Wie Kinder ihre Eltern erziehen
Das Temperament unseres Kindes beeinflusst unseren Erziehungsstil: Selbstbewusste oder fordernde Kinder erziehen wir anders als empfindsame oder nachgiebige Kinder.
Erziehung ist keine Einbahnstraße
Natürlich haben wir Einfluss darauf, ob unser Kind gut aufwächst, seine Begabungen nutzt und ein zufriedener Mensch wird. Doch "Erziehung ist keine Einbahnstraße", betont die Verhaltensforscherin Reut Avinun von der Hebräischen Universität in Jerusalem und nennt ein Beispiel: "Verhält ein Kind mit gut entwickelter Selbstkontrolle sich wirklich so günstig, weil es viel Wärme von seinen Eltern bekommen hat? Wer kann sagen, ob so ein Kind durch sein günstiges Verhalten nicht umgekehrt mehr Zuwendung bei seinen Eltern auslöst! Würden seine Eltern sich immer noch so zugewandt verhalten, wenn das Kind eine schlechte Selbstkontrolle mitbringen würde?"
Nach Auswertung ihrer Studie kann Avinun diese Frage beantworten: Kinder bringen bestimmte Eigenschaften mit, und Eltern reagieren darauf. Und für die Eltern eines eher unkontrollierten, impulsiven Kindes ist es tatsächlich schwerer, geduldig und liebevoll zu bleiben, als für Eltern eines nachgiebigen Kindes.
Kinder sind mehr als das Produkt unserer Erziehung
Kinder sind also viel mehr, als nur das Produkt unserer Erziehungsbemühungen. Manchmal ist unser eigenes Verhalten sogar eher das Ergebnis der "Erziehungsbemühungen" unseres Kindes. "Eltern, die mehr als ein Kind haben, erleben es selbst: Jedes Kind ist unterschiedlich, daher gehen sie auch mit jedem Kind anders um. Was beim einen Kind funktioniert, muss beim anderen nicht denselben Erfolg haben", sagt die Pädagogik-Professorin Sabine Michalek von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin.
Einfluss auf die Eltern kann gut oder ungünstig sein
Je nachdem, was es mitbringt, kann ein Kind den Erziehungsstil der Eltern günstig beeinflussen oder auch ungünstig. Wenn es zum Beispiel der vierjährigen Noemi nicht gelingt, ihrer Barbie ein Kleidungsstück anzuziehen, ist sie zwar rasch entmutigt und weint. Sie lässt sich aber von ihrer Mutter gern trösten und helfen. "Es gibt Kinder, deren Veranlagung es Eltern leichter macht. Dies sind zum Beispiel vulnerable (verletzliche) Kinder. Denn sie sind leicht zu entmutigen, zeigen sich aber für Trost und Ermutigung durch die Eltern empfänglich - was den Eltern ein gutes Gefühl gibt", erklärt Prof. Michalek.
Anders der fünfjährige Leon: Spätestens, wenn sich zum zweiten Mal der Flügel seines Lego-Raumschiffs löst, schreit er los und wirft das Bauwerk in die Ecke, wo es zerspringt. Er verschränkt die Arme und möchte weder angefasst noch sonstwie getröstet werden, und die Bausteine aufsammeln will er schon gar nicht. Seine Eltern haben oft das Gefühl, ihn nicht zu erreichen, und manchmal schimpfen sie wegen seiner Wutausbrüche, obwohl sie das eigentlich nicht wollen. "Es gibt tatsächlich 'erziehungsschwierige' Kinder, ohne dass die Eltern etwas falsch gemacht hätten", betont Prof. Michalek.
Kinder zeigen, welcher Weg für sie der richtige ist
Doch wie können Mütter und Väter erreichen, dass ihr Erziehungsstil positiv bleibt, auch wenn das Verhalten ihres Kindes manchmal eine Herausforderung ist? "Sie sollten auf ihre Intuition achten, die Signale ihres Kindes wahrnehmen und feinfühlig auf sie reagieren", rät Michalek. Reagieren Eltern flexibel, kann auch ein scheinbar schwieriges Verhalten guten Einfluss auf ihre Erziehung haben: "Unser Sohn Lukas (7) kann nicht gut ein Nein akzeptieren. Er probiert immer wieder riskante Dinge aus, klettert aufs Gartenhäuschen oder springt von Mauern herunter", seufzt sein Vater Sven. "Andererseits sind wir bei vielen Dingen nicht mehr so ängstlich wie früher, und wir erlauben ihm auch mehr." Ein Kind, das auf seinem Freiheitsdrang besteht, kann Eltern also dazu bringen, ihm mehr von dem Freiraum zu gewähren, den es zum Wohlfühlen braucht.
Aber auch, wenn Kinder unser Erziehungsverhalten mitsteuern: Sie tun dies nicht bewusst. Die Verantwortung für eine liebevolle Atmosphäre zu Hause und dafür, dass der Draht zum Kind niemals abreißt, bleibt immer bei uns Eltern.
Das Gespräch mit Prof. Sabine Michalek könnt Ihr hier lesen.