlangen, fällt dies meist noch leicht. Je nach Umgang mit der eigenen Sexualität ist es manchen Eltern aber unangenehm, wenn der pubertierende Sohn über den ersten Samenerguss, Selbstbefriedigung, Penislänge oder das "so erwachsen gewordene Töchterchen" über Menstruation, erogene Zonen oder Verhütung sprechen möchte. Hier raten die Sexualpädagogen: "Wenn den Eltern das absolut peinlich ist, sollten sie diese Aufgabe an vertraute Personen, die das besser können, übertragen." Müttern wird eher die "Aufklärerrolle" in der Familie zugesprochen. Dabei, findet Gnielka, sollten die Väter ermuntert werden, sich gerade in dieser Hinsicht aktiver um ihre Kinder zu kümmern.
Wie sicher ist ein Kondom?
Nach Absprache kommen in die Pro Familia Beratungsstelle auch Gruppen von 15- bis 16-Jährigen. In diesem Alter spielt die Frage nach der Verhütung eine große Rolle. " Welche Verhütungsmethoden gibt es?", "Wie wirkt die Pille?" oder "Wie sicher ist ein Kondom?", diese und ähnliche Fragen brennen den Heranwachsenden unter den Nägeln. Oftmals genieren sie sich aber, nachzufragen – besonders, wenn viele Gleichaltrige das mithören können.
Oft glauben Jugendliche, alles zu wissen
Warum ist Jugendlichen das peinlich, nachzuhaken? "Das Thema Sexualität wird durch die Medien so breit getreten. Der Bezug der Jugendlichen zu sich selber und zu ihrem Körper ist dadurch aber nicht größer geworden. In manchen Gruppen heißt es: ´Das wissen wir doch schon alles.´ Das stimmt aber nicht", weist Sabine Tolkmitt auf eine große Unsicherheit der Jugendlichen hin. Was in Filmen und Sendungen an Sexualität und Erotik zu sehen ist, wird von vielen als normal bewertet und als Maßstab für die eigene Sexualität angelegt. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen mit der Veränderung ihres Körpers manchmal nur schwer zurecht kommen: "Ist mein Busen zu klein?", "Meine Beine sind zu dick.", "Warum hab ich so viele Pickel?", "Was mach ich nur, wenn ich im Schwimmbad einen 'hoch kriege'?"
Das "erste Mal"
Den oftmals vermittelten Eindruck, dass Jugendliche immer früher Geschlechtsverkehr haben, möchten die beiden Sexualpädagogen nicht bestätigen: "Es hat sich nicht so krass geändert, wie viele meinen. Das Alter für das ´erste Mal´ ist auch sehr gruppenspezifisch." Gestützt wird diese Aussage unter anderem durch eine 1998 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) durchgeführte Studie zur Jugendsexualität. Dabei kam heraus, dass 38 Prozent der 14- bis 17jährigen Mädchen und 29 Prozent der gleichaltrigen Jungen bereits Geschlechtsverkehr gehabt haben. Im Trend sei das Alter des "ersten Mals" zwar gesunken, aber gleichzeitig existiere jedoch eine über die 90er Jahre konstant große Gruppe, die auch mit 17 Jahren noch keinen Geschlechtsverkehr hat. Bei den Mädchen beträgt dieser Anteil etwa ein Drittel, bei den Jungen sind es 46 Prozent.
Die Pille mit 13?
Ob es noch zu früh ist, wenn ein Mädchen mit 13 Jahren die Pille nehmen will, diese Frage wurde auch im urbia-Diskussionsforum gestellt. "Hierauf können wir keine pauschale Antwort geben. Es kommt immer auf den Einzelfall an", hebt Sabine Tolkmitt hervor und ergänzt: "Wenn das Mädchen erst seit kurzem ihre Regel bekommt und diese noch sehr unregelmäßig ist, dann können medizinische Gründe gegen die Einnahme der Pille sprechen."
Mein Kind ist homosexuell
Wenn einige Eltern schon mit der Aufklärung ihrer Kinder zu "kämpfen" haben, dann wird sie erst recht der Schlag treffen, wenn sie vermuten oder erfahren, dass ihr Kind homosexuell ist. "Was, mein Sohn ist schwul?" oder "Meine Tochter, eine Lesbe?", wollen viele Eltern nicht glauben, dass ihr Sprössling "von der Norm abweicht". Martin Gnielka rät: "Natürlich sollten die Eltern so tolerant wie möglich reagieren, was aber nur selten gelingt. Die Eltern sollten diese Neuigkeit aber erst mal für sich verarbeiten und sich vielleicht Hilfe bei einer Beratungsstelle suchen. Für das Kind war es schon schlimm genug, sich seinen Eltern gegenüber zu outen. Wenn die dann auch noch toben, werden sie das Kind eher aus dem Haus treiben, als ihm das Gefühl zu geben, verstanden zu werden."Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat dieses Thema in der Broschüre für Eltern "Unser Kind fällt aus der Rolle. Über Geschlechtsrollen und sexuelle Orientierungen" aufgegriffen. Das Heft ist kostenlos bei der BzgA erhältlich.
Pro Familia bietet Hilfe
Eltern, die Probleme mit dem Körpererleben und der Sexualerziehung ihrer Kinder haben, finden auf der Homepage von Pro Familia weitere Informationen. Für Jugendliche, die Fragen zur Sexualität haben, wurde von Pro Familia die Aktion SEXTRA ins Leben gerufen.
Eine Übersicht über die gängisten Verhütungsmittel und -methoden gibt der Artikel "Von Pille bis Kondom".