Erfahrungsbericht: Meine Mutter-Kind-Kur
Mutter-Kind-Kuren sollen Müttern die Gelegenheit geben, sich zu erholen und für den Familienalltag neue Kraft zu tanken. Hört sich gut an, aber ist es das auch? Kann man entspannen, wenn die Kinder auf der Kur dabei sind? Eine betroffene Mutter hat festgestellt: Man kann! Ein persönlicher Kurbericht.
Kind und Kur, schließt sich das nicht aus?
"Du gehst auf Mutter-Kind-Kur? Ich dachte, das schließt sich gegenseitig aus", bekam ich zu hören, als ich erzählte, dass ich mit meinen drei Kindern zur Kur nach Sylt fahren würde. Und ich gestehe, dass ich selbst etwas unsicher war, inwieweit es mir gelingen würde, mich in drei Wochen zu erholen und vom Arbeits- und Familienalltag abzuschalten – während ich gleichzeitig als Mutter gefordert bin.
Bewusst wählte ich die kleinste Klinik, die mir die Beraterin der AWO bei der Abgabe meines Kurantrags anbot: Das Louise-Schröder-Haus auf Sylt mit Plätzen für 40 Frauen und 65 Kinder ab ca. drei bis zwölf Jahren (ältere Kinder dürfen ihre Mütter nur in Ausnahmefällen auf Kuren begleiten). Meine Theorie: Je weniger Mütter, desto weniger Kinder, desto weniger Krankheiten wie Magen-Darm-Infekte, die sich ausbreiten können, und desto mehr Erholung für mich. „In der Kur brauchen wir unsere Ruhe!“, verkündet meine Fünfjährige ihr Wissen im Freundeskreis. Mal sehen, ob das gelingt.
Die achtstündige Zugfahrt vom Rheinland nach Sylt verläuft ruhiger als gedacht. Gespannt bestaunen wir die immer dichter stehenden Windkrafträder, stellen fest, dass es hier wirklich keine Berge mehr gibt - auch wenn die Brücke über den Nord-Ostsee-Kanal sehr hoch ist. Direkt nach dem Highlight Hindenburgdamm, der Sylt seit 1927 mit dem Festland verbindet, heißt es auch schon aussteigen: Keitum auf Sylt. Noch 15 Minuten Fußmarsch, vorbei an malerischen Reetdachhäusern, und wir stehen geschafft, aber glücklich vor dem wunderschönen Anwesen des "Louise-Schröder-Haus". An der Rezeption von „Haus 1“, in dem sich auch Speisesaal, Ärztezimmer und Verwaltung befinden, empfängt man uns persönlich, überreicht mir Infomappe und Ablaufplan für den nächsten Tag, den ersten Kurtag. Eine Mitarbeiterin des psychosozialen Dienstes bringt uns über den Innenhof, der fast schon ein kleiner Park ist, zu unserem Appartement in „Haus 2“. Hier sind außerdem das Erwachsenencafé, Werkraum, Sauna und Bäderabteilung untergebracht. Erleichtert stelle ich fest, dass das vorausgeschickte Gepäck schon im Zimmer steht. Zum Auspacken bleibt aber keine Zeit. Es ist viertel vor sieben, also schnell rüber in den Speisesaal. Wir sind in „Gruppe 2“, das heißt Abendessen von 18:30 bis 19:10 Uhr, "Gruppe 1" ist von 17:20 bis 18:00 Uhr dran.
Am zugewiesenen Tisch, an dem wir uns von nun an jeden Abend zur gleichen Zeit niederlassen, sitzt bereits eine Mutter mit zwei Töchtern im Alter meiner beiden Mädchen. Noch bevor die Teller am Büffet gefüllt werden, ist klar: Die Chemie stimmt. „Mama, wir haben schon Freundinnen gefunden“, flüstert mir meine Tochter begeistert zu.
Mit Spannung von allen erwartet: Der Kindertreff
Am nächsten Morgen geht es zur Sache: Noch vor dem Frühstück erster Termin zum Wiegen und Blutdruckmessen, danach gemeinsames Frühstück und gleich rüber zur Eingewöhnung in den Kindertreff. Ich bete, dass mir unglückliche Kinder in der fremden Kita erspart bleiben. Vielleicht schließen sich Kind und Kur doch aus?
Doch besagte neue Freundinnen machen den Einstieg zum Kinderspiel. Die Große verschwindet mit der anderen Großen in der blauen Gruppe (sechs bis acht Jahre), meine Mittlere und ihr kleiner Bruder stehen mit der anderen neuen Freundin zwar noch etwas verloren in der roten Gruppe (drei bis fünf Jahre) herum, entdecken aber dann die großzügige Bauecke und rufen nur noch „Tschüss, Mama!“. Fünf Minuten Eingewöhnung, Glück gehabt und eine große Sorge weniger. Meine Kur beginnt.
Ein Blick auf den Plan für den ersten Tag: Das ärztliche Erstgespräch steht an. Ich bespreche mit dem Arzt meine Ziele für die Kur. Anhand meines Hausarzt-Attestes und einer kurzen eigenen Untersuchung entscheidet er, welche Maßnahmen mir verordnet werden. Allgemein steht bei Kuren für Mütter die Behandlung eines psycho-physischen Erschöpfungszustands im Vordergrund. Das Louise-Schröder-Haus hat sich auf Grund seiner Lage und des besonderen Sylter Klimas zusätzlich auf die Behandlung von Erkrankungen der Atmungsorgane, Hauterkrankungen, Krankheiten des Muskel-Skelettsystems und Stoffwechselerkrankungen spezialisiert. Wann welche „Anwendung“, wie man unter Kurenden sagt, stattfindet, erfahre ich abends, wenn der Kurplan verteilt wird.
Sozialpädagoginnen, eine Diätassistentin, Erzieherinnen, eine Sporttherapeutin: Zur Einführungsveranstaltung sind alle gekommen, die sich in den nächsten drei Woche um uns und unsere Kinder kümmern werden, ein schönes Gefühl, so umsorgt zu sein. Nach einer Klinikführung ist es doch tatsächlich schon Zeit zum Mittagessen. Täglich kann ich aus drei Gerichten (Vollwert, leichte Kost und Vollkost) wählen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal in Ruhe eine warme Mahlzeit am helllichten Tag zu mir genommen habe. Lecker.
Eine Kurkrise gleich am Anfang
Doch so richtig angekommen bin ich noch nicht. Und in der Einführungsveranstaltung der Mutter Kind Klinik Sylt hatte man uns vorgewarnt: Es kann einige Tage dauern, bis der Körper das Tempo, das er von zu Hause gewohnt ist, gedrosselt hat. Solange stehe ich unter Stress, Kur hin oder her. Drei Stunden später weiß ich, was gemeint ist. Es regnet in Strömen, die Kinder habe ich der besseren Eingewöhnung wegen (eine Bitte der Erzieherinnen) schon früher abgeholt. Den geführten Rundgang durch Keitum haben wir durch das lange Einsteigen in die Matschklamotten verpasst, trotz Sturm und Regen aber wenigstens noch das praktisch an die Klinik angrenzende Watt bestaunt und sitzen nun nass, kalt, Papa-alleine und ziemlich trostlos in unserem Zwei-Zimmer-Appartement. Auf engem Raum bieten sich unendliche Möglichkeiten für Geschwisterstreitigkeiten, die Nerven liegen blank. Noch 90 Minuten bis zum Abendessen. Ich wusste es ja, Kind und Kur schließen sich aus!
Sind auch die Kinder erkrankt, gibt es die Möglichkeit, diese ebenfalls aufnehmen und behandeln zu lassen. Ansonsten sind (besonders kleinere) Kinder sogenannte Begleitkinder, die das Betreuungsangebot nutzen, aber keine eigenen Anwendungen haben.
Da hilft auch der frisch ausgeteilte Kurplan nicht: Yoga und Aquafitness als regelmäßige Kurse, Ernährungsberatung, Massage, Beckenbodentraining und zwei Vorträge zum Thema Stressbewältigung und Erziehung (Geschwisterrivalität!) stehen für mich auf dem Programm. Die andern Mütter berichten von Neurodermitis-Schulungen, Erziehungskurs, Mutter-und-Kind-Entspannung, Wirbelsäulengymnastik und Progressiver Muskelentspannung. Jeder bekommt ein individuell zugeschnittenes Maßnahmen-Paket verordnet, das eingehalten werden muss.
Als ziemliches Häuflein Elend sitze ich am nächsten Morgen beim psychosozialen Erstgespräch. Es sollte doch alles so schön werden hier, meine Kinder eine entspannte Mama erleben, keine entnervte Furie, die wegen ein bisschen Regen und Streit gleich ausflippt. Und das Wochenende ohne Kindertreff und festem Programm steht vor der Tür. Die Sozialpädagogin macht mir Mut, ganz normal sei das. „Sie lernen sich hier gut kennen“, sagt sie. Auf einer Skala von eins bis zehn soll ich abschließend meine Befindlichkeit angeben. Ich gebe mir eine optimistische vier und ziehe etwas ratlos von dannen. Es ist ja auch schon wieder Mittagessenszeit und die erste Yogastunde steht an.
* Name von der Redaktion geändert
Erste Erfolge: Bewegungen, die ich nicht mehr für möglich gehalten hätte
Das tut gut. Unter Anleitung der Yoga-Lehrerin vollführt mein Körper Bewegungen, die ich nach drei Schwangerschaften und mit chronischen Rückenschmerzen nicht mehr für möglich gehalten habe – ich lächle in mein Sonnenchakra. Der Sport zieht mich aus dem Kurtief. An der großen Pinnwand der Rezeption trage ich mich sofort für die freiwilligen Angebote Nordic Walking und Pilates ein. Mit dem täglichen Kneippschen Wassertreten zur Stärkung des mütterlichen Immunsystems zwischen acht und neun Uhr ist mein Kurplan nun ganz gut gefüllt, lässt aber genug Zeit zum „Runterkommen“.
Der Alltag ist verlangsamt
Und genau das passiert. Unmerklich verlangsamt sich alles. Das Leben reduziert sich auf regelmäßige Mahlzeiten, regelmäßige Anwendungen und Pausen zum Lesen und Nachdenken. Jede Mutter scheint ihr Tempo zu finden. Wer zu Hause schon umtriebig ist, wird beim freiwilligen Joggen gesichtet. Ruhigere Gemüter sind im Garten in den Strandkörben zu finden. Und wer Zerstreuung sucht, findet diverse Kreativangebote mit oder ohne Kind immer wieder an der Pinnwand. Die Stimmung ist entspannt. Unter 40 Müttern, von denen jede weiß, dass die jeweils 39 anderen auch hilfsbedürftig sind (warum wäre man sonst auf Kur?), muss keine so tun, als hätte sie alles im Griff.
So im Fluss treibe ich auch nach dem Kindertreff ab spätestens 16 Uhr durch ruhige Gewässer. Mal am Watt die riesigen Knochen des Finnwalskelets vor dem Sylter Heimatmuseum abschreiten, mal den schönen hauseigenen Spielplatz gegen den fast noch schöneren, öffentlichen neben dem Supermarkt (Eis!) tauschen, mal einfach stundenlang im Garten des Kurhauses Fangen spielen und mit den anderen Müttern reden. Es gibt ja sonst nichts zu tun. Kein Haushalt, kein Abendessen vorbereiten, nichts. Vormittags Frau ohne Haus sein, nachmittags Mutter.
An den Wochenenden wird Sylt erkundet. Der Badestrand im Westen der Insel ist nur 20 Minuten mit dem Bus entfernt, Fahrräder mit Kindersitzen oder Anhängern gibt es in jedem Ort gleich mehrfach zu mieten.
Auf einmal sind die drei Wochen vorbei. Schon das letzte Wochenende ist von Aufbruchsstimmung, Abreiselisten, Taxibestellungen und dem medizinischen und psychosozialen Abschlussgespräch geprägt. Medizinisch gesehen geht es mir besser, das habe ich jetzt auch schriftlich. Psychosozial darf ich mich erneut auf der Skala von eins bis zehn einschätzen. Obwohl ich mich sehr gut fühle, habe ich etwas Respekt vor der Heimkehr. An das Verwöhntwerden kann man sich gewöhnen. Ich gebe mir eine pessimistische sechs.
Über den Hindenburgdamm geht es am nächsten Tag zurück in die Realität.
Mein Kureffekt: Zum Teil fühle ich ihn erst zu Hause
Erster Zwischenstand: Drei Tage runter von der Insel. Mein neuer alter Alltag fühlt sich noch ein bisschen so an wie ein zu groß gewordenes Kleidungsstück. Es gibt von allem zu viel: zu viel Wohnung, zu viel Spielzeug, zu viele Menschen, die etwas von mir wollen, zu viele Anrufe, zu viele Baustellen, die sich erneut auftun: zurück ins Büro, Arzttermine, Förderverein des Kindergartens, Elternsprechtage, Einkaufen, Putzen. Und das, während ausgerechnet jetzt mein Mann in einem Projekt bis tiefnachts und am Wochenende eingespannt ist. Hilfe! Ich bin froh, dass ich mir meine Mutter schon vor der Kur für den Wiedereinstieg organisiert habe. Mit ihrer Unterstützung wachse ich langsam wieder in meinen XXL-Alltag hinein.
Trotzdem fühle ich mich erholt, ich bin einfach noch nicht wieder ganz da. Ein Teil von mir ist noch auf Reisen. Auf die Frage „Und wie war‘s?“ bleibt mir in diesem Zwischenzustand ein kurzes: „sehr schön und erholsam.“
Viel mehr – oder weniger? - als drei Wochen Urlaub
„Na, drei Wochen Urlaub müssen ja erholsam sein“, höre ich da. Tiefenentspannt atme ich in mein neuentdecktes Sonnenchakra, lächle und sage: „Es war eine Kur, kein Urlaub“. Dass die Bedürftigkeit für eine Kur etwas ist, wofür man sich (selbst unter anderen Müttern) erklären muss, ist eigentlich schade. Immerhin steht seit 2007 jeder Mutter, deren Kurbedürftigkeit von einem Arzt attestiert wird, rechtlich eine Kur zu. Vor allem als Vorsorgemaßnahme, um gar nicht erst richtig krank zu werden.
Natürlich haben eine Kur und ein Urlaub die Gemeinsamkeit, dass man seinen Wohnort verlässt. Während ein Urlaub meist dazu dient, die Freizeit mit Erlebnissen und Aktivitäten aufzupeppen und vom Alltag abzulenken, ist eine Kur das Gegenteil davon. Mein Familienalltag wurde auf ein Minimum und - für mich gerade durch die Anwesenheit meiner Kinder - auf das Wesentliche reduziert. Ich konnte mich um mich kümmern, zu Kräften kommen und gleichzeitig für meine Kinder da sein. In der Kur zu erleben, dass das möglich ist, ist neben einem praktisch schmerzfreien Rücken das schönste Ergebnis. Ich bezweifle, dass eine Mutterkur ohne Kinder für mich den gleichen Effekt gehabt hätte. Auch meine Tochter hat den Unterschied erkannt: „Papa, das nächste Mal kommst Du mit nach Sylt, dann machen wir da mal Urlaub und keine Kur und zeigen Dir alles.“
Ja, ich kenne mich jetzt besser
Vier Wochen nach der Rückkehr spüre ich die Auswirkungen der Kur sehr deutlich – ich bin auf der Wohlfühlskala bei einer realistischen 8,5 angelangt. Ich bin ruhiger und wieder viel belastbarer.
Kind und Kur schließen sich nicht aus. Im Gegenteil!