Geschichten aus The Mighty

Ein Brief an die Freundin, die unter meiner Angst zu leiden hat

Quälende Ängste gehören zu Nicolles Alltag, denn sie leidet an einer Generalisierten Angststörung. Hier schreibt sie einer Freundin, die ihr so gerne helfen möchte – und doch oft hilflos ist.

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Foto: © iStock, oneinchpunch

Quälende Ängste gehören zu Nicolles Alltag, denn sie leidet an einer Generalisierten Angststörung. Hier schreibt sie einer Freundin, die ihr so gerne helfen möchte – und doch oft hilflos ist.

Lass mich zuerst eines klarstellen: Wenn ich von meiner „Angst" spreche, dann spreche ich nicht einfach von meinen Befürchtungen oder von Situationen, die mich nervös machen. Ich spreche nicht von der Art von Ängstlichkeit, wie sie jeder im Laufe seines Lebens erlebt. Ich spreche von einer Generalisierten Angststörung – einem seelischen Zustand, der praktisch jeden Aspekt meines Lebens in irgendeiner Weise betrifft. Wahrscheinlich hast Du schon bemerkt, dass ich mich manchmal merkwürdig verhalte: Pläne im letzten Moment über den Haufen werfe oder Ausreden erfinde, um zuhause zu bleiben. Abgekaute Fingernägel und plötzliches Weinen. Kurzatmigkeit, Unruhe, Angst vor neuen Situationen, die Unfähigkeit, irgendwo allein hinzugehen, und Panikattacken.

Ich versuche, meine inneren Kämpfe zu verbergen, aber ich weiß, dass Du sie siehst. Du siehst sie, weil Du Dir Sorgen machst. Und weil Du Dir Sorgen machst, versuchst Du oft zu helfen. Du sagst, ich solle tief durchatmen. Du sagst, ich solle mich beruhigen und aufhören, mir Sorgen zu machen. Du meinst es gut, wenn Du den Bibelspruch aus den Philipper 4, Vers 6 zitierst: „Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden." Du versuchst mit allen Mitteln, meine Befürchtungen zu zerstreuen. Aber es hat nie funktioniert. Nicht ein einziges Mal.

Ich schreibe diesen Brief, weil ich Dir gegenüber fair sein will. Ich möchte, dass Du verstehst, was meine Angst bedeutet und wie sie sich anfühlt. Denn ich möchte, dass Du weißt: Es ist nicht so, dass ich Deine Ratschläge ignorieren würde. Ich weiß, dass es schwer für Dich sein muss, mit meinen Gefühlen umzugehen. Und unsere Beziehung ist keine einfache. Aus diesem Grund habe ich das Gefühl, ich schulde Dir eine Erklärung. Angst fühlt sich an wie ein Ozean. Wenn er auf mich zurollt, kämpfe ich darum, meinen Kopf über Wasser zu halten. Er ist überwältigend, und jeder Moment fühlt sich so an, als sei ich nur einen Atemzug entfernt vom Ertrinken. Dieser Ozean ist so groß, so unermesslich und dehnt sich weiter aus, als mein Blick reicht. Das Wasser ist dunkel und schwer. Und je mehr ich gegen das alles ankämpfe, desto höher steigt das Wasser. Die Worte „beruhige dich" zwingen mich, gegen meine Angst anzukämpfen. Und dann steigt das Wasser gleich noch ein bisschen höher.

"Wenn ich meine Angst stoppen könnte, dann hätte ich es längst getan. Man hat keine Wahl bei diesen Gefühlen, und sie sind auch nichts, was ich in mein Leben eingeladen hätte."

 

Es ist eigentlich selbstverständlich, aber bitte denk daran: Wenn ich meine Angst stoppen könnte, dann hätte ich es längst getan. Man hat keine Wahl bei diesen Gefühlen, und sie sind auch nichts, was ich in mein Leben eingeladen hätte. Ich bin kein Opfer, aber ich mache auch ganz sicher nicht freiwillig mit. Deshalb: Bitte sag mir nicht mehr, dass ich mich beruhigen soll. Bitte hör auf, Formulierungen zu benutzen, die klingen, als sollte ich in der Lage sein, meine Angst zu beherrschen. Ich weiß, dass Du mir helfen willst – sonst würdest Du das hier nicht lesen – und ich liebe Dich dafür.

Aber Du musst mit den Versuchen aufhören, mir dabei zu helfen, mit meinen Gefühlen rational umzugehen. Schon mein ganzes Leben lang versuche ich, meine Ängste zu verstehen. Aber irrationale Ängste und Emotionen kann man nicht verstehen. Versuche stattdessen Folgendes: Wenn meine Angst mich runterzieht, lass mich wissen, dass Du meinen Kampf siehst, auch wenn Du ihn nicht verstehst. Bete für mich, aber sage mir nicht, dass ich beten soll. Hör mir zu, aber biete mir keine „einfachen" Lösungen an. Das Wichtigste: Du sollst wissen, dass Du mich nicht in Ordnung bringen musst oder dafür sorgen, dass meine Angst weggeht. Ich möchte, dass Du mein Freund bist, nicht mein Therapeut. Letzteres werde ich nie von Dir erwarten.

Ich wünschte, Du müsstest Dich damit nicht herumschlagen. Ironischerweise geht es Dir mit mir genauso. Also ist das ein Lernprozess für uns beide. Ich verspreche, dass ich weiter versuchen werde, neue Wege zu finden, mit meiner Angst umzugehen. Im Gegenzug bitte ich Dich einfach nur darum, meine Freundin zu bleiben. Eine Freundschaft wie unsere ist oft das, was meinen Kopf gerade noch über Wasser hält. Und sie bedeutet mir unendlich viel.
Danke!
Deine Freundin

Nicolle Hook

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