Sucht: Wie kann ich mein Kind schützen?
Viele Eltern stellen sich die Frage: "Wie kann ich mein Kind vor Drogen schützen?" Der erste Schritt ist es, Ihr Kind zur Unabhängigkeit zu erziehen.
Selbstbewusste Kinder sagen nein!
"Kinder zu stärken, sie so zu stärken, dass sie selbstbewusst und eigenständig werden und buchstäblich nein sagen können, ist bei der Vorbeugung von Sucht zentral", betont Marion David-Spickermann, Diplom-Pädagogin in Bochum. "Die beste Voraussetzung, nicht abhängig zu werden, ist der Weg in ein unabhängiges Leben", fügt die Sozialpädagogin Marlies Hendriks hinzu. Und das beginnt in der Wiege.
Die beiden Fachkräfte aus der Abteilung Suchtvorbeugung der Krisenhilfe e. V. in Bochum-Wattenscheid informieren Eltern, Erzieher und Lehrer darüber, wo Suchtprävention stattfinden kann und was diese alles umfasst. Neben Selbstbewusstsein ist auch die Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen, diese angemessen auszutragen und Frust zu tolerieren wesentlich. "Wer gelernt hat, Krisen zu bewältigen, wird weniger in die Versuchung kommen, diese mit Rauschmitteln zu verdecken", unterstreichen die beiden Mitarbeiterinnen der Suchtvorbeugung.
Perfekte Eltern gibt es nicht
Kinder brauchen grundsätzlich jemanden, der ihnen zur Seite steht und in Krisensituationen hilft. Die Personen ihres Vertrauens geben ihnen das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Natürlich gibt es Tage, an denen Mutter und Vater völlig genervt und abgekämpft nach Hause kommen und Ruhe und Zeit für sich brauchen. Denn niemand ist perfekt und immer gleich aufmerksam und aufgeschlossen. "In dem Moment sollten Eltern dann jedoch transparent sein", unterstreicht Marion David-Spickermann. "Das bedeutet, den Kindern deutlich zu machen, dass das Problem jetzt gerade nicht an ihnen liegt, sondern an den Eltern. Kinder müssen lernen, auch mit solchen Situationen umzugehen, und wissen, dass es gute und schlechte Tage gibt."
Wer vom Weg abkommt, lernt die Umgebung kennen
Kinder wollen ihre Welt entdecken und etwas erleben. "Hierfür brauchen sie Freiräume, in denen sie sich alleine, ohne die Eltern erproben und eigene Wege einschlagen können. Dabei lernen sie, für sich Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu handeln", erklärt Marlies Hendriks.
Es ist deshalb günstig, wenn Eltern ihre Kinder in deren Abenteuerlust und Erlebnisfähigkeit unterstützen. Gleichzeitig benötigen Kinder Grenzen als Orientierungshilfe: Immer gewähren lassen, immer alle Wünsche erfüllen und keinen Verzicht fordern kann auch bedeuten, dass Kinder in ihrer Eigenständigkeit und Lebenstüchtigkeit eingeschränkt werden.
Die Dinge genießen
Zu der Erlebnisfähigkeit gesellt sich die Genussfähigkeit: Dinge zu schätzen, bestimmte, schöne Momente ganz bewusst zu erleben und das auch vorzuleben. Wer mit Genussmitteln umgehen kann, läuft auch nicht so leicht Gefahr, sie als Suchtmittel zu missbrauchen. "Wenn man zum Beispiel ein Stück Schokolade annimmt, weil man sich mal etwas Leckeres gönnen möchte, steht der Genuss im Vordergrund. Wenn man aber die ganze Schokolade aus Frust in sich hineinstopft, wird die Schokolade nicht mehr als Genussmittel eingesetzt, sondern soll etwas ersetzen," verdeutlichen die beiden Expertinnen.
Kreativität statt Konsum
Bleiben wir bei der Schokolade: Als "Trostspender" müssen Eltern sie zwar nicht verteufeln. Kindern aber immer gleich ein Stück Schokolade oder den Schnuller zu geben oder sie vor den Fernseher zu parken, verhindere allerdings eine Auseinandersetzung mit der Situation, die schlechte Gefühle verursacht.
Wahllos den Fernseher anzuschalten fördere ein unkritisches Konsumverhalten: Lernen Kinder aber, Konsumgüter kritisch zu betrachten, gehen sie später vielleicht auch mit Rauschmitteln, ob legal oder illegal, kritisch um. Marlies Hendriks und Marion David-Spickermann erläutern: "Wenn Kinder immer gleich vor den Fernseher gesetzt werden, bremst sie das außerdem in ihrem eigenen Gestaltungswillen. Fördert man sie in ihrer Kreativität und Phantasie, können sie auch aus schwierigen Situationen etwas machen. Kreative Leute können sich selbst schöne Erlebnisse verschaffen", heben die Pädagoginnen hervor. Haben Kinder aus eigener Kreativität etwas entwickelt, stärkt sie das wiederum in ihrem Selbstbewusstsein.
Prävention im Kindergarten und in der Schule
Kreativität zu fördern war auch das Anliegen eines Kindergartenprojektes in Bochum. Für drei Monate wurden alle Spielzeuge aus dem Gruppenraum herausgeräumt. Die Kinder waren dann ganz frei von vorgefertigten Spielsachen wie Feuerwehrautos, die nur Feuerwehrautos sein können. Langsam begannen sie dann, sich mit sich selbst zu beschäftigen, Rollenspiele zu machen oder aus Tischen und Stühlen Buden, Burgen oder Schiffe zu bauen.
"Sie lernen, mit den wenigen Dingen, die vorhanden sind, fantasievoll umzugehen, einfach kreativ damit umzugehen", beschreibt Marion David-Spickermann das Projekt. Auch bei Waldtagen und Waldprojekten steht die Idee im Vordergrund, die Überflutung mit den vielen Eindrücken und Geräuschen zu reduzieren, einfach mal der Natur zu lauschen und ohne vorgefertigte Geräte eigene Gedanken zu entwickeln. "In Schulen veranstalten wir Vorträge für Eltern, um sie für das Thema zu sensibilisieren", erzählt Marlies Hendriks. "Schülern einen einmaligen Vortrag zu halten, bringt relativ wenig. Wenn wir nur eine Stunde kommen, erreichen wir nur die, die sowieso ängstlich und vorsichtig sind. In Schulen begleiten wir aber gerne längere Projekte oder versuchen Lehrer als Multiplikator dazu anzuregen, selbst Projekttage zur Suchtvorbeugung durchzuführen."
Suchtdreieck: Persönlichkeit, Umwelt und Suchtmittel
"Es ist nicht der Dealer, der plötzlich auf den Schulhof kommt und Kinder süchtig macht," erläutert Marlies Hendriks und beschreibt das so genannte "Suchtdreieck". Nach diesem Modell entsteht Sucht aus dem Beziehungsgeflecht der drei großen Faktoren Persönlichkeit, Umwelt und Suchtmittel.
Zur Umwelt zählen die Familie, der Freundeskreis und der von ihnen vorgelebte Umgang mit Alkohol, Zigaretten, Tabletten und anderen Genussmitteln. Bei Kindern abhängiger Eltern ist das Risiko sechs mal so hoch, dass sie selbst in eine Abhängigkeit rutschen, so lautet die Statistik, die Marlies Hendriks und Marion David-Spickermann heranziehen. Aber auch gesellschaftliche Bedingungen wie Arbeitslosigkeit und Leistungsdruck können Angst machen und zu Suchtmitteln greifen lassen.
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